26. Jugendforum der IGBCE-Jugend

Transformation braucht mehr Ausbildung

Auf jungen Erwerbstätigen lastet ein großer Druck. Ihre künftige Arbeitswelt wird aus Krisen und Transformationen der Gegenwart geformt: Energiekrise, Krieg in Europa und massiver Mangel an Fachkräften. Die Industrie setzt bei der Ausbildung von Nachwuchs stark auf klassische Mittel. Und liegt damit zunehmend falsch, wie das 26. IGBCE-Jugendforum zeigt.

26. IGBCE-Jugendforum

Den Einstieg für die rund 70 Teilnehmenden im IGBCE-Bildungszentrum Kagel-Möllenhorst bietet Alexander Bercht: Der 44-Jährige ist das jüngste Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand (gHV) der IGBCE. Ab September dieses Jahres ist er unter anderem für die Gewerkschaftsjugend zuständig. Für seinen Einstand in diesen Bereich passt der Besuch beim Jugendforum perfekt.

Bercht zieht einen großen Rahmen. Industrien wie Chemie oder Papier verbrauchen große Mengen an Energie; die Energiebranche steht mitten im Auge des Sturms. Hinzu kommen Inflation, Digitalisierung, Dekarbonisierung, Industrie 4.0, der Krieg in der Ukraine, der Rechtsruck in Teilen der Gesellschaft und der demografische Wandel. All diese Krisen und Herausforderungen fänden gleichzeitig statt, sagt Bercht. „Das ist eine historisch völlig neue Lage.“ Und die Tatsache, dass die Erwerbsbevölkerung hierzulande schrumpft, ist eng mit einem sich immer machtvoller abzeichnenden Fachkräftemangel verknüpft. „Der ist eines unserer zentralen Themen der nächsten Jahre.“ Der Mangel an gut ausgebildeten Menschen ist ein ebenso gewaltiges Problem wie die Energiekrise. Aber noch finden viele Unternehmen nicht die richtigen Gegenmittel. Ideen dazu hat die IGBCE durchaus; und die will sie auch mit der jüngst gestarteten Kampagne „Ohne Ausbildung keine Zukunft“ publik machen.

Mit ihren Aktionen wollen die Jugendgremien ihre Belegschaften und Arbeitgeber noch besser über die Misere informieren und für bessere Ausbildungsbedingungen werben. Politisch fordern Gewerkschaften, aber auch Jugendverbände anderer Parteien, unter anderem eine Ausbildung über den Eigenbedarf der Betriebe, Übernahmegarantien oder auch die Schaffung von preiswertem Wohnraum für Auszubildende. Dafür plädieren beim Jugendforum auch die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, und Philipp Türmer vom Vorstand der Jusos.

Für das zweite Halbjahr 2023 plant die Gewerkschaft eine Umfrage unter den Auszubildenden und dual Studierenden aller IGBCE-Branchen, kündigt Bundesjugendsekretär Philipp Hering an. Die IGBCE-Jugend will die Sorgen des Nachwuchses besser verstehen. Wie nötig das ist, zeigen bereits bekannte Rahmendaten. So steigt die Zahl der Zugänge in die Altersrente rasant; von knapp 720.000 (2017) auf über 820.000 im Jahr 2021. Im selben Jahr gab es nur 473.000 neue Ausbildungsverträge – deren Zahl schrumpft. Zum Start des aktuellen Ausbildungsjahres klagten 47 Prozent aller IHK-Ausbildungsbetriebe über unbesetzte Ausbildungsplätze, vermeldete die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) im August. So schlimm sei es noch nie gewesen, fügte sie hinzu. Die DIHK begründet das unter anderem mit einem angeblich ungebrochenen Willen zum Studium bei der Jugend.

Das sieht Clemens Wieland von der Bertelsmann-Stiftung anders: „Es gibt einen wachsenden Anteil an Abiturient*innen, die eine Berufsausbildung beginnen möchten“, berichtet der Berufsbildungs-Forscher. In Industrie und Handel sei der Anteil jener Ausbildungswilligen, die auch eine Studienberechtigung vorweisen könnten, zwischen 2010 und 2021 von 26,9 auf 35,4 Prozent gewachsen. Aber sie allein können das Problem auch gar nicht lösen. Wieland listet auf: 2022 gab es 68.868 unbesetzte Ausbildungsstellen; 2017 waren es noch knapp 49.000. Doch das „Rosinenpicken“, also die über Jahrzehnte gepflegte Auslese der Besten, geht oft unvermindert weiter. „Jugendliche mit Hauptschulabschluss haben es zunehmend schwerer“, sagt Wieland. Die Quote der Ungelernten – meist mit Hauptschulabschluss oder gar ohne Abschluss – unter den 20- bis 34-Jährigen beträgt 17,8 Prozent. „Das sind rund 2,6 Millionen junge Menschen.“ Tendenz: steigend. Wielands Fazit: Die Industrie muss das Wegsortieren von Jugendlichen mit niedriger Schulbildung beenden. „Denn sie bieten das größte Potenzial.“ 

Die Mauer der Vorurteile

Zu den Merkwürdigkeiten des Ausbildungsmarkts passen Vorurteile, die junge Auszubildende oft in ihren Betrieben hören. Aus ihnen bauen die IGBCE-Jugend-Delegierten bei einer Aktion eine Mauer aus Kartonwürfeln. Die sind beschrieben mit landläufigen Sprüchen wie „Die neue Azubi-Generation ist zu ungeduldig und zu anspruchsvoll“, „Die Schulabgänger*innen sind mittlerweile zu schlecht“ oder „Die Jugend ist zu dumm“. Diese symbolische Mauer reißen die Jugendlichen anschließend ein. 

Große Unternehmen verfügen meist über hauptamtliche Ausbilderinnen und Ausbilder. Sie könnten eher damit umgehen, dass Auszubildende mit unterschiedlich guten Vorkenntnissen in die Betriebe kommen, als es bei nebenberuflich Ausbildenden der Fall wäre.

Aber neben der inhaltlichen Qualität ist beispielsweise auch der Ausbildungsschlüssel wichtig. Damit kein Ausbilder sich um zu viele Azubis kümmern muss. Die Einhaltung eines fairen Schlüssels ist eine stehende Forderung der IGBCE-Jugend. Ebenso wie die Stärkung von Berufsbildungszentren. Also jener Verbundausbildung, in der unterschiedliche Unternehmen gemeinsam ihre Nachwuchskräfte ausbilden oder mit einem Bildungsträger zusammenarbeiten. Solche Zentren entlasten die Betriebe. Aber es gibt sie zu selten. „Irgendjemand muss so etwas ja finanzieren“, weiß Florian Fischer, der bei Currenta Tectrion im Betriebsrat sitzt. Sein Unternehmen bietet im Chemiepark Leverkusen so etwas an. Vor allem kleinere Unternehmen profitieren von solchen Lösungen, findet Fischer.

Die Vorteile der Verbundausbildung kennt Sabine Meißner seit Jahrzehnten. Die Rentnerin war im Berufsleben unter anderem als Ausbilderin in einem überbetrieblichen Ausbildungszentrum für die sächsische Chemieindustrie aktiv. Noch immer ist sie bei der Anerkannten Schulgesellschaft (ASG) Sachsen, Niederlassung Nordsachsen, als Ausbildungsberaterin engagiert. Meißner sieht in der Verbundausbildung nicht nur eine Entlastung für kleine und mittlere Unternehmen. Sondern auch ein Mittel, um Jugendliche mit größerem Unterstützungsbedarf in den Beruf zu bringen. Das können Azubis mit niedrigem Schulabschluss ebenso sein wie Nachwuchskräfte mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen. In Meißners Ausbildungszentrum hat auch eine Klasse aus gehörlosen Azubis sowie Azubis mit Hörschädigungen die Berufsausbildung durchlaufen. „Und zwar erfolgreich!“, betont die Ausbilderin. Eine inklusive Ausbildung, heißt das, ist nicht nur ein ebenso überfälliger wie gerechter Schritt. Sie ist auch ein Weg aus der Krise.

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