Tarifrunde #chemie22

Brücke in den Herbst gebaut

In der zweiten Runde der Chemie-Tarifverhandlungen konnten sich IGBCE und der Arbeitgeberverband BAVC nach intensiven Gesprächen auf ein Zwischenergebnis verständigen. Die 580.000 Tarifbeschäftigten der Branche erhalten eine einmalige Brückenzahlung in Höhe von 1400 Euro. Auch bei weiteren Themen gab es eine Einigung. Im Herbst wird weiter verhandelt.

IGBCE-Verhandlungsführer Ralf Sikorski präsentiert das Verhandlungsergebnis.

IGBCE-Verhandlungsführer Ralf Sikorski präsentiert das Verhandlungsergebnis.

Foto: © Andreas Reeg

Die Erleichterung war IGBCE-Verhandlungsführer Ralf Sikorski anzumerken, als er am Dienstagvormittag vor die Bundestarifkommission trat. Bis tief in die Nacht hatten IGBCE und BAVC zuvor in kleiner Runde miteinander gerungen, um für die 580.000 Tarifbeschäftigten der Chemie-Branche eine finanzielle Brücke zu bauen, die die explodierenden Energiepreise und hohen Teuerungsraten ausgleicht und zugleich die Unternehmen in dieser schwierigen Lage nicht überfordert. Am frühen Dienstagmorgen schließlich einigten sich die Sozialpartner auf ein verantwortungsvolles Zwischenergebnis, das den Anforderungen gerecht wurde.

Die Lösung sieht folgendermaßen aus: Die Beschäftigten erhalten spätestens im Mai eine Brückenzahlung von einmalig 1400 Euro – das entspricht im Durchschnitt über alle Entgeltgruppen einem Volumen von 5,3 Prozent. In wirtschaftlich angeschlagenen Betrieben kann die Brückenzahlung auf 1000 Euro reduziert werden. Auszubildende erhalten 500 Euro pro Kopf. Die Zwischenlösung überbrückt den Zeitraum von sieben Monaten bis Oktober – dann sollen die Tarifverhandlungen fortgesetzt werden, um zu klären, inwieweit die kurzfristig gegen die ausufernde Inflation wirkende Entlastung in eine nachhaltige, tabellenwirksame Entgelterhöhung überführt werden kann.

„In dieser Zeit großer Unsicherheit für Beschäftigte wie Unternehmen mussten wir eine Lösung finden, die Inflationslinderung mit Beschäftigungssicherung verbindet“, kommentierte IGBCE-Chef  Michael Vassiliadis. „Mit diesem Kompromiss werden die Beschäftigten sofort entlastet und die wirtschaftliche Entwicklung engmaschig bewertet. Unser Ziel bleibt die dauerhafte Steigerung der Entgelte noch in diesem Jahr.“ Von der Brückenzahlung würden niedrigere Lohngruppen überdurchschnittlich profitieren – und das sei auch das Ziel gewesen. „Sie sind es, die besonders unter den aktuellen Preisschüben leiden.“ Das erklärte auch IGBCE-Verhandlungsführer Ralf Sikorski: „Die unteren Lohngruppen spüren die Preisentwicklung am heftigsten.“

 Er sagte zudem, dass es ein „langer, beschwerlicher  Weg“ gewesen sei, die Arbeitgeber auf die angebotene „Brücke über das Tal der wirtschaftlichen Unsicherheit“ mitzunehmen. „Diese Zwischenlösung ist alles andere als unsere Wunschvorstellung. Aber sie gibt uns die nötige Atempause, um die geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der kommenden Monate abzuwarten und diese Tarifrunde auf Basis einer dann hoffentlich klareren Datenlage im Herbst fortzusetzen.“ Bei der dann dritten Verhandlungsrunde vermutlich im Oktober strebe man eine tabellenwirksame Erhöhung der Entgelte an. IGBCE-Chef Michael Vassiliadis hob ebenfalls die Sondersituation hervor: „Ein solches Umfeld für eine Tarifrunde hatten wir noch nie.“ Angesichts der explodierenden Energiekosten, der hohen Teuerungsraten und der weiteren Verschärfung der Situation durch die Ukraine-Krise hätte man nahezu stündlich prüfen müssen, „ob sich an den Bedingungen etwas geändert habe“. Das Zwischenergebnis beweise allerdings, dass die IGBCE nicht nur in der Lage sei, die Realität anzuerkennen, sondern sie auch zu verarbeiten.  

In Wiesbaden konnten sich die Sozialpartner zudem auf weitere Punkte einigen:

  • Die Schichtzulage für die besonders belasteten Nachtschichten werden einheitlich auf 20 Prozent angehoben. Das entspricht einem Lohnplus von 1,7 Prozent für die betroffenen Beschäftigten.
  • Mit dem Förderprogramm „AusbildungPlus“ soll die Ausbildung in kleinen und mittleren Unternehmen gestärkt und Pandemie-bedingte Defizite der Ausbildungs- und Prüfungsjahrgänge 2022 und 2023 ausgeglichen werden. Es werden drei Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um zusätzliche Lernunterstützung und Hilfe bei der Prüfungsvorbereitung zu bieten.
  • Beim Punkt Mobiles Arbeiten einigten sich IGBCE und BAVC darauf, die Auswirkungen des Mobilen Arbeitens in einer Studie wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Ergebnisse sollen im Laufe des Jahres 2023 vorliegen, dann wird darüber gesprochen, ob möglicherweise tarifpolitische Maßnahmen etwa bei Arbeitsorganisation und Arbeitsschutz notwendig sind.  
  • Beide Seiten haben sich zudem auf Eckpunkte eines Tarifvertrags zur Einführung des so genannten Sozialpartnermodells verständigt, der bis zur Jahresmitte stehen soll. Das Sozialpartnermodell soll die betriebliche Altersvorsorge attraktiver machen, indem es die Möglichkeit für andere Anlageformen und damit höhere Zinsen eröffnet.

Die rund 100 Mitglieder der Bundestarifkommission reagierten positiv auf das ausgehandelte Zwischenergebnis: Sie nahmen die Lösung einstimmig an.

Monika Kraus, Mitglied der Bundestarifkommission und Betriebsrätin bei Siemens Healthcare Diagnostics Products, in Marburg, erklärte: „Dieses Zwischenergebnis ist ein Hammer. Die Mitarbeiter haben ihren Anteil an den teils sehr guten Umsätzen der Branche verdient. Ich bin hochzufrieden.“ Die Übergangslösung sei um so höher einzuschätzen, da die Arbeitgeberseite „immer wieder bei Null“ angefangen habe. „Es ist toll, wie unsere Achter-Kommission die Arbeitgeber immer wieder ins Boot geholt hat“

Auch Tarifkommissionsmitglied Marianne Mähl, Vize-Betriebsratsvorsitzende am Bayer-Standort Frankfurt/Höchst, sagte: „Ich bin überrascht, wie gut das Zwischenergebnis ausgefallen ist. Nach der Blockiererei der Arbeitgeberseite hatte ich nicht erwartet, dass überhaupt eine Lösung gefunden werden kann – und dann noch so eine gute.“

Axel Hofmann, Betriebsrat bei Abbvie am Standort Ludwigshafen, freute sich ebenfalls über das „sehr gute Zwischenergebnis. Es war nicht abzusehen, dass wir überhaupt eine Lösung hinkriegen“. Diese sei angesichts der wirtschaftlichen Gesamtlage und des Ukraine-Kries „um so höher zu bewerten“. Ähnlich äußerte sich Stefan Kesser, Betriebsratsvorsitzender bei Infraserv Technik in Wiesbaden: „Ich finde es super, dass 1400 Euro für unsere Kollegen ausgehandelt werden konnten. Das hätte ich so nicht vermutet. Um so zufriedener bin ich jetzt.“

Das waren die Verhandlungen in Wiesbaden

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