Plötzlich ein Pflegefall? Das Thema wird gern verdrängt. Aber es kann jeden treffen. Jede zweite Frau und jeder dritte Mann wird im Laufe seines Lebens zum Pflegefall. Was ebenfalls gern übersehen wird, solange man nicht selbst auf Pflege angewiesen ist: Pflege ist heute ein Armutsrisiko, denn die Pflegeversicherung erstattet nur einen Teil der Kosten.
Die IG BCE hat darauf reagiert. Ab Mitte nächsten Jahres sind rund 435.000 Tarifarbeitnehmer der Chemie- und Pharmabranche über eine Zusatzversicherung namens „CareFlex Chemie“ besser abgesichert. Finanziert wird die Pflegevorsorge von den Arbeitgebern. Vorbild ist ein erfolgreiches Pilot-Modell bei der Firma Henkel, das bereits Anfang 2019 startete.
Jutta Bernicke, Betriebsrätin bei der Firma Henkel in Düsseldorf, hat noch an keinem einzigen Tag daran gezweifelt, dass sich der Einsatz für „CareFlex“ gelohnt hat. „Ich bin heilfroh, dass wir diese Vorsorge im Unternehmen haben.“ Sechs Henkel-Mitarbeitern hat die Pflegezusatzversicherung, die keine Gesundheitsprüfung verlangt und ohne Wartezeit gilt, bereits seit dem Start vor anderthalb Jahren durch eine schwere Zeit geholfen. Die Leistungszusage allein für diese 6 Pflegefälle beträgt mehr als 1,5 Millionen Euro. Dazu gehört der Mitarbeiter, der nach einem schweren Schlaganfall auf einen Heimplatz in der Düsseldorfer Region angewiesen ist. Unabhängig vom Pflegegrad müsste er eigentlich jeden Monat 2400 Euro aus der eigenen Tasche zuzahlen. Der CareFlex Zuschuss von 1000 Euro mindert den Eigenanteil. An den Kosten der häuslichen Pflege beteiligt sich CareFlex mit monatlich 300 Euro.
Aber nicht nur der Bedarf ist unstrittig. Jutta Bernicke hat in diesen anderthalb Jahre auch viel Lob für das bundesweit einmalige Tarifmodell bekommen. Zudem hat sie die Erfahrung gemacht, dass sich die Zusatzversicherung bei der Suche nach stationärer Pflege nicht nur finanziell auszahlt. „Häufig klappt das mit einem Platz schneller, weil die Heimleitung froh ist, sich nicht mit dem Sozialamt über die Übernahme des Eigenanteils streiten zu müssen.“ Aktuell berät sie Mitarbeiter, die kurz vor der Rente stehen und gern ihre Pflegevorsorge fortsetzen wollen. Allerdings müssen sie dann die Beiträge selbst zahlen.
Erfinderin von CareFlex ist Andrea Pichottka, Geschäftsführerin der IG BCE Bonusagentur in Hannover. Gemeinsam mit der Deutschen Familienversicherung in Frankfurt hat sie diese spezielle Form der Risikovorsorge als Antwort auf den demografischen Wandel entwickelt. „Ich wollte eine teure Pflegevorsorge für breite Beschäftigtengruppen ermöglichen, indem sich jeder mit einem kleinen finanziellen Beitrag beteiligt“, sagt sie. Letztlich ginge es um die Realisierung des Sozialpartnermodells, dem sich die IG BCE verpflichtet fühlt. Nicht nur die Beschäftigen profitierten. „Wir verschaffen den Arbeitgebern damit Standortvorteile, unterstützen die Mitarbeiterbindung und Fachkräftegewinnung und helfen, die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege stärker in den Fokus zu rücken.“ Zudem sei CareFlex ein finanzierbares Produkt.
Die Bilanz von CareFlex kann sich sehen lassen. 8163 Henkel-Beschäftigte sind mittlerweile versichert. Das sind etwa 97 Prozent aller Mitarbeiter und 100 Prozent der Tarifbeschäftigten. Nur rund drei Prozent der außertariflichen Mitarbeiter und leitenden Angestellten haben einer Beteiligung widersprochen. Bei den Auszubildenden sind 22 Prozent dem Gruppenvertrag beigetreten. Sie müssen den Monatsbeitrag von durchschnittlich 6,50 Euro aus eigener Tasche zahlen, während der Beitrag (29 Euro) für Tarifbeschäftigte aus dem Demografie-Pflichtbeitrag von Henkel finanziert wird. Neben der Basisabsicherung bietet CareFlex die Möglichkeit, sich mit einer individuellen Zuzahlung (nach einer einfachen Gesundheitsprüfung) besser abzusichern – also den Zuschuss von 1000 Euro für die stationäre Pflege zu erhöhen. Oder Angehörige wie Kinder, Lebenspartner oder Eltern mitzuversichern. Viele nutzen dies: Die Bonusagentur zählt 5046 zusätzliche Verträge. 3231 dienen der eigene Leistungsaufstockung; 1815 wurden zugunsten von Familienmitgliedern abgeschlossen. Der Durchschnittsbeitrag in der privaten Absicherung liegt bei 28 Euro.
Andrea Pichottka ist mit dem Erreichten hochzufrieden. „Wir haben die beste Pflegevorsorge am Markt.“ Und ganz nebenbei habe man mit CareFlex eine Antwort auf die Finanzierung der Pflege in Deutschland gefunden. Die Verankerung der Zusatzversicherung im Chemie-Tarifvertrag sei ein konsequenter Schritt. „Dies zeigt unsere Innovationsführerschaft. Viele weitere Branchen und Unternehmen stehen bereits in der Warteschleife.“