Digitales Betriebsratsfrühstück

„Aus den Worten muss jetzt Realität werden."

Wie geht die neue Regierung die Transformation an und was heißt das für Betriebsräte? Darüber hat der Vorsitzende der IGBCE, Michael Vassiliadis, mit Katja Paschke, Betriebsratsvorsitzende von Lloyd Shoes, Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender der Evonik Industries, und Kai Kuhlmann, Konzernbetriebsratsvorsitzender von ExxonMobil, bei einem digitalen Betriebsratsfrühstück diskutiert.

Online-Frühstück Wissen schafft Vorsprung

Online-Frühstück mit dem VCI, der IGBCE und Betriebsräten

Foto: © IGBCE Reupke

Zu Beginn der Veranstaltung wurden Videostatements von SPD, CDU und der Linken eingespielt. Was in allen Beiträgen zu hören war: Ohne starke Mitbestimmung lassen sich die Aufgaben der Transformation nicht bewältigen. Der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil sagte beispielsweise, dass die mit der Transformation verbundenen Herausforderungen nur im Kollektiv zu meistern seien. „Wir wollen bis 2045 klimaneutral werden, und das kann nur mit der Industrie gelangen und niemals ohne sie. Dafür braucht es eben auch starke Gewerkschaften“, so Klingbeil.

Auch beim digitalen Zugangsrecht waren sich die Parteien einig. „Betriebsratsarbeit sollte, wo gewünscht, online gestaltbar sein“, erklärte FDP-Frau Nicola Beer, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. „Unsere deutsche Mitbestimmung ist ein internationaler Standortvorteil. Sie entscheidet nicht über Köpfe hinweg, sondern bindet Menschen mit ein.“ Als ehemalige Jugendvertreterin sei es ihr wichtig, dass neue Technologien und Innovationen auch für die Betriebsratsarbeit genutzt werden. „Dafür brauchen wir rechtssichere Systeme für Video- und Telefonkonferenzen und auch Beschlussfassungen auf diesem Weg müssen möglich werden.“

In der anschließenden Diskussionsrunde sagte IGBCE-Chef Michael Vassiliadis über die Erwartungen an die neue Bundesregierung: „Was wir im Koalitionsvertrag lesen, sollten wir nicht mit fehlendem Vertrauen ausstatten, aber auch nicht romantisch betrachten." Wichtig sei am Ende, was wirklich dabei rumkomme. „Aus den Worten muss jetzt Realität werden", so Vassiliadis. Ein drängendes Problem sieht er etwa bei den Energiepreisen, die zunehmend nicht nur zur Verteilungsfrage, sondern zu einer Frage der Gerechtigkeit werden. Hier müsse die Politik schnell handeln.

Erwartungen an die neue Bundesregierung

Mit Blick auf die chemische Industrie fügte Evonik-Chef Christian Kullmann (zugleich Präsident des Verbands der Chemischen Industrie) an, dass inzwischen genug Papier beschrieben wurden sei. „Wir müssen jetzt pragmatisch handeln und industriepolitisch die Interessen der deutschen Volkswirtschaft berücksichtigen.“ Grundsätzlich freue er sich über die Treuebekenntnisse der Parteien, es gehe aber zu wenig darum, wie der Industriestandort Deutschland nicht nur den Status Quo erhalte. „Ich will, dass wir alle jeden Tag besser werden und gemeinsam wachsen. Nachhaltig wachsen für mehr Wohlstand in unserem Land.“ Wer ja sage zur Sozialen Markwirtschaft, der sage auch ja zur Mitbestimmung und zur Sozialpartnerschaft. „Und dann sind Betriebsräte und Gewerkschaften elementarer Bestandteil der Unternehmen.“

Kai Kuhlmann wünschte sich von der neuen Regierung, dass sich die betriebliche Mitbestimmung auf gesetzlicher Ebene weiterentwickelt. „Gesellschaftliche und politische Diskussionen rund um das Thema der Transformation, die nicht auf sachlicher Ebene stattfinden, führen in unserer Branche zu Fusionen, Verkäufen sowie Schließungen von Unternehmen“, sagte der Konzernbetriebsratsvorsitzende von ExxonMobil, einem US-amerikanischen Mineralölkonzern mit deutschem Hauptsitz in Hannover. „Und dann wird die jahrzehntelang aufgebaute Mitbestimmung in unserem Land zur Zitterpartie.“ Es sei deshalb Aufgabe der Koalition, im Zusammenspiel mit allen Beteiligten, Mittel und Wege zu erarbeiten, um die Transformation sozialverträglich zu gestalten.

Katja Paschke sah bei betrieblichen Veränderungsprozessen große Hindernisse, wenn es um betriebliche Mitbestimmungsrechte an den Standorten und bei der grundsätzlichen Beschäftigungssicherungen geht. „Da wird auf Konzernebene entschieden, ohne dass wir wirklich mit eingebunden werden – vor allem wenn es um Standortschließungen geht. Und das, obwohl wir die Kuh auch gemeinsam vom Eis holen könnten.“ Da gehe es nur um nackte Zahlen, um alles andere werde sich nicht mehr gekümmert. Der menschliche Aspekt falle komplett weg. „So wie wir das bei unserer Standortschließung 2020 erlebt haben“, erklärte die Betriebsratsvorsitzende von Lloyd Shoes, einem deutschen Schuhhersteller mit Sitz in Sulingen. „Als Betriebsrat wünschen wir uns da mehr Mitspracherecht und Unterstützung auf politischer Ebene.“

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