Gemeinsame Erklärung von IG Metall und IG BCE zur Zukunft der Automobilzulieferindustrie

Auf der von IG Metall und IG BCE gemeinsam veranstalteten Konferenz "Zukunftsperspektiven für die Automobilzulieferindustrie - Innovation, Wachstum und Beschäftigung" haben Berthold Huber (2. Vorsitzende der IG Metall) und Michael Vassiliadis (Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IG BCE) heute in Berlin eine Erklärung vorgestellt.- Der Wortlaut:

"Die Automobilindustrie ist die wichtigste industrielle Schlüsselbranche in Deutschland. Insgesamt sind 5,3 Millionen Arbeitsplätze direkt oder indirekt mit diesem Sektor verknüpft. Die Automobilzulieferindustrie bildet einen wesentlichen Teil der Branche. Aus ihr kommt die überwiegende Zahl grundlegender Innovationen. Immer mehr Leistungen bei Produktion und Entwicklung werden von Zulieferern übernommen. Zudem ist die Zulieferindustrie der führende Job-Motor in Deutschland. In ihr arbeiten mittlerweile rund dreimal so viel Menschen als bei den Endherstellern selbst.

Der globale Wettbewerb, der Kosten- und Preisdruck der Hersteller, der Anstieg der Material- und Energiepreise bis hin zum Verhalten von Banken und Finanzinvestoren üben enormen Druck auf die Automobilzulieferindustrie aus. Das führt zu einen beschleunigten Konzentrationsprozess und einer Verlangsamung des Innovationstempos.

Fehlende Finanzmittel und die im Vergleich zu anderen Branchen unterdurchschnittliche Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung begrenzen die Ausschöpfung von Wachstumschancen eines Großteils der Zulieferer. Ein relevanter Teil der Unternehmen kann die erforderlichen Investitionen nicht mehr schultern. Aufgrund der restriktiveren Kreditpolitik der Banken ("Basel II") und der abnehmenden Bereitschaft, Risikokapital für Innovationen bereitzustellen, bleiben notwendige Zukunftsinvestitionen aus. Finanzinvestoren sorgen auch im Zulieferbereich für zusätzliche Risken.

Die Branche steht deshalb vor einem enormen Widerspruch: Auf der einen Seite bestehen in den nächsten Jahren insbesondere bei technologiegetriebenen neuen Modulen und Komponenten die größten Wachstumschancen für die deutsche und europäische Autozulieferindustrie, die es je gab. Auf der anderen Seite fehlen oft die finanziellen Ressourcen, um an diesem Wachstum teilhaben zu können. Diese Hemmnisse für Innovationsfähigkeit und Wachstum gilt es zu beseitigen.

Die langfristigen Zukunftschancen von Unternehmen, Standorten und Belegschaften in der Zulieferindustrie dürfen nicht verspielt werden. Zukunftschancen sind durch die kurzfristige Orientierung auf höchste Renditen sehr stark gefährdet. Die Zeche für diese verfehlte Politik zahlen vor allem die Belegschaften. Wir brauchen daher eine Initiative, um die Innovationsfähigkeit der deutschen Zulieferindustrie zu stärken. Nur so lassen sich neue Wachstums- und Beschäftigungschancen erschließen.

Deshalb schlagen IG Metall und IG BCE eine Initiative "Zur Zukunft der Automobilzulieferindustrie" vor. Sie richtet sich an alle Akteure in der Branche.

Wir brauchen: 1. Verbesserte Finanzierungsgrundlagen für Innovation und Wachstum
Innovationsbereitschaft wird heute weder belohnt, noch ausreichend gefördert. Die Steuerpolitik benachteiligt Mittelständler, die einbehaltene Gewinne reinvestieren. Eigenkapitalbildung und die Reinvestition von Gewinnen müssen deshalb steuerlich gefördert werden.

Private Equity-Fonds (Privates Beteiligungskapital) dürfen zukünftig nicht nur als "vermögensverwaltende Einheiten" betrachtet und von der Gewerbesteuer befreit werden. Das muss das von der Bundesregierung geplante Gesetz zu Private Equity berücksichtigen. Wir brauchen einen verbindlichen Verhaltenskodex für Finanzinvestoren. Der Ausplünderung und Zerstörung stabiler Unternehmen muss endlich ein wirksamer Riegel vorgeschoben werden. Die Bereitstellung von langfristig angelegtem Risikokapital ("Venture Capital") sollte hingegen steuerlich begünstigt werden. Banken müssen mehr als bisher - insbesondere langfristiges Risikokapital - für Innovationen bereitstellen.

2. Partnerschaftliches Verhältnis von Herstellern, Zulieferern und Vorlieferanten für mehr Innovationsdynamik
Die größten Preisdrücker unter den Automobilherstellern sind zugleich auch die Verlierer im Wettbewerb. Sie setzen auf kurzfristige Effekte und vernachlässigen die nachhaltige Entwicklung der Produkte und der Unternehmenswerte. Hersteller dagegen, die partner¬schaftlich mit ihren Lieferanten umgehen, wachsen kontinuierlich und bringen positive Ergebnisse hervor.

Mehr Innovationsdynamik der gesamten Branche braucht:

  • Partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen, bei denen Leistungen und Gegenleistungen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen und ein ausreichender Finanzierungs- und Investitionsspielraum für Zulieferer erhalten bleibt.

  • Innovationsfähigkeit und Qualität vor Kosten. Auch die Gewerkschaften fordern die Einhaltung des entsprechenden VDA-Kodex!

  • Eine langfristige Auftragsgestaltung der Herstellergegenüber Lieferanten. Das bildet die Basis für Planbarkeit und Verlässlichkeit. Vorleistungen, insbesondere Entwicklungsleistungen müssen entgolten, geistiges Eigentum muss geachtet werden.

  • Faire Zusammenarbeit im Verhältnis zwischen Vorproduzenten und Automobilzulieferern , damit Synergien für innovative Produkte und Materialien entstehen können. Reine Preispolitik der Vorproduzenten führt hingegen zum Verlust der Kunden. Die Definition gemeinsamer Ziele und die Sicherheit langfristiger Geschäfts¬beziehungen sind die Basis für Erfolg in dieser Branche.

3. Stärkung der Innovationskraft auf der betrieblichen Ebene statt purer Kostensenkung und vorschneller Verlagerung
Betriebe, die auf bessere Qualität, bessere Produkte, bessere Arbeits- und Fertigungsprozesse und bessere Mitbestimmung setzen, arbeiten langfristig erfolgreicher. Betriebe, die dagegen nur auf Absenkung der Lohnkosten und Verschlechterung tarifvertraglicher Leistungen setzen, gehen den falschen Weg. Diese Unternehmen bauen keine neuen Stärken auf, sondern versuchen ihre Schwächen mit Billigproduktion zu überdecken. Das ist kein zukunftsfähiges Konzept. Damit gehen Arbeitsplätze in Deutschland verloren. Systematische Modernisierung an deutschen Standorten dagegen sichert Arbeitsplätze.

In den Betrieben geht es heute mehr denn je um die Entwicklung intelligenter Strategien jenseits von Entlassungen und Einkommensverzicht. Das heißt vor allem, Defizite frühzeitiger zu erkennen und Chancen konsequent anzupacken.

Für den langfristigen Unternehmenserfolg sind Prozessinnovationen genauso wichtig wie Produktinnovationen. In vielen Unternehmen bilden nicht Ideen und technologisches Know-How den Engpass, sondern Prozesse, organisatorische Abläufe und die Konsequenz in der Umsetzung. Nachhaltige Innovationsfähigkeit ist nicht nur durch neue Produkte, Prozesse und organisatorische Lösungen, sondern vor allem auch durch den richtigen Umgang mit Wissen und Qualifikation zu sichern. Dies sind die wichtigsten Ressourcen im Wettbewerb. Nur mit gut qualifizierten und hoch motivierten Belegschaften kann in unserer Zulieferindustrie die Innovationsführerschaft gesichert werden. Qualifikation ist Voraussetzung für Innovation und damit zentraler Faktor für Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit.

Die Unternehmen sollen zusammen mit unseren Betriebsräten innovative Organisationsstrukturen, Prozesse und Arbeitsinhalte schaffen, um über diesen Weg die Leistungsfähigkeit und Standortqualität zu verbessern. Qualifizierung und Weiterbildung müssen einen bedeutend höheren Stellenwert als bisher erhalten. Gewerkschaften und Betriebsräte werden in Aufsichtsräten und Wirtschaftsausschüssen eine detaillierte Innovationsplanung einfordern und diese kritisch begleiten.

4. Initiativen zur Innovationsführerschaft bei Verbrauch, Umweltschutz und Sicherheit
Die deutsche Automobilindustrie hat in einigen Bereichen heute schon die Innovationsführerschaft, so beispielsweise bei den Diesel-Technologien. Diese Lösungen sind nicht nur umweltschonend, sie tragen auch zum Wachstum bei. Dies reicht aber nicht aus. In Zukunft müssen wir die Innovationsführerschaft in Sachen Verbrauch, Umweltschutz und Sicherheit in den wesentlichen Segmenten des Produkts und bei den Mobilitätslösungen erreichen.

Die Clean-Diesel-Technologie muss so rasch wie möglich auch in die Fahrzeuge des Massensegments eingeführt werden. Auch beim Ottomotor sind die Potentiale für Energieeffizienz noch lange nicht ausgeschöpft. Weitere Verbesserungen können durch Forschungskooperationen erzielt werden, bei denen sich die Mittel auf mehrere Schultern verteilen lassen. Auch die Weiterentwicklung von Kraftstoffzusätzen und anderen Automobilflüssigkeiten, die zur Verringerung von Emissionen führen, ist eine gemeinsame Aufgabe.

Ein wichtiges Feld sind die Hybrid-Lösungen. Hier muss es gelingen, innerhalb kürzester Zeit in eine technologische Führungsrolle zu kommen. Letztlich gehört auch der Bereich der Gewichtsreduzierung durch den Einsatz leichterer Materialien (z. B. Kunststoffe) zu den Beispielen von Innovationsführerschaft.

IG Metall und IG BCE begrüßen die "konzertierte Aktion" auf der Forschungsebene unter der Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, bei der Hersteller und Zulieferer beteiligt sind. Dabei sollte es nicht nur um mittelfristig erreichbare Innovationen am Fahrzeug, sondern auch um Langfristkonzepte wie Verkehrssysteme und Infrastruktur der Zukunft, sowie alternative Antriebskonzepte wie etwa die Brennstoffzelle gehen. Gerade im Bereich von Verkehrsleitsystemen und Telematik sollte der ehrgeizige Anspruch verfolgt werden, zum weltweit führenden Anwender - und damit auch zum Anbieter - von Spitzenlösungen bei Mobilität, Verbrauch und Sicherheit zu werden.

In all diesen Feldern ist die Automobilzulieferindustrie ein wichtiger Kooperationspartner. Die Zulieferindustrie hat das Know-how und das Potential für Spitzenlösungen. Was sie braucht sind die innovationsförderlichen Rahmenbedingungen und die finanziellen Mittel.

Für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigungsentwicklung des Standorts ist die Innovationskraft der Unternehmen entscheidend. Um die Innovationsbarrieren zu überwinden und um die Innovationsfähigkeit dieser Branche deutlich zu verbessern, müssen alle Akteure ihren Beitrag leisten: Politik, Hersteller und Zulieferer, Vorlieferanten, Verbände, Gewerkschaften, Banken, Management und Betriebsräte."