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Mehr als 816.000 Beschäftigte in Leiharbeitsunternehmen hat die Bundesagentur für Arbeit im Jahresdurchschnitt 2021 für Deutschland registriert. Hinter dieser Zahl stehen nicht nur Menschen, sondern auch viel rechtliches Problempotential.
Peter Voigt, Leiter der Abteilung Rechtspolitik/Rechtsschutz, Isabel Eder, Leiterin der Abteilung Mitbestimmung/Betriebsverfassung, und Moritz Hautmann, Fachsekretär in der Abteilung Tarifpolitik bei der IGBCE, haben alles Wichtige zum Thema aus gewerkschaftlicher Sicht zusammengefasst.
Leiharbeit, Zeitarbeit – gibt es da einen Unterschied?
Die beiden Bezeichnungen Leiharbeit und Zeitarbeit bedeuten prinzipiell dasselbe. Sie beziehen sich auf folgendes Dreiecksverhältnis: Arbeitnehmer*innen werden von einem Verleihunternehmen, bei dem sie im Regelfall unbefristet angestellt sind, einem Unternehmen (Entleiher) für eine bestimmte, also befristete Zeit überlassen. Aus diesem Grund wird Leih- bzw. Zeitarbeit auch Arbeitnehmerüberlassung genannt.
Wie genau funktioniert die Leiharbeit?
Zeitarbeitsfirmen schließen mit Beschäftigten einen Arbeitsvertrag ab. Das heißt: Die Zeitarbeitsfirmen sind zuständig für alle Belange wie etwa Bezahlung, Urlaubsgewährung, Abmahnungen oder Kündigungen. Diese Verträge sind an die Schriftform gebunden.
Auch mit den Entleihfirmen schließen die Zeitarbeitsfirmen Verträge ab – und zwar Arbeitnehmerüberlassungsverträge. Darin verpflichten sie sich, ihre Beschäftigten den Entleihfirmen gegen Gebühr zu überlassen. Vertragliche Beziehungen zwischen den Leiharbeitnehmer*innen und den Entleihfirmen bestehen dabei nicht. Hat ein Entleiher keinen Bedarf mehr, endet zwar der Einsatz in der Firma, doch das Arbeitsverhältnis zur Verleihfirma bleibt bestehen, wenn das seinerseits nicht befristet ist.
Wie ist die Leiharbeit geregelt?
Das Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung – kurz AÜG – bestimmt, unter welchen Bedingungen Leiharbeit zulässig und wie sie auszugestalten ist.
Darf jedes Unternehmen Arbeitnehmer*innen verleihen?
Nein, für die Überlassung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besteht grundsätzlich eine Erlaubnispflicht. Diese Erlaubnis erteilt die Bundesagentur für Arbeit, nachdem sie sich von der Zuverlässigkeit der Verleihfirma überzeugt hat.
Hat eine Verleihfirma keine Erlaubnis, ist ihr Arbeitsvertrag mit den verliehen Beschäftigten unwirksam, und es entsteht automatisch ein Arbeitsvertrag mit der Entleihfirma.
Wie lange dürfen Beschäftigte ausgeliehen werden?
Für maximal 18 aufeinanderfolgende Monate. Allerdings gibt es hier Ausnahmen und Aufweichungen: So können Arbeitnehmer*innen beispielsweise wieder zu derselben Entleihfirma zurückkehren, wenn die Verleihfirma sie zwischendurch drei Monate und einen Tag zu einem anderen Entleiher geschickt hat.
Außerdem können Tarifverträge der Einsatzbranche oder Betriebsvereinbarungen regeln, dass die Höchstgrenze der Verleihdauer mehr als 18 Monate beträgt.
Wie werden Leiharbeitskräfte vergütet?
Nach dem AÜG ist der Verleiher verpflichtet, „den Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren“.
Allerdings lässt die AÜG auch zu, von diesem Gleichbehandlungsgrundsatz durch einen Tarifvertrag abzuweichen. „soweit er nicht die festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet.“
Gibt es Tarifverträge in der Leiharbeit?
Die IGBCE hat zusammen mit anderen DGB-Gewerkschaften in einer Tarifgemeinschaft mit den beiden großen Arbeitgeberverbänden der Leiharbeit, dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ), Tarifverträge abgeschlossen.
In mehreren Tarifrunden konnten umfangreiche Verbesserungen unter anderem beim Entgelt und beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld durchgesetzt werden, zuletzt auch ein vom Arbeitgeber zu zahlender Bonus für Gewerkschaftsmitglieder von bis zu zweimal 500 Euro pro Jahr, abhängig von ihrer Beschäftigungsdauer.
Gilt in der Leiharbeit ein spezieller Mindestlohn?
In der Leiharbeit gilt ein spezieller gesetzlicher Mindestlohn, die sogenannte Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung. Basis dafür sind auch hier die Zeitarbeitstarifverträge, die die DGB-Gewerkschaften mit den Zeitarbeitsverbänden ausgehandelt hat.
Dieser Zeitarbeitstarif regelt nicht nur die Lohnuntergrenze, sondern auch die Bezahlung von qualifizierter Arbeit. Diese Beschäftigten sind in Entgeltgruppe 3 einzugruppieren: Sie erhalten mindestens 14,55 Euro pro Stunde. In der höchsten Tarifgruppe sind 25,14 Euro pro Stunde zu zahlen.
Unterschiede zwischen West und Ost gibt es bei den Entgeltgruppen nicht mehr.
Gibt es tarifliche Branchenzuschläge?
Ja, es gibt tarifliche Branchenzuschläge, die auf den Zeitarbeitstarif obendrauf kommen – beispielsweise in Chemieunternehmen, die im Tarifverbund sind. So wird bereits nach sechs Wochen Einsatz mehr Geld gezahlt – plus mindestens vier Prozent.
Zudem kann es Betriebsvereinbarungen geben, die die Betriebsräte als sogenannte Besservereinbarungen für Leihbeschäftigte abgeschlossen haben. Sie regeln beispielsweise ab dem ersten Tag die gleiche Bezahlung wie für Stammbeschäftigte.
Trotzdem gilt für die Mehrheit der Leiharbeitskräfte, dass sie weniger verdienen als die Stammbelegschaft.
Wie funktioniert das Arbeitszeitkonto?
In der Leiharbeit wird in der Regel eine 35-Stunden-Woche vereinbart. Oft richtet sich die Arbeitszeit aber nach den Schichtzeiten des Einsatzbetriebes. Auf dem Arbeitszeitkonto werden Plus- oder Minusstunden registriert, wenn die Leihkräfte mehr oder weniger Stunden arbeiten als in ihrem Vertrag vereinbart ist.
Einige Leiharbeitsfirmen zahlen die Plusstunden sofort mit dem normalen Gehalt aus, andere erst, wenn der Vertrag endet. Wer Plusstunden auf seinem Arbeitszeitkonto hat, kann Freizeitausgleich, also zusätzliche freie Tage, beantragen. Das kann aber auch vom Unternehmen angeordnet werden.
Was passiert in der einsatzlosen Zeit?
Auch für die einsatzfreien Zeiten haben Leiharbeitnehmer*innen das Recht auf Bezahlung. Wenn Entleihfirmen keine Einsatzmöglichkeiten haben, müssen sie weiter das normale Gehalt zahlen. Leihkräfte dürfen nicht gezwungen werden, in dieser Zeit Urlaub zu nehmen oder Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto abzufeiern.
Auch eine Kündigung ist nicht rechtens. Das heißt: Gibt es in dem Betrieb keine Arbeit mehr, ist die Leiharbeitsfirma verpflichtet, eine Arbeit in einem anderen Unternehmen zu suchen. Diese Verpflichtung umgehen einige Verleiherfirmen jedoch dadurch, dass sie Arbeitsverträge mit ihren Beschäftigten mit den Einsatzzeiten bei der Verleihfirma synchron befristen. Der Schutz der verleihfreien Zeiten, den Verleihunternehmen tragen müssen, wird damit umgangen. Das Verbot dieser Synchronisation ist weiterhin eine rechtspolitische Forderung, gibt es aber bislang nicht.
Gibt es einen Kündigungsschutz?
Leihkräfte, die länger als sechs Monate bei einem Verleihunternehmen beschäftigt sind, haben einen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Dieser besteht auch in den Pausen zwischen zwei Arbeitseinsätzen. Sie können allerdings trotzdem entlassen werden, eine Kündigung muss jedoch sozial gerechtfertigt sein.
Haben Leiharbeitskräfte Anspruch auf Urlaub?
Ja, natürlich. Die Anzahl der Urlaubstage pro Kalenderjahr ergibt sich dabei aus dem Bundesurlaubsgesetz, dem für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvertrag oder dem Einzelarbeitsvertrag. In den DGB-Tarifverträgen sind dies 24 Arbeitstage im ersten Beschäftigungsjahr. Mit längerer Betriebszugehörigkeit erhöht sich die Urlaubsdauer auf bis zu 30 Arbeitstage.
Übrigens: Das Unternehmen kann von den Leihkräften nicht verlangen, dass sie ihre Urlaubstage in Zeiten nehmen, in denen sie nicht verliehen sind.
Wie sieht es mit einer Übernahme aus?
Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Übernahme. Doch manchmal können Arbeitnehmer*innen in ein festes Beschäftigungsverhältnis bei der Firma wechseln, in die sie zunächst ausgeliehen waren.
Dazu müssen Beschäftigte unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen ihren Vertrag beim Verleiher kündigen und mit dem Entleihbetrieb einen Arbeitsvertrag vereinbaren. Die Verleihfirmen dürfen den Wechsel zum Entleiher dabei nicht behindern – und auch keine Gebühr für die Vermittlung verlangen.
Welcher Betriebsrat ist für Leiharbeitskräfte zuständig?
Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer bleiben Angehörige des Verleihbetriebes – somit ist grundsätzlich der Betriebsrat dieses Betriebes für sie zuständig. Allerdings ist die Betriebsratsdichte in Zeitarbeitsfirmen relativ gering. Wichtiger Ansprechpartner ist deshalb auch der Betriebsrat in dem Betrieb, wo Leihkräfte eingesetzt werden (Entleihbetrieb).
Der Betriebsrat der Entleihfirma ist immer zuständig, wenn der Entleiher aufgrund der ihm zustehenden Weisungsbefugnis Maßnahmen anordnen kann, die beteiligungspflichtig sind. Betriebsräte bestimmen bei Einstellungen von Leiharbeitnehmer*innen mit und können über eine freiwillige Betriebsvereinbarungen entscheidend mitgestalten, wann und wie Leiharbeit im Betrieb genutzt werden darf.
Eine solche Beteiligungspflicht ergibt sich zum einen bei Fragen zur Betriebsordnung und -organisation, zum anderen bei Fragen zur Arbeitszeitgestaltung und Urlaubsplanung. Gleichzeitig ist er aber während des Einsatzes zentraler Ansprechpartner für Leiharbeitnehmer*innen. Leihkräfte haben also zwei Betriebsräte, die für sie zuständig sind. Sie können zu Sprechstunden und Betriebsversammlungen von beiden gehen.
Fazit: Eine Win-win-lose-Situation
Zusammengefasst ist die Leiharbeit eine Win-win-lose-Situation. Wer verleiht, der gewinnt, weil er daran was verdient. Wer leiht, der gewinnt, weil er Arbeitskräfte bekommt, die in der Regel weniger verdienen als die Stammbelegschaft. Die Leiharbeitnehmer*innen dagegen verlieren, weil sie für die gleiche Leistung letztlich deutlich weniger Geld bekommen und ständig von einem Entleihbetrieb zum nächsten wechseln müssen.
Gut zu wissen: Als Mitglied der IGBCE hast du gewerkschaftlichen Rechtsschutz – du kannst dich jederzeit auch mit deinen Fragen und Problemen beim Thema Leiharbeit an deinen Bezirk wenden. Im Streitfall wirst du auch vom gewerkschaftlichen Rechtsschutz vor den Arbeits- und Sozialgerichten vertreten.