Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich mit den Mitgliedern des IGBCE-Beirats über die Sorgen und Nöte der Beschäftigten in den energieintensiven Industrien ausgetauscht. In der nicht-öffentlichen Sitzung versicherte er, die Zukunft der Industrie im Blick zu haben.
Der Bundeskanzler ist überpünktlich: Bereits um 8.52 Uhr – acht Minuten vor dem offiziellen Zeitplan - betritt Olaf Scholz den Tagungssaal des Hotels am Berliner Flughafen. Hier wartet der 150-köpfige Beirat der IGBCE auf den Kanzler, um ihm bei dem nicht-öffentlichen Treffen die Sorgen, Nöte und Bedenken mit Blick auf die aktuellen Probleme in ihren Industrien nahezubringen. Und die sind vielfältig: hohe Energiepreise, fehlende Infrastruktur, mieses Investitionsklima, Nachfrageprobleme, Fachkräftemangel, internationale Dumping-Konkurrenz, um nur einige der Herausforderungen zu nennen.
Angesichts der komplexen Problemlage sind die acht zusätzlichen Minuten also gut zu gebrauchen. In seiner kurzen Begrüßungsrede weist IGBCE-Chef Michael Vassiliadis auf das Bündel der Herausforderungen hin – und lobt erst mal die Regierung. Sie sei die erste, die nicht nur Lösungen etwa zum Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Netze ins Schaufenster stellt, aber dann nichts oder nur wenig davon umsetzt. „Dies ist die erste Regierung seit Jahrzehnten, die sich ernsthaft den Problemen stellt, nichts beschönigt und sich jetzt wirklich um die Realisierung kümmert.“ Gerade die IGBCE, die überwiegend energieintensive Branchen wie Chemie, Papier oder Keramik vertritt, wisse, wie angespannt die aktuelle Lage sei. Die Probleme würden sich summieren.
„Dennoch sind wir nicht bereit, in die allgemeine Klage und Standortdebatte einzusteigen“, so Vassiliadis. „Denn das Bild, das viel zu tun ist, stimmt zwar. Aber das Bild, das aktuell nichts getan wird von der Regierung, das stimmt nicht.“ Nun brauche es auch einen Standort-Patriotismus der Unternehmen – und einen Brückenstrompreis von der Regierung, um für die energieintensiven Branchen eine Übergangslösung bis 2030 zu bieten – dann soll es laut Ausbauplänen ausreichend günstigen Strom aus Erneuerbaren geben. Er nehme ein gutes Verständnis in der Bundesregierung für die mittel- und langfristigen Problemlagen der IGBCE-Branchen wahr, hob Vassiliadis hervor. „Aber das nützt uns morgen nichts.“
Der Kanzler zeigt Verständnis für die Sorgen und Nöte. Er erläutert in der vertraulichen Sitzung, welche konkreten Maßnahmen die Ampel-Regierung plant, um beispielsweise den Ausbau der Erneuerbaren und der Übertragungsnetze konkret weiter zu beschleunigen, das Thema Wasserstoff voranzutreiben, die Energieversorgung abzusichern. Auch die Komplexe Fachkräftemangel und Zuwanderung habe man im Blick, ebenso wie die Themen Bildung, Digitalisierung oder überbordende Regulierungen etwa für die Chemie-Industrie. Er machte deutlich, dass man sich um die Rahmenbedingungen des Standorts kümmere. Es brauche insgesamt mehr Tempo in Deutschland.
Acht Beiratsmitglieder haben noch die Möglichkeit, dem Kanzler ihre Anliegen zu schildern. Unter anderem Petra Kronen, Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei Covestro. „Bei Covestro wird gerade Realität, was man in der Presse liest: Die Kosten laufen aus dem Ruder, die Nachfragesituation ist katastrophal.“ Manche Anlagen im Konzern stünden ganz still, andere würden mit einer Auslastung von unter 50 Prozent laufen. „Wir müssten gerade jetzt investieren, in Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, Forschung und Entwicklung, Fachkräfte, Ausbildung." Aber angesichts überhöhter Energiepreise fehle die wirtschaftliche Kraft. Investitionsvorhaben in Deutschland lägen auf Eis, statt dessen fließe Geld in Projekte in China oder den USA. „Wir aber fahren ein Kostensenkungsprogramm nach dem anderen, wir hungern uns quasi aus der Magersucht. Das kann nicht gut gehen.“ Sie wünsche sich Antworten von der Regierung, wie sie diese Entwicklung bewerte und was sie als Gegenmaßnahmen plane. „Egal, was wir tun: Wir müssen es schnell tun“, gibt sie Scholz mit auf den Weg.
Gertraud Meyer, Betriebsratsvorsitzende beim Autozulieferer Plastic Omnium, weist auf die Bedeutung des Wertschöpfungskreislaufes hin. Für die Herstellung etwa der Autoschweller brauche man Granulat aus der chemischen Industrie. „Wir sind abhängig von der Wertschöpfungskette, die in Deutschland existiert.“ Das Ziel müsse doch sein, diese Wertschöpfungskette auch im Land zu erhalten und die beginnende Deindustriealisierung zu stoppen. „Uns läuft die Zeit davon“, erklärt auch sie.
Raimund Mathe, Betriebsratsvorsitzender bei Zwiesel-Glas, wiederum dringt auf einen verstärkten Ausbau der Netze, nur damit sei eine umweltfreundliche Glasproduktion in Deutschland auch in Zukunft möglich. „Bitte setzen Sie Maßnahmen um, damit die Reise für unser Unternehmen und die ganze Branche noch weitergeht“, appelliert er an Scholz. Auch IGBCE-Chef Vassiliadis gibt dem Kanzler noch eine letzte Bemerkung mit auf den Weg: „Bei allen Transformationsvorhaben der Regierung sind wir gern mit dabei. Aber zwischen heute und dem angepeilten Datum 2030 brauchen wir eine Brücke. Mehr wollen wir nicht.“