Die Ausbildungsplatzsituation in der chemisch-pharmazeutischen Industrie hat sich im Laufe der Corona-Krise drastisch verschlechtert. Im Jahr 2021 haben die Unternehmen insgesamt 8575 Stellen angeboten – das sind fast 1000 weniger als im Vor-Corona-Jahr 2019 (9512) und ein Negativ-Rekord. Im zu Ende gehenden Jahr hat die Industrie so wenig Ausbildungsplätze gemeldet wie seit Beginn der Erhebungen 2003 nicht.
Ausbildung
„Bei dem für jedes Unternehmen zentralen Zukunftsthema Ausbildung liefert die Chemie eine enttäuschende Performance ab“, sagte der stellvertretende IGBCE-Vorsitzende Ralf Sikorski. „Dafür gibt es keine rationale Erklärung, denn der Branche geht es auch in der Corona-Krise noch glänzend.“ Offensichtlich sei es erneut nötig, die Unternehmen mit gewerkschaftlichem Druck zur Vernunft zu bringen, „damit die Zukunft junger Menschen und der Sicherung der Fachkräfte in der Chemieindustrie wieder in den Mittelpunkt des Handels rückt“, so Sikorski.
Der Hauptvorstand der IGBCE hat deshalb in seine Forderungsempfehlung für die im März 2022 startenden Tarifverhandlungen in der Chemie eine Verbesserung des Ausbildungsplatzangebots aufgenommen. Die IGBCE will wieder eine Mindestzahl an Ausbildungsplätzen festschreiben und im Rahmen des Unterstützungsvereins der chemischen Industrie (UCI) neue Fördermöglichkeiten zur Ausbildung lernschwächerer Jugendlicher schaffen
„Offensichtlich isst die Angst in einigen Vorstandsetagen den Verstand auf“, sagte das unter anderem für die Jugendarbeit zuständige Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand, Francesco Grioli. Leider seien die Gesprächsangebote und Initiativen der IGBCE zur Schaffung weiterer Stellen in den vergangenen Monaten bei der Arbeitgeberseite weitgehend auf taube Ohren gestoßen. „Das Ausbildungsplatzangebot herunterzufahren, ist nicht nur ein falsches Signal der Branche an den Fachkräftenachwuchs und die Gesellschaft insgesamt, es ist auch betriebswirtschaftlicher Unsinn.“
Die zaudernde Haltung der Unternehmen spiegelt sich auch in den Übernahmezahlen. Zwar sind 93 Prozent der Ausgebildeten übernommen worden, davon jedoch nur noch 52 Prozent unbefristet. Vor Corona hatte der Wert noch 58 Prozent erreicht. Außergewöhnlich viele Auszubildende (23,6 Prozent; 2019: 19,2 Prozent) wurden zuletzt nur noch für sechs bis 12 Monate übernommen.
Die Tarifparteien evaluieren jährlich die Zahl der Ausbildungsplätze in der Branche. Dies ist eine der Vereinbarungen des 2003 in Kraft getretenen Tarifvertrags „Zukunft durch Ausbildung“. Ausgewiesen werden sie nach Tarifregionen. Besonders starke Rückgänge zum Vorjahr verzeichnen demnach Baden-Württemberg (minus 11 Prozent), Hessen und Nordrhein (jeweils minus 9 Prozent). Dagegen konnten die Zahlen in Nord- und Ostdeutschland gesteigert werden. Das Saarland, das zuletzt 59 Plätze angeboten hatte, hat diesmal keine Zahlen übermittelt.