Betriebsverfassung

Schmoldt: Schluss mit der fundamentalistischen Debatte

Hannover (12. Februar). Zur Auseinandersetzung um die Reform der Betriebsverfassung erklärt der IG-BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt:

  1. Das Betriebsverfassungsgesetz ist beinahe 30 Jahre alt, es spiegelt die betriebliche Wirklichkeit der späten 60er Jahre. Seither hat sich einiges verändert. Viele Unternehmen richten sich strategisch neu aus, konzentrieren sich auf ihre Kerngeschäfte, gliedern in ganz erheblichem Umfang aus. Gleichzeitig hält der Fusionsprozess unvermindert an. Die Paragrafen des Betriebsverfassungsgesetzes decken die Wirklichkeit nur noch zu einem Teil ab. Es besteht akuter Modernisierungsbedarf, eine Reform ist überfällig.

  2. Die Mitbestimmung auf betrieblicher wie auf Unternehmens-Ebene zählt zu den herausragenden Standortvorteilen der Bundesrepublik. Konfliktregelung im Geist der Sozialpartnerschaft hat sich bewährt.

    Der Globalisierungsprozess birgt große Chancen, andererseits müssen strukturelle Brüche abgefedert und sozialverträglich gemeistert werden. Mitbestimmung ist dazu eine unerlässliche Voraussetzung. Sozialpartnerschaft kann nur auf Augenhöhe funktionieren.

  3. Zu den Kernelementen der Reform gehören vereinfachte Wahlverfahren bei den Betriebsratswahlen, vereinfachte und verbesserte Freistellungsmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter und eine Ausweitung der Informations- und Initiativrechte der Betriebsräte. Unverzichtbar ist zudem der Vorrang von Tarifverträgen vor Betriebsvereinbarungen. Tarifautonomie und Flächenverträge gehören zu den Eckpfeilern einer sozialen Marktwirtschaft.

  4. Der von Bundesarbeitsminister Walter Riester vorgelegte Entwurf ist auf scharfe Kritik gestoßen. Manche Verbandsvertreter der Arbeitgeber tun so, als solle die Mitbestimmung qualitativ ausgeweitet werden und unterstellen gar eine Unvereinbarkeit mit der Verfassung. Dies ist dummes Zeug, ein Systemwechsel lässt sich aus dem Entwurf in keiner Weise ableiten.

    Dem BDI-Präsidenten Rogowski blieb es vorbehalten, den bisherigen Tiefpunkt in einer niveaulosen und intellektuell armseligen Arbeitgeber-Kampagne zu setzen. Dies gilt insbesondere für seine Anmaßung, den Bundeskanzler vor einem »Kniefall vor den Gewerkschaften« zu »warnen«. Dies ist unwürdig und entspricht in keiner Weise der Rolle des BDI in einer parlamentarischen Demokratie.

    Auch Rogowskis Unterstellung, bei der Reform gehe es nicht um die Arbeitnehmer, sondern um zusätzliche Gewerkschaftssekretäre, ist schlicht unverschämt.

  5. In der seriöseren Detaildiskussion sind insbesondere die vorgesehenen verbesserten Freistellungsmöglichkeiten für Betriebsräte auf Kritik gestoßen. Angeblich hätten die mittelständischen Unternehmen zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe zu tragen. Diese »Modellrechnungen« übersehen, dass bereits heute die Betriebsräte im Bedarfsfall jederzeit von der Arbeit freigestellt werden müssen. Im Übrigen liegt eine funktions- und arbeitsfähige Arbeitnehmervertretung durchaus im wohlverstandenen eigenem Interesse der Unternehmen. Die »Dividende« lässt sich hier nicht exakt ausrechnen, einen Hinweis liefert jedoch ein Blick auf die Arbeitskämpfe. In den USA sind in den letzten beiden Jahren durchschnittlich 43 Arbeitstage pro Tausend Beschäftigte durch Streiks verloren gegangen. In Deutschland waren es weniger als fünf.

  6. Debatten nach fundamentalistischer Manier sind sinnlos, das Beharren auf Maximalpositionen führt in die Sackgasse. Führende Vertreter der Arbeitgeberverbände wären gut beraten, zu einer vernunftorientierten Politik des Dialogs zurückzukehren. Alle Beteiligten müssen gesprächsfähig bleiben und darauf achten, dass ihre Kompromissfähigkeit nicht Schaden nimmt.

  7. Am kommenden Mittwoch wird die Reform der Betriebsverfassung im Bundeskabinett beraten. Auch danach wird sich die Welt weiter drehen. Die Eckpunkte der Reform stehen, daran lassen wir nicht rütteln. Eine erneute Grundsatzdiskussion ist überflüssig. Es ist jedoch keineswegs ausgeschlossen, dass es im parlamentarischen Beratungsprozess noch zu Änderungen in Detailfragen oder Ergänzungen kommt. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Verbandsvertreter der Arbeitgeber über kein Exklusivrecht für Modifizierungswünsche verfügen.

    Im Übrigen würde ich es nicht in Kauf nehmen wollen, dass Minister Werner Müller glaubt, zurücktreten zu müssen. Es gibt dafür keinen Grund. Dass der Wirtschaftsminister sich für seine Positionen einsetzt, ist selbstverständlich; das zählt zu seinen Aufgaben. Aber man muss sich nicht immer für etwas einsetzen und das mit einer Rücktrittsdrohung verbinden.