Kein Überbietungswettbewerb bei Klimazielen

Delegierte der Landesbezirksdelegiertenkonferenz IG BCE wollen Wandel gestalten

Kritik am Überbietungswettbewerb der politischen Parteien bei den Klimazielen übte Landesbezirksleiter Ralf Becker auf der Online-Delegiertenkonferenz des Landesbezirks Nord am 29. Mai 2021 in Hannover.

IG BCE Nord Landesbezirksdelegiertenkonferenz

Michael Vassiliadis als Hauptredner der Landesdelegiertenkonferenz Nord in Hannover

Foto: © Cordula Kröpke

„Wir brauchen einen Wettbewerb um die besten Handlungskonzepte, um die Energiewende erfolgreich zu bestreiten“, forderte Becker vor 82 Delegierten und rund 90 Gästen an den Bildschirmen und bekundete den Willen der IG BCE, den anstehenden Wandel in den betroffenen Industriebranchen sozialverträglich mitzugestalten. Voraussetzung für die Umstellung der industriellen Prozesse auf klimaneutrale Produktionen sei zudem die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien, führte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil in seinem digitalen Grußwort aus. Ein Konzept für die Umsetzung vermisse er auch hier.

„Lasst uns heute Bilanz der letzte vier Jahre ziehen und dann gemeinsam an der Zukunft arbeiten“, eröffnete Jeannette Härtling, stellvertretende Landesbezirksvorsitzende, die erste Delegiertenkonferenz nach Schließung des letzten Steinkohlebergwerks in Ibbenbüren. Dass die IG BCE gestalten kann, hat sie bei der sozialverträglichen Transformation des Steinkohlesektors unter Beweis gestellt. In der sechsstündigen Sitzung wählten 82 Delegierten aus sieben Bezirken neue Gremien, besetzten Mandate und stimmten über 39 Anträge ab, die Arbeitsschwerpunkte für die Landes- und Bundesebene formulieren. Diese reichten von der Energie- und Mobilitätswende, der Mobilität der Auszubildenden in ländlichen Gebieten, gendersensible Digitalisierung bis hin zu Weiterbildungsthemen. Damit haben sie nicht zuletzt über die industrie-, sozial-, tarif- und organisationspolitische Neuausrichtung der IG BCE auf die kommenden vier Jahre entschieden. Endgültig beschließen wird darüber der 7.Ordentliche Gewerkschaftskongress Ende Oktober in Hannover. Die Delegiertenkonferenz markiert den letzten Zwischenschritt der internen Willensbildung vor dem Gewerkschaftskongress.

In seinem Rückblick auf die vergangenen vier Jahre beschrieb Ralf Becker einen erheblichen Rückgang der Mitgliederzahlen und machte Unternehmensschließungen, das Ende des Steinkohlebergbaus und die Corona-Krise dafür verantwortlich. „Aufgrund der Home-Office-Pflicht konnten unseren Betriebsrät*innen nur mehr sehr eingeschränkt neue Kolleg*innen werben. Auch die Kontaktaufnahme durch unsere Sekretär*innen war erschwert.“ Für die Zeit nach der Krise zeigte sich Becker optimistisch: „Trotz aller Schwierigkeiten in den Branchen werden wir weitere Verluste vermeiden und den Abwärtstrend stoppen.“ Er kündigte eine Werbeoffensive mit den Delegierten an, in 90 Tagen 90 neue Mitglieder zu werben.

Dass die Corona-Pandemie wie ein Brennglas bereits bestehende Probleme sichtbar macht, führte der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis in seinem Referat am Beispiel von Demographie und Fachkräftegewinnung aus. „Viele Unternehmen hatten bereits in wirtschaftlich guten Zeiten versäumt, für die Zukunft vorzubauen“, so Vassiliadis. Wer in der Krise seine Ausbildungsplätze nicht besetzt, werde beim Wiederanziehen der Wirtschaft den Fachkräftemangel deutlicher als zuvor spüren.

Forderungen nach Freigabe der Patente für Corona-Impfstoffe auch aus den Reihen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wies Vassiliadis als „populistische Debatte“ zurück. Solange es an Produktionsstätten fehle, sei dies für der Versorgung ärmerer Länder mit ausreichend Impfstoff nicht zielführend. Da die Impfstoffentwicklung beispielsweise bei Biontech jedoch mit öffentlichen Geldern unterstützt worden sei, erwartet Vassiliadis von dem Pharmahersteller, „dass er sich seinen gesellschaftlichen Pflichten stellt und in den Dialog mit der Gewerkschaft geht.“

Dass die IG-BCE und ihre Delegierten auch Politik machen, stellten sie mit einer Resolution gegen Rassismus und Antisemitismus unter Beweis. „Antisemitismus ist eine Gefahr, die tief in unserer Gesellschaft sitzt, der aktuelle Konflikt in Nahost hat nur dazu beigetragen, dass Antisemitismus wieder offenkundiger gelebt wird. Unser Mitgefühl gilt allen zivilen Opfern, die der Nahost Konflikt erneut gefordert hat. Faschismus darf nie wieder die Oberhand in unserer Gesellschaft übernehmen“, heißt es in der Resolution.

Zum Ende der Konferenz zeigte sich Ralf Becker mit deren Verlauf sehr zufrieden. „Die Delegierten haben sich trotz der digitalen Veranstaltungsform aktiv beteiligt und mitdiskutiert. Das ist eine wichtige Voraussetzung für unsere demokratischen Prozesse.“