Abschied von der Steinkohle

„Dieses Land braucht mehr Kumpelkultur“

Mit einer letzten symbolischen Förderung in der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop verabschiedet sich Deutschland nach mehr als 200 Jahren vom industriellen Steinkohlenbergbau. Während der zentralen Abschiedsveranstaltung, zu der unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet und Michael Vassiliadis, Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), erwartet werden, fördern die Bergleute das letzte Stück Steinkohle aus der Schachtanlage zutage.

Abschied von der Steinkohle
Foto: © Frank Rogner

„Mit der Schließung der letzten Zeche hier in Bottrop geht heute eine industrielle Ära zu Ende, die Deutschland und speziell das Ruhrgebiet tief geprägt hat. Wir verabschieden uns von einer Industrie, die Deutschland stark und reich gemacht hat – und das nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell, charakterlich und gesellschaftlich“, betont Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE.

Vor allem die große Solidarität und das Miteinander der Bergleute seien legendär – nicht nur bei der Arbeit vor Kohle, sondern auch mit Blick auf das Zusammenleben über Tage. In unserer auseinanderdriftenden Gesellschaft müssten alle gesellschaftlichen Akteure für diese Tugenden stärker einstehen denn je, forderte Vassiliadis. „Dieses Land braucht wieder mehr Kumpelkultur!“

Das Ende des Steinkohlenbergbaus stellt auch für die IG BCE einen historischen Einschnitt dar. Innerhalb von 60 Jahren sind in Deutschland 600.000 Arbeitsplätze im Steinkohlenbergbau verloren gegangen. Schon vor gut einem Jahrzehnt hatten Gewerkschaft, Politik und Unternehmen das Ende der Steinkohlenförderung eingeleitet. Dabei stellte der Strukturwandel nicht nur die betroffenen Regionen vor enorme Herausforderungen.

Vassiliadis: „Das Ende des Steinkohlenbergbaus trifft besonders die Menschen immer noch hart, die sich für eine sichere Energieversorgung Deutschlands jahrzehntelang krumm gemacht haben. Wir haben als IG BCE dafür gesorgt, dass niemand ins Bergfreie gefallen ist. Das war ein gewaltiger Kraftakt, aber auch eine soziale Errungenschaft, die nicht hoch genug geschätzt werden kann.“

Die IG BCE und ihre Vorgängergewerkschaften haben einen großen Anteil daran, dass der gewaltige Personalabbau im Bergbau sozialverträglich gestaltet werden konnte. Dieser Prozess bedurfte vor allem in den vergangenen 25 Jahren einer großen personal- und tarifpolitischen Kreativität. Ein sinkendes Arbeitsvolumen auf mehr Schultern zu verteilen, Zechenschließung um Zechenschließung personell abzufedern, das waren gewaltige Herausforderungen. Diese haben auch die Tarifpolitik geprägt. Beispielsweise sind innovative Tarifverträge zu Teilzeitarbeit oder die frühe Einführung von Langzeitkonten tarifpolitische Antworten auf den Anpassungsprozess.

Heute ist der Personalabbau weitgehend bewältigt, viele Bergleute arbeiten in anderen Jobs. Dennoch warnt Vassiliadis: „Wir brauchen mehr neue Industrien und Unternehmen mit hoher Wertschöpfung und guter Arbeit. Damit gute Industriearbeit auch in Zukunft in Deutschland möglich ist.“