Interview

„Kein junger Mensch darf durchs Raster fallen“

Im Gespräch erklärt der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil (SPD), wie er plant die Fachkräftelücke zu füllen, was er sich unter einer Ausbildungsgarantie vorstellt und wie Menschen ohne Berufsabschluss dennoch fit für das Berufsleben gemacht werden können.

Hubertus Heil
Foto: © BMAS/Dominik Butzmann

Weil die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge bald in Rente gehen, verliert der deutsche Arbeitsmarkt bis 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte. Was wollen Sie als Arbeitsminister tun, um diese Lücke zu füllen?

Diese Zahl stammt mittelbar vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2021 und wird von den Forschern selbst als hypothetisch bezeichnet. Nur wenn wir null Zuwanderung hätten und sich nichts an den Erwerbsquoten von Frauen, Älteren oder Menschen mit Behinderung ändert, käme das so. Und genau an diesen Stellschrauben drehen wir ja gerade massiv. Wir haben jüngst das Weiterbildungsgesetz verabschiedet. Das enthält eine Ausbildungsgarantie und diverse Möglichkeiten für Berufstätige, sich weiter oder neu zu qualifizieren. Unser Ziel ist es, dass die Beschäftigten von heute die Arbeit von morgen machen können und dass jeder mit einer vernünftigen Grundlage ins Arbeitsleben startet. Doch selbst, wenn wir all diese inländischen Potenziale heben, werden wir zusätzlich Menschen aus dem Ausland brauchen. Dafür haben wir kürzlich das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen – mit das modernste Einwanderungsrecht weltweit. Es mindert bürokratische Hürden und konzentriert sich auf die Fähigkeiten und Talente von Menschen, die in Deutschland arbeiten wollen.

Sie erwähnten ja gerade die Ausbildungsgarantie. Was bedeutet die konkret? Wie kann ein junger Mensch seinen Anspruch auf eine Ausbildung durchsetzen?

Die Ausbildungsgarantie ist mehr als „nur“ ein Ausbildungsplatz. Sie ist ein umfassendes Konzept, in dem die Berufsorientierung und die Beratung zu möglichen Alternativen eine besondere Rolle spielen. Letztlich geht es darum, dass alle jungen Menschen eine Berufsausbildung gemäß ihren Interessen und Fähigkeiten absolvieren können – nach Möglichkeit in einem Betrieb in ihrer Heimatregion. Wenn die Suche erfolglos bleibt, wird die Agentur für Arbeit einen außerbetrieblichen Ausbildungsplatz anbieten.

2,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren haben laut dem aktuellen Berufsbildungsbericht keinen Berufsabschluss. So hoch war die Zahl der Ungelernten noch nie. Wie können sie aufgefangen und fit für das Berufsleben gemacht werden?

Die Agenturen für Arbeit verfügen über diverse Instrumente, um jungen Menschen mit Startschwierigkeiten den Übergang von der Schule in den Beruf zu erleichtern. Ein Teil der Antwort ist sicher auch, dass mancher gar nicht weiß, wie viele Ausbildungen es gibt. Teil der Ausbildungsgarantie ist deshalb eine große Praktikumsinitiative. Wir wollen dafür sorgen, dass junge Menschen sich rechtzeitig über ihre Zukunft Gedanken machen und kein junger Mensch durchs Raster fällt. Was nicht vergessen werden darf: Es gibt weniger potenzielle Azubis. Darauf müssen sich Arbeitgeber einstellen und gegebenenfalls leistungsschwächere Schüler in Betracht ziehen. Mit der richtigen Unterstützung – etwa der assistierten Ausbildung – kann das gut gelingen.

Der Trend zur Akademisierung verstärkt sich seit Jahren, mittlerweile gibt es mehr als doppelt so viele Studierende wie Auszubildende pro Jahrgang. Hat die Politik jahrelang falsche Ziele gepredigt?

Die Uni gilt oft als erstrebenswert, eine Ausbildung zum Beispiel im Handwerk als unattraktiv. Ich halte es für wichtig, neben den Jugendlichen selbst auch die Eltern und Lehrer anzusprechen. Sie haben ja erheblichen Einfluss auf die Ideen und Ziele junger Menschen. Deshalb rühren wir gerade wieder im „Sommer der Berufsausbildung“ die Werbetrommel für die duale Ausbildung. Klar ist: Junge Menschen gehen dahin, wo es interessant ist und sie für sich gute Chancen sehen. Es ist auch Aufgabe der Betriebe, sich als attraktive Arbeitgeber zu zeigen.