Marl

Keiner fällt ins Bergfreie

Der Evonik-Standort in Marl steht im Fokus der Umbaupläne des Konzerns. Rund 1.000 Beschäftigte sind davon direkt betroffen. Aus dem Acrylsäure-Geschäft sind es etwa 150 Beschäftigte, aus der C4-Bereich kommen nochmal etwa 800 dazu. Von beiden Bereichen möchte sich Evonik trennen.

Luftaufnahme Evonik-Standort Marl


Luftaufnahme Evonik-Standort Marl

Foto: © Evonik Industries AG

„Ich bin froh, dass es uns als IGBCE gemeinsam mit den Betriebsräten gelungen ist, ein Paket für die Betroffenen zu schnüren, dass eine hohe Sicherheit beinhaltet und Zukunftschancen eröffnet“, sagt Karlheinz Auerhahn, IGBCE-Bezirksleiter Recklinghausen. Andererseits sei es nun für alle Beschäftigten in Marl wichtig, dass der Konzern mit Investitionen und der Absicherung für TI (Technik und Infrastruktur) in seiner Rolle als Arbeitgeber Verlässlichkeit signalisiere. „Verloren gegangenes Vertrauen der Beschäftigten kann nur über diesen Weg wieder aufgebaut werden.“

Standortentwicklung:

Nach intensiven Verhandlungen konnten die Vereinbarungen zu den geplanten Projekten schon im Mai erfolgreich abgeschlossen werden. „Unsere Forderungen nach einem vollumfänglichen Übergang aller Vereinbarungen für die betroffenen Bereiche der C4-Chemie und TAA-Derivate am Standort Marl haben wir durchgesetzt“, berichtet Betriebsratsvorsitze Adriane Fährmeister. Auch die betroffenen Beschäftigten wurden bei Informationsveranstaltungen über die wesentlichen Verhandlungspunkte informiert. „Klar ist, dass niemand ins Bergfreie fallen wird, auch wenn noch nicht alle Fragen von uns und den Kolleginnen und Kollegen beantwortet werden konnten“, fasst Ali Simsir, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, zusammen.

Auch für die bei Evonik verbleibenden Einheiten sind zukunftsweisende Vereinbarungen getroffen worden. Unter dem Titel „Wachstum und Beschäftigung in Deutschland“ wurde der Kündigungsschutz bis 2032 erweitert und die Zusicherung über den Verbleib der Technology & Infrastructure im Konzern für die nächsten fünf Jahre gegeben. Das allerdings unter der Voraussetzung, dass fest definierte Performance-Kennzahlen erreicht werden – was vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage eine Herausforderung für die Division werden wird. Auch die Investitionszusagen stehen im Ergebnis fest: Das Eckpunktepapier legt fest, dass bis 2030 weltweit noch einmal acht Milliarden Euro investiert werden sollen, rund die Hälfte davon in Deutschland. Im Fokus dieser Investitionen stehen sogenannte Next Generation Solutions und Next Generation Technologies, also Produkte und Technologien mit besonderem Nutzen für Nachhaltigkeit und Klimaschutz.

„Ich erwarte, dass nach den letzten und jetzt noch anstehenden Restrukturierungsmaßnahmen Ruhe einkehrt. Bis dahin muss es für Evonik in Deutschland vor allem heißen, in die Zukunft zu investieren. Und zwar nicht nur in Instandsetzungen, sondern auch in Neuinvestitionen. Das werden wir als IGBCE und Sozialpartner im Rahmen der Vereinbarungen des Deutschlandpaktes genau beobachten. Hier geht es um Sicherheit und Perspektiven für unsere Beschäftigten“, sagt Nadine Bloemers, Unternehmensbetreuerin Evonik bei der IGBCE.

Nadine Bloemers, IGBCE-Unternehmensbetreuerin Evonik

Nadine Bloemers
Foto: © PicturePeople

„Ich erwarte, dass nach den letzten und jetzt noch anstehenden Restrukturierungsmaßnahmen Ruhe einkehrt. Bis dahin muss es für Evonik in Deutschland vor allem heißen, in die Zukunft zu investieren."

Wie steht es um „Pisa“?

Die größte Einzel-Investition von Evonik seit ihrem Bestehen ist das Projekt „PISA“. Der Anlagenkomplex wurde 2021 erfolgreich fertiggestellt, mitten in der Pandemie mit all ihren Einschränkungen von Handwerkermangel bis Lieferkettenabrissen. Unter anderem produziert PISA den Hochleistungskunststoff Polyamid 12. Das Produkt wird vor allem im Automobilbau, in der Öl- und Gasindustrie und im 3D-Druck eingesetzt. Evonik will damit seine Gesamtkapazität für PA 12 um mehr als 50 Prozent erhöhen. Ein weiteres Produkt, das in der Anlage hergestellt wird, ist MTB – ein Zusatzstoff für den Sprit im Verbrenner-Motor. Durch das absehbare Aus dieser Technologie und die absehbare Verdrängung durch alternative Antriebe und Kraftstoffe muss heute schon darüber nachgedacht werden, wie das Produkt in den nächsten zehn Jahren ersetzt werden kann.

Die Zukunft des Standortbetriebs

Aus Sicht der IGBCE bleibt Marl auch nach dem Verkauf der C4-Chemie und des TAA-Geschäfts ein wichtiger Standort, da Evonik hier in der Doppelrolle als Standortbetreiber des Chemieparks und als größter Betrieb mit den meisten Beschäftigten von zentraler Bedeutung ist. Offen ist aktuell noch, wie sich die sinkende Zahl der Evonik-Beschäftigten auf den Chemiepark auswirkt. Von den mehr als 10.000 Beschäftigten stellt Evonik als Chemieparkbetreiber noch gut 55 Prozent, und mit der Abgabe der Geschäfte sinkt auch der Evonik-Anteil an den Gesamtkapazitäten. „In Marl sind die personellen, maschinellen und technologischen Verflechtungen der Betriebe untereinander unmittelbar ersichtlich – mit allen Vor- und Nachteilen“, sagt Alexandra Krieger, Mitglied im Aufsichtsrat der Evonik Industries AG und Bereichsleiterin im Controlling der IGBCE. In der aktuellen Krise müsse man die Politik und die Gesellschaft immer wieder auf diese Zusammenhänge aufmerksam machen, um Fehlentscheidungen vorzubeugen.

Die Zukunft als Standortbetreiber hängt davon ab, dass die angebotenen Leistungen auch abgerufen werden, und das von möglichst vielen Kunden. Das Problem: Das Geschäft ist extrem kapitalintensiv. Ein Beispiel: Für die Wiederbeschaffung des alten Starkstromnetzes sind Millionen an Investitionen erforderlich. Der Deutschlandpakt garantiert der Division Technology & Infrastructure zwar einen dauerhaften Verbleib im Evonik-Konzern, aber nicht um jeden Preis, sondern unter der Voraussetzung, dass das Segment neben seinen technologischen Dienstleistungen auch wirtschaftlich bestimmte Ziele erreicht. Je höher die Standort-Auslastung, desto positiver wirkt sich das aus. Denn je besser die Auslastung, desto breiter verteilen sich die hohen Betriebs- und Instandhaltungskosten auf die Standortbetriebe. Vor dem Hintergrund sagt Alexandra Krieger: „In der Mitbestimmung werden wir unser Augenmerk daher vor allem auch auf die Ansiedlungspolitik und die Investitionsstrategie legen“.

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