Für Cornelius Büttgenbach sollte wegen des Kohleausstiegs ab Oktober eigentlich Schluss sein als Elektriker bei RWE, da er Anspruch auf Anpassungsgeld (APG) hat. Doch der Ukraine-Krieg änderte alles. Plötzlich steht die Versorgungssicherheit im Fokus, und die Planungen des 59-Jährigen sind durcheinandergeraten.
Der braune Staub ist überall, auf dem Auto, in den Haaren, an den Händen. Cornelius Büttgenbach blickt auf seine Finger, zuckt mit den Schultern, lächelt. Die Braunkohle gehört zu ihm wie die orange-blaue Arbeitsmontur samt Schutzhelm und Schutzbrille. An seinem Schreibtisch im Büro hat er für ein bisschen Grün gesorgt, da wuchert ein riesiger Gummibaum, dessen Äste sind mit Paketband an der Decke fixiert. Aber hier draußen ist alles braun und staubig.
Der Kohlebunker Fortuna ist Büttgenbachs Reich. 800 Meter lang und etwa 400 Meter breit, eine große Grube, die 280.000 Tonnen Kohle fasst. Es rattern Förderbänder und riesige Schaufelräder, Braunkohle aus den Tagebauen Garzweiler und Hambach wird eingelagert und nach Bedarf wieder abgebaggert. Der Nachschub für das nebenan gelegene Kohlekraftwerk Niederaußem muss rund um die Uhr gesichert sein.
Gelassenheit nach 44 Berufsjahren
Büttgenbachs Job ist die Instandhaltung der Elektrik. Als E‑Steiger ist er Chef eines elfköpfigen Teams. Seine Anweisungen an die Kollegin und die Kollegen formuliert der 59-Jährige in freundlichem Ton, er strahlt Gelassenheit aus. Knapp 44 Berufsjahre geben ihm die Gewissheit, dass sich alle Probleme lösen lassen in seinem Kohlebunker.
Dieser Mann liebt, was er tut, so viel wird jedem schnell klar, der eine Weile mit ihm an seinem Arbeitsplatz unterwegs ist. Dabei sollte er seit Oktober 2023 gar nicht mehr hier sein. Er sollte längst ausschlafen dürfen und nicht mehr ständig erreichbar sein müssen. Er wollte im Wohnmobil unterwegs sein und die neue Freiheit genießen.
In der Kohleverstromung sollten zunehmend Arbeitsplätze abgebaut und bis 2038 die letzten Kraftwerke abgeschaltet werden. Damit Menschen, die wie Cornelius Büttgenbach jahrzehntelang gute Arbeit geleistet haben, nicht wegen des politisch gewollten Kohleausstiegs in Existenznöte geraten, hat die IGBCE vor zwei Jahren den Tarifvertrag Kohleausstieg ausgehandelt.
Darin ist geregelt, dass Beschäftigte bis zum Geburtsjahr 1985 ein Anrecht auf Anpassungsgeld (APG) haben, eine finanzielle Förderung des Bundes für den Wegfall von Arbeitsplätzen infolge des Kohleausstiegs. Wer 1985 oder früher geboren wurde, darf in eine Art Vorruhestand gehen, allerdings frühestens mit 58 Jahren. Mit 63 Jahren wechseln diese Beschäftigten dann in die vorgezogene Rente. Büttgenbach wollte das Angebot annehmen.
Doch Russlands Präsident Wladimir Putin hat mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine alles verändert. Die Front verläuft rund 2.500 Kilometer entfernt vom rheinischen Braunkohlerevier, aber was in Osteuropa passiert, beeinflusst auch das Leben von Cornelius Büttgenbach und vielen seiner Kolleginnen und Kollegen. Denn nun wird wieder mehr Strom aus Kohle gebraucht. Daher wird das Auslaufen der Kohleverstromung bis 2024 ausgesetzt. Im Kraftwerk Niederaußem etwa laufen wieder fünf Blöcke und nicht mehr nur drei. Damit fällt auch im Kohlebunker Fortuna weiterhin mehr Arbeit an als gedacht.
Der finale Kohleausstieg erfolgt dafür schon bis 2030. Also werden jetzt wieder mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigt und dann früher als geplant gar keine mehr. Das bringt einiges durcheinander. „Der Tarifvertrag war auf 2038 zugeschnitten, jetzt muss er überarbeitet werden“, sagt Helge Herrwegen, Leiter des IGBCE-Bezirks Alsdorf.
Personalplanungen fallen in sich zusammen
In den Jahren 2021, 2022 und 2023 seien insgesamt rund 1.500 RWE-Beschäftigte in APG gegangen, erklärt Herrwegen. Als Mitte 2022 beschlossen wurde, dass mehr Kohlestrom benötigt wird, um trotz der kriegsbedingten Gaskrise die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten, waren plötzlich temporär wieder 850 Beschäftigte mehr gefragt. Bleiben mussten jene, denen APG angeboten worden war und die auch schon einen Ausstiegstermin genannt bekommen hatten, die wie Büttgenbach aber noch keinen schriftlichen Vertrag hatten. Im Tagebau Garzweiler, zu dem der Kohlebunker Fortuna gehört, waren das gut 50 APG-Berechtigte.
Insgesamt habe es bei RWE in der Sparte Braunkohle rund 450 Beschäftigte getroffen, die nicht wie geplant in APG gehen konnten, sagt Omar Darwich, Betriebsratsvorsitzender im Tagebau Garzweiler: „Die Stimmung ist aufgeheizt, die Beschäftigten werden von der Politik hin und her geschoben, das ganze Konstrukt Personalpolitik fällt in sich zusammen.“
Ältere Beschäftigte, die sich schon auf das Ende ihrer Berufslaufbahn vorbereitet haben, müssen auf unbestimmte Zeit weitermachen. Wenn sie Pech haben, müssen sie bis fast zum Schluss arbeiten, dann bleibt ihnen vor der Rente nur noch ein Jahr APG. Das zumindest erhalten weiterhin alle Berechtigten.
Und auch die Jüngeren müssen umdenken. Diejenigen, die dachten, zumindest bis 2038 bleiben zu können, brauchen nun früher einen neuen Arbeitsplatz. Damit sie sich nicht jetzt schon intensiv nach Alternativen umsehen, muss ihnen eine Perspektive im Unternehmen geboten werden, denn sie werden aktuell dringend gebraucht. „Wir sind dran, wir arbeiten an den Perspektivzusagen“, sagt Darwich.
Und dann ist da noch die Gruppe der Beschäftigten, die Anspruch auf APG haben und zwischen 2030 und 2038 das nötige Alter von 58 Jahren erreichen werden. Da jetzt schon früher Schluss ist, muss auch für sie noch eine neue Arbeitsstelle gefunden werden. „Von guter Arbeit in gute Arbeit“, betont Darwich. Cornelius Büttgenbach hat derweil volles Vertrauen: „Hier fällt niemand ins Bergfreie, alle werden aufgefangen“, ist er überzeugt.
Stolz darauf, dazuzugehören
Der E‑Steiger lässt sich seine Laune nicht verderben. Ein Wohnmobil wäre ohnehin zu teuer gewesen, das habe er auf der Caravan-Messe in Düsseldorf festgestellt. Und ob seine Frau es gut aushalten wird, wenn er erst mal tagein, tagaus zu Hause rumhängt, wisse er auch nicht so genau.
In seinem Kohlebunker fühlt er sich wohl, und es gibt immer etwas zu tun. Gerade grübelt er über ein Problem an einem der Schaufelräder nach, das will er sich später noch mal genauer ansehen. „Es macht schon Spaß, hier zu fummeln und zu werkeln“, sagt Büttgenbach. Früher als Kind hat ihn die elektrische Eisenbahn des Vaters gefesselt. Jetzt überwacht er etwas kompliziertere Schaltkreise. Und er sagt: „Man ist ja auch stolz darauf, bei RWE zu arbeiten und dazuzugehören. Wir können hier nicht alles rausreißen, aber wir sorgen mit dafür, dass es nicht dunkel wird in Deutschland.“
"Die Stimmung ist aufgeheizt."
Büttgenbachs Arbeit ist wichtig. Elektrische Defekte an den Maschinen des Kohlebunkers müssen so schnell wie möglich repariert werden. Bei mehr als zwei Stunden Stillstand wird es kritisch, dann müssen Kraftwerksblöcke abgeschaltet werden, weil ihnen die Kohle ausgeht. Büttgenbach hat das einmal erlebt, das war 2019. Schuld war aber kein Defekt, sondern eine Aktion von Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die in den Bunker eingedrungen waren und die Förderbänder besetzt hatten. „Ich kann die ja verstehen, jeder versucht, sein Ideal durchzusetzen“, sagt Büttgenbach, „aber das war hochgefährlich.“
RWE immer treu geblieben
1980 hat Büttgenbach seine Ausbildung als Elektriker bei RWE begonnen, anschließend noch den Techniker draufgesetzt – und er ist dem Unternehmen seither treu geblieben. Schließlich hat schon sein Vater vom Tagebau im Rheinischen Revier gelebt, damals hieß das Unternehmen noch Rhein-Braun. Als der kleine Cornelius fünf Jahre alt war, musste die Familie umziehen. Sein Geburtsort, Morken-Harff, wurde abgebaggert. „Wir sind damit aufgewachsen, wir wissen, wie es läuft“, sagt Büttgenbach. Da ist keine Wehmut, kein Groll auf den Braunkohletagebau. Im Gegenteil: „RWE zahlt gutes Geld für unsere Jobs“, betont der Elektriker, „und früher hat doch keiner gedacht, dass wir mal aus der Kohle aussteigen.“
Der 59-Jährige spricht sehr viel von Stolz, vom Dazugehören, von der familiären Atmosphäre mit den Kolleginnen und Kollegen. „Man sieht die ja mehr als Frau und Kinder, man nimmt an ihrem Leben teil“, sagt er. Sein Sohn und seine Tochter, 33 und 30 Jahre alt, haben sich beruflich anders orientiert. Wie einst sein Vater ihm, hat Büttgenbach aber gerade seinem Sohn beim Hausbau geholfen. Er hat die Elektrik selbst verlegt.
Büttgenbachs Team im Kohlebunker ist in den letzten Jahren von 17 auf elf Beschäftigte geschrumpft. Er ist der Älteste in der Runde und sagt: „Das könnten zum Teil meine Kinder sein, der Jüngste ist erst 23 Jahre alt. Aber es ist eine tolle Mannschaft, ich bin froh, die zu haben.“ Aktuell heißt es, dass Büttgenbach spätestens am 31. Dezember 2026 wird gehen dürfen. Was er dann am meisten vermissen wird? Die Antwort kommt prompt: „Die Kollegen.“