Masterplan Industriestadt Berlin

„Wir stärken Betriebsräte für die Arbeit der Zukunft“

Die IGBCE in Berlin-Mark Brandenburg ist an zwei wegweisenden industriepolitischen Projekten beteiligt, die Betriebsräten in Transformationsprozessen zur Seite stehen: „Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie Berlins“ und „Nachhaltige Transformation durch Mitbestimmung“. Projektträger für die IGBCE ist die PCG Consult GmbH, eine Beratungsgesellschaft ausschließlich für die Belegschaftsseite. Die Ergebnisse der Projekte werden übertragbar auf andere Branchen und Betriebe sein.

Im Interview führen Dr. Sandra Saeed, die bislang die Projekte geleitet hat und seit kurzem für die Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE im Einsatz ist, und Berater Andres Wischnath hinein in die Angebote und Arbeitsweisen der Projekte.

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Andres Wischnath, Dr. Sandra Saeed, PCG Consult GmbH

Foto: © PCG

Liebe Sandra, lieber Andres, beginnen wir mit dem jüngst gestarteten Projekt „Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie Berlins“. Was ist das Besondere?

Andres Wischnath: Wir gehen damit erstmals das Zukunftsthema der Kreislaufwirtschaft in der Gesamtheit der Entwicklung an, die auf die Betriebe zukommen wird. Alle Seiten betreten damit Neuland, sowohl die Betriebsrats- als auch die Unternehmensseite. Es gibt in den Betrieben bislang nur ein geringes Wissen über die Kreislaufwirtschaft. Das ist das Ergebnis einer Studie, die von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe des Landes Berlin in Auftrag gegeben worden war. Durch gesetzliche Regularien auf nationaler, europäischer und teils globaler Ebene werden die Unternehmen in den kommenden Jahren immer mehr gefordert sein, ihre Herstellungsprozesse umzustellen. Ressourcenschonendes Wirtschaften, Lebenszyklen von Produkten, Plastikflut-Eindämmung sind dafür Schlagwörter. Die Kunststoffbranche ist dabei besonders im Fokus.

Sandra Saeed: Das Projekt hat Pioniercharakter. Wir gehen mit allen entscheidenden Akteuren im Betrieb ins Gespräch. Grundsätzlich steht in unseren Projekten die Mitbestimmung im Fokus. Die Kreislaufwirtschaft aber ist ein Konsensthema und es ist wichtig, die Arbeitgeberseite einzubinden. Deren hohes Interesse zeigt sich daran, dass neben der IGBCE als Initiatorin des Projektes zwei Arbeitgeberverbände zu den Trägern gehören, der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Kunststoff Verarbeitenden Industrie in Berlin-Brandenburg AKB und der Arbeitgeberverband Nordostchemie.

Welche Themen kommen im Projekt auf den Tisch?

Andres Wischnath: Wir schauen mit betrieblichen Akteuren und Expertinnen und Experten von außen zum Beispiel die Produktkreisläufe an, wie recyceltes Plastik eingesetzt werden kann, wie sich damit das Produktdesign verändert, beleuchten auch die Seite der Zulieferer, der Abnehmer und der Logistik. Die Veränderungen werden kommen. Die Frage ist: Wie passt sich der Betrieb an? Das hat Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, auf die erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen der Beschäftigten.

Sandra Saeed: Die Kreislaufwirtschaft ist nicht ohne Digitalisierung zu denken. Das Projekt berührt also ganz viele Querschnittsthemen. Und was wir gemeinsam mit den Betriebsräten und der Unternehmensseite in den Betrieben der Kunststoffindustrie erarbeiten, wird exemplarisch sein für andere Branchen.

Welchen Mehrwert bietet die Teilnahme am Projekt für die Betriebsrätinnen und Betriebsräte – und somit auch für die Belegschaften?

Sandra Saeed: Sie profitieren davon, dass sich ihre Betriebe zum Thema Kreislaufwirtschaft strategisch aufstellen. Sie bekommen Informationen und Handlungshilfen, die darauf abzielen, den Betrieb zukunftsfähig aufzustellen. Wir haben die Beschäftigteninteressen die ganze Zeit voll im Blick. Dabei machen wir eine betriebsspezifische Betreuung – und wir bieten auch offene Formate wie Innovationsforen oder Online-Seminare an. Zu denen können Betriebsräte und Beschäftigte aus anderen Betrieben hinzukommen.

Bereits Halbzeit gibt es in dem Projekt „Nachhaltige Transformation durch Mitbestimmung“. Welche Erkenntnisse lassen sich schon heute ziehen?

Sandra Saeed: Unser Vorläuferprojekt war der „Dialog digitale Beteiligung“. Darin haben wir mit Akteuren der Digitalwirtschaft und Betriebsräten eine Roadmap erarbeitet, wie die Digitalisierung im Betrieb mitbestimmt eingeführt werden kann. Das erfolgte auf einer überbetrieblichen Ebene. Es stellte sich aber heraus, dass Betriebsräte eine Gleichzeitigkeit an Riesen-Herausforderungen zu bearbeiten haben, von der Energiewende über Fachkräftemangel, alternde Belegschaften, der Lieferketten-Problematik und vielem mehr. Allein mit einem Fokus auf Digitalisierung würden wir also nicht weiterkommen. Deshalb nehmen wir jetzt die Transformation in ihrer Gänze in den Blick.

Andres Wischnath: Die Transformation ist ein Umbruch. Unser Projekt setzt betriebsindividuell an. Wir machen im ersten Schritt ein niedrigschwelliges Angebot für Betriebsräte und Belegschaften und schauen uns an, wie die Transformationssituation in dem jeweiligen Betrieb ist. Wir sorgen dafür, dass alle verstehen, worum es geht. Das ist extrem wichtig, um entscheidungsfähig zu sein. Wir erleben immer wieder, dass die Arbeitgeberseite die Betriebsräte nur rudimentär über Transformationsthemen informiert, manchmal nur mit einer Powerpoint-Präsentation, die noch dazu auf Englisch verfasst ist. In entscheidenden Zukunftsarbeitskreisen bleiben sie außen vor. Das geht so nicht! Ein wichtiger Projektinhalt ist, dass wir die Betriebsräte in der Kommunikation mit dem Arbeitgeber stärken.

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Projekt-Workshop im Haus der IGBCE in Berlin. Andres Wischnath (Foto: links) erarbeitete mit dem Betriebsrat von B. Braun Vascular eine Prozessvereinbarung zu betrieblichen Veränderungsprozessen.

Foto: © IGBCE

Das Transformationsprojekt richtet sich also wieder ausschließlich an Betriebsräte?

Sandra Saeed: Ja, Projektträger sind die IGBCE und die IG Metall, und der DGB ist für den Transfer der Erkenntnisse in die Politik beteiligt. Wir arbeiten mit den beteiligten Betrieben betriebsspezifisch, und wir bieten offene Formate, Dialogrunden und Exkursionen an.

Andres Wischnath: Sobald in einem Unternehmen die Digitalisierung gestartet ist, werden in schneller Taktung neue IT-Systeme eingeführt. Die Betriebsräte kommen nicht hinterher, zu jeder neuen IT eine Betriebsvereinbarung abzuschließen. Wir bereiten dann mit ihnen eine Rahmenvereinbarung vor, welche die Spielregeln zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei der fortschreitenden Digitalisierung festlegt: Wann sind die Betriebsräte zu informieren? Wie sind die Unterlagen aufzubereiten, damit wirklich in Kürze erfassbar ist, welche Auswirkungen die IT auf die Arbeit der Beschäftigten hat? Dies und mehr kann darin vereinbart werden. Betriebsräte sollen schnell erfassen können, wo das IT-System Leistungs- und Verhaltenskontrolle oder Arbeits- und Gesundheitsschutz berührt und sie somit wachsam sein müssen.

Warum ist die Transformation nachhaltiger, wenn sie mitbestimmt stattfindet?

Sandra Saeed: Diese Überzeugung gehört zu unserer DNA als Beratungsgesellschaft. Immer wieder scheitern Veränderungsprozesse. Das liegt in vielen Fällen unter anderem daran, dass die Belegschaften nicht mitgenommen worden sind. Entscheidungen werden wesentlich qualifizierter getroffen, die Reibungsverluste sind wesentlich geringer, wenn die Beschäftigten mit ihren Kompetenzen und ihrem Potential, aber genauso mit ihren Sorgen und Nöten in den Veränderungsprozess, eingebunden werden.

Andres Wischnath: Wir stärken die Betriebsräte für die Arbeit der Zukunft und auch in ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Arbeitgeber!

Das Interview führte Susanne Schneider-Kettelför.

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Für weitere Informationen zu den Projekten der IGBCE mit der PCG Consult steht Andres Wischnath zur Verfügung: Andres.Wischnath@pcg-projectconsult.de

Bei beiden Projekten ist die Teilnahme interessierter Betriebsräte aus Berlin weiterhin möglich. An den offenen Formaten können auch Betriebsräte aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern teilnehmen.

Nachhaltige Transformation durch Mitbestimmung

Projektpartner: IGBCE Berlin-Mark Brandenburg, IG Metall Berlin, DGB Berlin-Brandenburg

Laufzeit: 1. Februar 2023 bis 31. Januar 2025

Projekt „Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie Berlins“

Projektpartner: IGBCE Berlin-Mark Brandenburg, AGV Nordostchemie, AKB Kunststoff

Laufzeit: 1. Oktober 2023 bis 31. Oktober 2025

Beide Projekte werden gefördert aus dem Masterplan Industriestadt Berlin 2022–2026 durch die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe.