Chemie-Tarifrunde 2024

Regionale Tarifkommission beschließt Forderungen

Seitdem die Forderungsempfehlung der IGBCE zur aktuellen Tarifrunde steht, haben IGBCE-Mitglieder deutschlandweit in ihren Betrieben über diese Inhalte diskutiert und ihre eigenen Forderungen beschlossen. Im Landesbezirk Westfalen wurden zusätzlich digitale Umfragen organisiert, an denen die Kolleginnen und Kollegen mit wenigen Klicks darüber abstimmen konnten, welche Schwerpunkte sie sich für die Tarifrunde 2024 wünschen. Auf Grundlage der betrieblichen Forderungen hat die Tarifkommissionen Westfalen nun ihren eigenen Forderungsbeschluss für die Tarifrunde beschlossen.

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Foto: © Leo Kölzer

Demnach fordert die Tarifkommission eine Erhöhung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen um 7 Prozent, mehr tariflichen Schutz und Arbeitsplatzsicherheit exklusiv für IGBCE-Mitglieder sowie eine Modernisierung des Bundesentgelttarifvertrags für die 44.000 Beschäftigten der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Westfalen. „Unsere Forderung ist eine Forderung mit Maß“, sagt IGBCE-Landesbezirksleiter Thomas Meiers. Sie überfordere auf Unternehmensseite niemanden – helfe aber auf Belegschaftsseite vielen.

„Wir wollen den Chemie-Beschäftigten in Westfalen den Optimismus zurückbringen und die Binnennachfrage stärken. Davon profitiert nicht nur unsere Mitgliedschaft, sondern die gesamte Region“, so Meiers. Der private Konsum und die Binnenkonjunktur müsse deutlich gestärkt werden. „Auch wenn man Exportweltmeister war, ist der private Konsum immer noch der wichtigste Faktor für unsere Volkswirtschaft.“ Das werde als Ursache für eine lahmende Wirtschaft häufig unterschätzt.

Die massiven Preissteigerungen der letzten Jahre wurden durch den Tarifabschluss im Oktober 2022 in Teilen ausglichen. Während der Laufzeit der Tarifrunde 2022 wurden die Entgelttabellen – rechnet man den Zinseffekt ein – um insgesamt 6,5 Prozent erhöht und eine 3.000 Euro steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie ausbezahlt. Im gleichen Zeitraum (1. April 2022 bis 30. Juni 2024) sind die Verbraucherpreise laut aktuellen Schätzungen allerdings um etwa 12,6 Prozent gestiegen. „Angesichts der gestiegenen Inflationsraten in den zurückliegenden Jahren ist die Wirkung inzwischen verpufft“, so Meiers. Längst spüren die Beschäftigten die Reallohnverluste, Pessimismus prägt das Bild. Das bestätigt auch die aktuelle Umfrage unter den Mitgliedern im Landesbezirk. Demnach müssen sich drei von vier Beschäftigten beim Haushaltsbudget einschränken. Eine Mehrheit von 59 Prozent blickt für sich persönlich pessimistisch in die Zukunft. „Das darf so nicht bleiben. Reallohnverluste in dieser Leitindustrie werden wir nicht akzeptieren“, machte Thomas Meiers deutlich.

Für die regionale Tarifkommission gilt es deshalb die Kaufkraft der Beschäftigten zu sichern. Zugleich will sie den Ausgleichseffekt der Inflationsausgleichsprämie tabellenwirksam sicherstellen. Dafür wird aus Sicht der Kommission eine Erhöhung der Entgelttabellen um 7 Prozent nötig. Damit wäre der Status quo bei der Kaufkraft hergestellt. Das geforderte Plus von 7 Prozent kompensiert lediglich die entfallene Inflationsausgleichsprämie.

„Mehr denn je ist jetzt eine selbstbewusste Tarifpolitik gefordert, die den Menschen den Optimismus zurückbringt“, so Meiers. Der Verhandlungsführer warnte die Sozialpartner davor, von einer Nullrunde auszugehen. „Das Bild der Branche ist weitaus bunter, als die Arbeitgeber es malen.“ Schwierig sei die Lage allein bei den energieintensiven Industrien, die Geschäfte der Konsumgüter- und Pharmaindustrie liefen stabil bis glänzend. „Insgesamt werden die Dividenden wieder reichlich fließen.“ Eine allumfassende Krise sehe anders aus und der Anteil der Personalkosten am Umsatz liegt in der Chemie bei weniger als einem Achtel. Es seien also andere Faktoren, die die Kosten der Unternehmen treiben. „Wir erwarten von den Arbeitgebern Realitätssinn und kein Krisengejammer“, so Meiers.

Neben mehr Entgelt für die Beschäftigten will die regionale Tarifkommission auch eine Modernisierung der Tarifverträge durchsetzen. So soll die Tarifbindung über einen besseren Organisationsgrad gesteigert werden. Das lässt sich unter anderem mit tariflichen Vorteilen für Gewerkschaftsmitglieder erreichen. Die regionale Tarifkommission fordert deshalb tarifliche Regelungen zum besseren Schutz und Arbeitsplatzsicherheit für IGBCE-Mitglieder. Denkbar ist beispielsweise ein besserer Kündigungsschutz oder höhere Zuschüsse zu Kranken- oder Kurzarbeitergeld für Gewerkschaftsmitglieder, sicher sind auch zusätzliche freie Tage interessant. Die zuletzt in den Tarifregionen dazu geführten Gespräche brachten in den vergangenen Monaten keine Fortschritte, eher das Gegenteil war der Fall. „Jetzt ist es an der Zeit, dass sich die Arbeitgeber endlich bewegen müssen“, so Meiers.

Die Forderung umfasst zudem eine Modernisierung des Bundesentgelttarifvertrags (BETV). „Hier herrsche laut Meiers ein gewaltiger Modernisierungsstau. Der BETV stamme aus dem Jahr 1987, kenne noch nicht mal Bachelor und Master, habe viel zu komplizierte Regelungen bei Höhergruppierungen und umfasse inzwischen viele Akademikerinnen und Akademiker nicht mehr. Zu den weiteren Hemmnissen gehört eine längst überholte Unterscheidung zwischen kaufmännischen, technischen und Meistertätigkeiten. Auch müssen veränderte Anforderungen und Qualifikationswege im Entgeltgruppenkatalog berücksichtigt werden. Zu den weiteren Punkten zählen Entgeltgarantien für die unteren Entgeltgruppen, eine bessere Durchlässigkeit der Entgeltstufen– insbesondere für Produktionsberufe sowie die tarifliche Absicherung für Akademikerinnen und den unteren Außertariflichen-Bereich.

Die Forderungen der regionalen Tarifkommissionen wird die Bundestarifkommission am 10. April zu einer zentralen Forderung zusammenführen. Wenige Tage später beginnen die Tarifverhandlungen zunächst auf regionaler Ebene. Für Westfalen verhandeln beide Seiten am 23. April um 10:00 Uhr in der Alten Lohnhalle in Bochum-Wattenscheid.