Landesbezirk Westfalen

"Den Geist der Zeit getroffen"

Viele Betriebsräte in der Chemieindustrie haben in diesem Jahr über die Verwendung des Zukunftsbetrags aus dem jüngsten Tarifabschluss "Moderne Arbeitswelt" verhandelt. Auch im Landesbezirk Westfalen ist die Umsetzung in vollem Gange.

Chemie Zukunftskonto

In 44 Prozent der Chemie-Betriebe haben sich Arbeitgeber und Betriebsräte in freiwilligen Betriebsvereinbarungen bereits darauf verständigt, welche Wahlmöglichkeiten sie den Beschäftigen zur Verfügung stellen. 

Foto: © Christian Burkert

Bei DuPont in Hamm wurde eine Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) abgeschlossen, die drei Wahloptionen möglich macht: Freizeit, Langzeitkonto oder Auszahlung. Alle Varianten sind auch untereinander kombinierbar. Beispielsweise einen Tag für die Freizeit zu nehmen und den Rest auf das Langzeitkonto zu packen. "Zu Beginn waren es schwere Verhandlungen", sagte Rolf Menke, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von DuPont.

Die Wahloption Freizeit sei vom Arbeitgeber anfänglich nicht gewünscht gewesen. "Hier mussten wir energisch darauf hinweisen, dass diese Option das Herz unserer Forderungen und somit nicht verhandelbar ist." Nachdem die möglichen Szenarien mehrfach durchgespielt wurden und die Arbeitgeberseite verstanden hatte, dass ein Scheitern der Verhandlungen für alle Beteiligten Nachteile mit sich bringt, seien die Verhandlungen sehr konstruktiv und kooperativ verlaufen.

Für den Zukunftsbetrag habe der Betriebsrat insgesamt viel Lob für die IG BCE vernommen. Alle Themen, die der Belegschaft wichtig waren, seien in dieser Runde angegangen worden. "Erstrangig natürlich der Zukunftsbetrag aber auch die im nächsten Jahr kommende Pflegezusatzversicherung – beides hat den Geist der Zeit getroffen." 80 Prozent der Kolleginnen und Kollegen hätten sich bei DuPont für die Freizeitoption entschieden – "das spricht Bände". Für DuPont sieht Rolf Menke inhaltlich daher keinen Optimierungsbedarf: "Der Abschluss ist wirklich toll gelungen."

Bei Evonik in Marl können sich die Beschäftigten neben Freizeitausgleich, Langzeitkonto oder Auszahlung auch für die Option Altersvorsorge entscheiden. Für dieses Jahr wählten über 54 Prozent von ihnen die Freistellung. Für die Beschäftigten, die in 12-Stunden-Schichten arbeiten, ist das im ersten Jahr ein zusätzlicher freier Tag. Bis 2022 kommt pro Jahr jeweils ein Tag dazu. Für den 24-Stunden-Dienst gibt es im ersten Jahr eine Auszahlung, 2021 eine Freischicht und 2022 zwei Freischichten.

Weil sich die Tarifvertragsparteien erst im Frühjahr 2020 darüber verständigt haben, welche Entgeltbestandteile bei einem Freistellungstag für die Wechselschichtler berücksichtigt werden müssen, hat die Gestaltung der Gesamtbetriebsvereinbarung bei Evonik länger gedauert. "Durch verschiedenste Schichtzulagen und andere Zuschläge war es schwierig, eine Entgeltart für den Freistellungstag zu definieren", sagt Sigrid Kappe, Betriebsrätin im Gemeinschaftsbetrieb Marl. "Es wäre einfacher gewesen, den Zukunftstag wie eine Altersfreizeit zu vergüten." Durch die Anwendung von Pauschalen sei allerdings eine absolut faire und transparente Lösung gefunden worden.

Einziger Wermutstropfen ist aus Kappes Sicht die sogenannte Stichtagsregelung. Die besagt, dass der Zukunftsbetrag pro Jahr nur für die Beschäftigten gilt, die am ersten Werktag eines Jahres Anspruch auf Entgelt haben. Das schließt Beschäftigte aus, die am Stichtag Krankengeld beziehen oder in Elternzeit sind. "Ein Eingeständnis bei den Tarifverhandlungen", vermutet Kappe. Das sei oft leider unumgänglich. "Eine Kompromisslösung erfordert eben Eingeständnisse auf beiden Seiten." Das Thema packe man aber sicher bei den nächsten Verhandlungen 2022 an.

"Die Corona-Krise verdeutlicht, was wir uns mit dem Zukunftskonto gedacht haben", sagt Katrin Locker, Fachsekretärin für Gute Arbeit und Demografie im IG-BCE-Landesbezirk Westfalen, "nämlich verstärkt auf die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen und auch in Zeiten von Fachkräftemangel sowie möglicher Leistungsverdichtung für Entlastung sorgen zu können."