Aktionstag Brückenstrompreis

"Die Zeit des Plauderns ist vorbei"

Auch graues November-Wetter in Berlin und heftige Windböen in Duisburg konnten den Protest nicht stoppen: Rund 12.000 Beschäftigte von IGBCE und IG Metall beteiligten sich am 24. November am Aktionstag für einen Brückenstrompreis für energieintensive Branchen. Bei den zwei zentralen Veranstaltungen mahnten die Rednerinnen und Redner Investitionen für die Transformation der Industrien an – und ein Aufweichen der Schuldenbremse. Sonst würden Standortverlagerungen und Arbeitsplatzabbau drohen.

Kundgebung zum Aktionstag Brückenstrompreis in Duisburg
Foto: © Markus Feger

Die Bilanz kann sich sehen lassen: Rund 12.000 Beschäftigte von IGBCE und IG Metall reisten zu den zwei zentralen Veranstaltungen zum Aktionstag Brückenstrompreis in Berlin und Duisburg an. In Duisburg kamen rund 10.000 Menschen auf der Kaiser-Wilhelm-Straße vor dem zentralen Werkstor von Thyssen-Krupp zusammen, in Berlin versammelten sich mehr als 2000 Demonstrierende vor dem Bundesfinanzministerium. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kundgebungen forderten die rasche Einführung eines befristeten Brückenstrompreises von fünf Cent pro Kilowattstunde für energieintensive Industrien, da andernfalls Stellenabbau und Verlagerungen drohen.

Das angekündigte Unwetter im Ruhrgebiet blieb glücklicherweise aus. Dafür gab es ein politisches Donnerwetter auf der Bühne - begleitet von tosendem Applaus. Bereits am frühen Morgen trafen die ersten der knapp 200 Busse vor dem Haupttor von Thyssen-Krupp ein. Schnell füllte sich der matschige Platz zwischen den gigantischen Industrieanlagen der Stahlproduktion mit rund zehntausend Beschäftigten aus energieintensiven Branchen der IGBCE und der IG Metall. Sie bildeten ein Meer aus rotweißen Fahnen, Bannern und Plakaten. Ein Gitarrenspieler stimmte die Menge von der Bühne aus ein. Eine Gruppe Stahlarbeiter skandierte per Megafon „Brückenstrompreis Brückenstrompreis.“

Die Stimmung: kämpferisch, aber gut. Ullrich Walter und Thomas Jansen vom Chemiekonzern Lanxess sind aus Uerdingen angereist: „Wir unterstützen die Transformation. Aber damit sie gelingt, brauchen wir jetzt die Unterstützung der Politik“, erklärten sie.

Auf der Bühne sorgte unterdessen IGBCE-Chef Michael Vassiliadis für das Stimmungshighlight und brachte mit seiner neunminütigen Rede die Menge zum Kochen. Mit donnernder Stimme erklärt er: „Die energieintensive Industrie braucht für die Transformation grünen Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen – und das in gewaltigem und künftig weiter wachsendem Ausmaß. Daran hat sich auch nach dem Urteil aus Karlsruhe nichts geändert.“

Michael Vassiliadis spricht auf der Kundgebung in Duisburg
Foto: © Markus Feger

Mit Blick auf die Politik mahnte der Gewerkschaftsboss: „Wenn die Regierung uns an ihrer Seite haben will, dann muss sie jetzt liefern. Denn die Zeit des Plauderns ist vorbei. Das gilt für alle Parteien. Wer jetzt parteipolitische Spielchen betreibt, bekommt es mit uns zu tun.“

Direkt im Anschluss zeigte sich die IG Metall Chefin Christiane Benner sichtlich beeindruckt von der Menge der Demonstrierenden. „Wir senden hier heute ein ganz starkes Signal. Nicht nur aus Duisburg, sondern von Kundgebungen aus ganz Deutschland.“ Ihr Appell an die Politik: „Mehr denn je braucht es jetzt ein klares Signal für einen grünen Wandel, ein klares Signal für die Zukunft unserer Industrie! Eine stabile Brücke braucht es ein stabiles Fundament. Dafür muss die Politik jetzt umgehend sorgen.“

Zustimmender Applaus kam da auch von Angelina, Nina und Holger, die bei Deutsche Steinzeug Cremer & Breuer beschäftigt sind: „Wir brauchen die Brückenstrompreis. Bei uns brennt es lichterloh, die Produktion ist massiv gedrosselt. Irgendwann droht die Insolvenz.“

Die Dringlichkeit betonte auch Manuela Strauch, Vorsitzende des Konzernbetriebsrat beim Spezialchemie-Konzern Lanxess: "Ein bezahlbarer Strompreis ist eine wichtige Grundlage für Investitionen der chemischen Industrie. Ohne drohen weitere Verlagerungen der Produktion ins Ausland." Das könne sich das Land aber nicht leisten, weil damit gute Arbeitsplätze und die gesamte industrielle Wertschöpfungskette gefährdet würden. "In den Chemie-Parks hängt ein Hersteller mit dem anderen zusammen. Fällt energieintensive Produktion am Anfang der Prozesskette weg, trifft das sofort den ganzen Standort", so Strauch. 

Kurz vor Ende der Veranstaltung zogen in Duisburg dann doch noch graue Wolken auf. Aber es blieb trocken, bis alle Teilnehmer wieder in ihren Bussen saßen.

In Berlin war es ebenfalls novembertypisch grau und kühl. Doch auch hier kochte die Stimmung hoch, als die Rednerinnen und Redner auf der Bühne in Richtung Bundesfinanzministerium ein Aufweichen der Schuldenbremse forderten. "Eine klimagerechte Transformation unserer energieintensiven Industrien wird es ohne eine deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen und massive staatliche Investitionsanreize nicht geben", erklärte beispielsweise IGBCE-Vorstandsmitglied Alexander Bercht vor den mehr als 2000 Menschen, die in mehreren dutzend Bussen aus sieben nord- und ostdeutschen Bundesländern angereist waren (Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg). Unternehmen und ihre Beschäftigten bräuchten jetzt schnell klare Signale: für wettbewerbsfähige Energiepreise, für finanzielle Unterstützung beim klimagerechten Umbau ihrer Standorte, für einen nachhaltigen Ausbau der Infrastruktur und der erneuerbaren Energien. "Das alles kostet viel Geld – aber es sind Investitionen in die nachhaltige Modernisierung des Standorts. Deshalb hat die Schuldenbremse, wie wir sie heute kennen, keine Zukunft", rief Bercht der Menge zu. 

Jürgen Kerner, der zweite Vorsitzende der IG Metall, betonte ebenfalls. „Wir befinden uns an einem historischen Wendepunkt. Jetzt entscheidet sich, ob Deutschland ein starkes Industrieland bleibt oder im internationalen Wettbewerb zurückfällt", erklärt er. "Damit das nicht passiert, braucht es jetzt schnell einen zeitlich begrenzten Brückenstrompreis. Nur so kann die Grundstoffindustrie weiter in Deutschland produzieren und gleichzeitig in ihren Umbau hin zur Klimaneutralität investieren."

Eine Delegation von Reifenwerkern vom Goodyear-Standort Fürstenwalde war zum Bundesfinanzministerium gekommen. Die Belegschaft des Standorts hatte erst vor einer Woche erfahren, dass die Goodyear-Fertigung in Fürstenwalde und in Fulda geschlossen werden soll. „Davon sind 1.800 gut bezahlte, tarifgebundene Arbeitsplätze betroffen“, erklärte Peter Weiser, Betriebsratsvorsitzender bei Goodyear in Fürstenwalde. „Wir halten die Entscheidung für falsch und haben gemeinsam mit der IGBCE den Kampf um die Reifenwerke und die Arbeitsplätze aufgenommen! Dabei ist auch die Politik gefordert. Unser Unternehmen begründet seine Pläne auch mit den Wettbewerbsbedingungen in Deutschland und hohen Energiekosten. Deshalb sind wir heute hier und wir sind laut!“

Der Aktionstag in Bildern

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