Spitzengespäch IG BCE und BAVC / Gemeinsames Kommuniqué

Die Tarifautonomie wahren

Sozialpartner lehnen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn ab

Hannover. Der geschäftsführende IG BCE-Hauptvorstand unter Leitung von Hubertus Schmoldt und Vorstand sowie Geschäftsführung des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC) unter Leitung von Eggert Voscherau sind am Donnerstag (11. Mai) zu einem Spitzengespräch zusammengekommen. Bestimmende Themen waren die Debatte um einen gesetzlichen Mindestlohn, Ausbildungsfragen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Altersvorsorge und die Zukunft der Berufsgenossenschaften.

Mindestlohn

Die Chemie-Sozialpartner lehnen die Einführung eines einheitlichen, branchenübergreifenden, gesetzlichen Mindestlohns aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Eine solche Regelung würde die Tarifautonomie nachhaltig beschädigen und zugleich das Ende der branchenspezifischen Tarifpolitik einläuten.

Nach übereinstimmender Auffassung wird der Mindestlohn von den jeweils gültigen Tarifverträgen definiert. Ausschließlich in den Branchen und Bereichen, wo keine Tarifverträge zur Geltung kommen,  können  Mindestlöhne sinnvoll und erforderlich sein.

Dazu ist allerdings kein neues Gesetz erforderlich, vielmehr müssen bereits vorhandene Regelungen (Mindestlohngesetz von 1952, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen und das Arbeitnehmerentsendegesetz) überprüft und gegebenenfalls nachjustiert werden.

Ausbildung

Die Berufsausbildung zählt nach übereinstimmender Auffassung zu den Pluspunkten Deutschlands im internationalen Wettbewerb. Die Chemie-Sozialpartner haben aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen ein hohes Interesse an einer Stärkung des dualen Systems.

Die Politik setzt den Rahmen, die Wirtschaft hat ihre Verantwortung wahrzunehmen. BAVC und IG BCE sind mit dem Tarifvertrag „Zukunft durch Ausbildung" ihrer Mitgestaltungsaufgabe gerecht geworden. Dieses Abkommen legt fest, dass das Ausbildungsplatzangebot bis 2007 schrittweise um rund sieben Prozent erhöht wird. Diese Vorgaben wurden in den letzten Jahren nicht nur eingehalten, sondern regelmäßig übertroffen.

Am Chemiebeispiel zeigt sich erneut, dass es keiner gesetzlichen Regelungen bedarf, um die Ausbildungsfrage vernünftig und zukunftsorientiert zu lösen.

Die Chemie-Sozialpartner müssen jedoch auch zur Kenntnis nehmen, dass in anderen Branchen die eingegangenen Selbstverpflichtungen nicht erfüllt worden sind. Der Appell des Bundespräsidenten in seiner Neujahrsrede ist klar und unmissverständlich.

Die Diskussion um die Einführung einer Abgabe für ausbildungsunwillige Unternehmen hat deshalb neue Nahrung bekommen. BAVC und IG BCE bleiben bei ihrer ablehnenden Haltung. Eine solche Abgabe würde absehbar das Problem nicht lösen, sondern dazu führen, dass sich Unternehmen aus ihren Verpflichtungen gleichsam freikaufen. Auf diese Weise würde einer Erosion des bewährten dualen Systems Vorschub geleistet.

Eine solche Entwicklung stünde den ökonomischen und sozialen Erfordernissen entgegen. Die Chemie-Sozialpartner schlagen deshalb vor, dass die Bundesregierung zu einem Gespräch „Zukunft der dualen Berufsausbildung" einlädt. Ziel wäre es, Vorschläge zu entwickeln, die das duale System fit für die Zukunft machen.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

IG BCE und BAVC begrüßen die Ankündigung der Bundesregierung, ein Elterngeld einzuführen. Diese Maßnahme ist ein wichtiger Beitrag, um Beruf und Familie besser vereinbaren zu können.

Einen besonderen Stellenwert muss außerdem der Aufbau und die Erweiterung der Kinderbetreuung erhalten. Die Unternehmen können dem Staat seine Verantwortung hierfür nicht abnehmen. Sie können aber durch ergänzende Maßnahmen wichtige Beiträge leisten, um Familien zu unterstützen. BAVC und IG BCE setzen sich für eine familienbewusste Personalpolitik ein.

Altersvorsorge

1998 haben BAVC und IG BCE die tarifliche Altersvorsorge auf den Weg gebracht. Dieser Vertrag wurde mehrfach erweitert und materiell verbessert. Die Chemie-Altersvorsorge ist besonders attraktiv für die Arbeitnehmer.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Rentendebatte gewinnt das Chemie-Modell zusätzliches Gewicht. IG BCE und BAVC betonen, dass die tarifliche Altersvorsorge dauerhaft nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie von der Politik gefördert wird.

Auf Entgelt, das in die zusätzliche Altervorsorge fließt, müssen derzeit keine Sozialabgaben bezahlt werden. Diese Regelung soll jedoch 2008 auslaufen. IG BCE und BAVC fordern im Interesse des dringend notwendigen Aufbaus der kapitalgedeckten Zusatzversorgung, dass die Beitragsfreiheit der Entgeltumwandlung erhalten bleibt.

Betriebsratswahlen

Die bisher vorliegenden Ergebnisse der Betriebsratswahlen 2006 bestätigen die gewachsene Kultur der Sozialpartnerschaft in der chemischen Industrie. Starke Betriebsräte sind eine Voraussetzung für fairen Interessenausgleich und gemeinsame Verantwortung, für Teilhabe und Mitwirkung.

In der betrieblichen Praxis findet die Idee der Mitbestimmung ihren alltäglichen Ausdruck. Sie ist ein wesentliches Moment der deutschen Sozial- und Wirtschaftsverfassung. Die gelebte Kultur der betrieblichen Mitbestimmung zählt zu den Pluspunkten Deutschlands im internationalen Wettbewerb.

Berufsgenossenschaft

Die Sozialpartner stimmen überein, dass die gesetzliche Unfallversicherung ein wichtiger Bestandteil des Systems der sozialen Sicherung in Deutschland ist. Das System bietet eine erfolgreiche Absicherung vor den Risiken des Arbeitslebens für die Unternehmen und für die in den Unternehmen tätigen Versicherten. Die  gesetzliche Unfallversicherung muss auch unter veränderten Rahmenbedingungen leistungsfähig und praxisorientiert bleiben.

IG BCE und BAVC begrüßen deshalb die Überlegungen der Bundesregierung, die gesetzliche Unfallversicherung zu modernisieren und zukunftssicher zu gestalten.

Hierfür muss es bei einer branchenbezogenen Struktur der gesetzlichen Unfallversicherung bleiben. Ihre Vorteile im Bereich der Prävention sind nicht zu übersehen. Ihre praxisorientierte Selbstverwaltung sorgt für hohe Effizienz.

Aus diesem Grund lehnen die Chemie-Sozialpartner eine bundesweit einheitliche Unfallversicherung ab.