Corona-Pandemie

Home Office Reloaded

Was ändert sich durch den zweiten Lockdown? Wie viele Mitarbeiter sind im Homeoffice? Gibt es Betriebsvereinbarungen für die „neue Normalität“? Ein Streifzug durch deutsche Unternehmen.

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Foto: © iStockphoto/asiandelight

Der deutsche Herbst im Jahr 2020. Wieder steigende Corona-Infektionszahlen, mehr belegte Intensivbetten, neue Einschränkungen im Alltag. Aber was ändert sich durch den zweiten Lockdown tatsächlich? Ist es erträglicher als beim ersten Mal? Wie viele Mitarbeiter*innen sind im Homeoffice? Gibt es neue Betriebsvereinbarungen für die neue Normalität? Wir haben in Unternehmen unterschiedlicher Branchen nachgefragt, bei Arbeitnehmervertretungen und Arbeitgebern, wie es bei ihnen läuft mit dem „Home Office Reloaded“. Ganz unproblematisch ist das Modell nämlich nicht, die Interessen der Beschäftigten dürfen nicht unter die Räder geraten.

So unterstützt die IG BCE zwar die Forderung auf einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf selbstbestimmtes Arbeiten – mobil, aber auch im Home Office. Allerdings bestehe auch ein Bedarf, die verschiedenen Modelle von Home Office und Mobilem Arbeiten tariflich und betrieblich auszugestalten. „Aktuell sind viele dauerhaft im Home Office am Küchentisch. Die gesundheitlichen Folgen sind noch nicht absehbar“, betont IG-BCE-Vorstandsfrau Karin Erhard. „Klar ist: Home Office darf Beschäftigte nicht des Schutzes von Regelungen etwa zur Arbeitszeit und zum Arbeitsschutz berauben.“

So müssten bestimmte Standards auch am heimischen Arbeitsplatz gelten: etwa, dass Beschäftigte nicht außerhalb ihrer Arbeitszeit erreichbar sein müssen, oder die ergonomischen Anforderungen nach dem Stand der Technik und der arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse erfüllt werden. „Home Office darf nicht krank machen“, so Karin Erhard. Deswegen sei ein Recht auf zwingende Mitbestimmung bei der Einführung und Ausgestaltung mobiler Arbeit und Home Office notwendig. Ein weiterer zentraler Punkt sei es, dass der Kontakt zur Gewerkschaft und zu den Interessenvertretungen digital ermöglicht wird – notwendig sind die Ausstattung sowie Zugangs- und Ansprachemöglichkeiten. „Es muss auch klargestellt werden, dass Beschäftigte selbst den Anspruch auf Kontakt haben und hierfür technische Arbeitsmittel nutzen dürfen“, erläutert Karin Erhard.

Beim Automobilzulieferer Continental in Hannover gibt es seit 2016 eine weltweit gültige Konzernbetriebsvereinbarung für flexible Arbeitsbedingungen und ein Schutzkonzept, das zu Beginn der Corona-Pandemie durch nationale Krisenteams weiterentwickelt wurde. In der aktuellen Lockdown-Situation ist in Deutschland eine Belegung von 50 Prozent der Büro-Arbeitsplätze möglich. „Für die Zeit des begrenzten Lockdowns empfehlen wir unseren Beschäftigten, sofern es die Tätigkeit zulässt, mobil zu arbeiten“, so das Unternehmen. Was aber für manche auch jetzt noch gar nicht so einfach ist, wie Hasan Allak berichtet, der Konzernbetriebsratsvorsitzende bei Continental: „Die private Wlan-Verbindung, also die Übertragungsqualität, ist bei einigen immer noch ein Problem.“ Trotzdem sei vieles nun gelernt: „Man kennt den etwas anderen Tagesablauf, auch die Online-Meetings verlaufen strukturierter.“

Fast scheint es so, als sei die jetzige Lockdown-Situation irgendwie erträglicher als beim ersten Mal, weil es schon Erfahrungswerte gibt. „Wir können einfacher und schneller handeln“, heißt es beim Pharmaproduzenten Roche, der unter anderem auch Coronavirus-Tests herstellt, die weltweit zum Einsatz kommen. Dieter Sonnenstuhl, Betriebsratschef bei Roche Diagnostics in Penzberg, erläutert, dass die Regelungen, die beim ersten Lockdown erarbeitet wurden, nun leicht angepasst werden könnten. Maskenausgabestationen seien eingerichtet, alle Fachbereiche hätten ein Hygienekonzept und „die AHAL-Regel ist in Fleisch und Blut übergegangen“. Allerdings, so der Arbeitnehmervertreter, sei es für die Kolleginnen und Kollegen „mental schwieriger, den Schritt zurückzumachen“.

Ziel des Unternehmens in der aktuell angespannten Lage ist es, dass an den Standorten Mannheim und Penzberg nur noch Mitarbeitende vor Ort sind, die business-kritische Tätigkeiten ausüben. Das seien in Penzberg und Mannheim etwa ein Drittel der Belegschaft, heißt es von Firmenseite. Technisch habe man den Beschäftigten „eine Palette an Equipment, Software-Tools und IT-Infrastruktur zur Verfügung“ gestellt. Allerdings, so betont Betriebsratschef Sonnenstuhl, sei eine „der größten Herausforderungen beim Arbeiten von Zuhause ein stabiles Internet“. Oft seien die Übertragungsraten zu gering, Bild- und Tonqualität schlecht. Betriebsvereinbarungen zum Mobilen Arbeiten und zur Telearbeit gibt es bei Roche bereits. „Wir haben aber auch erkannt, dass diese nicht alles abdecken und wir Ergänzungen brauchen“, sagt Dieter Sonnenstuhl. Hilfreich seien dafür die Arbeitsrechttage im August in Bad Münder gewesen, bei denen unter anderem das Thema Arbeitszeiterfassung beim Arbeiten von Daheim beleuchtet worden sei.

Bei der Bayer AG in Leverkusen wird die Maßgabe, dass maximal 40 Prozent der Büro-Arbeitsplätze besetzt sein dürfen, angesichts der aktuellen Corona-Lage eher deutlich unterschritten. Der Konzern will auch nach Corona nicht zur alten Arbeitsweise zurückkehren, erklärt das Unternehmen: „Viele Beschäftigte mit einer Bürotätigkeit, die ins Homeoffice gewechselt sind, haben damit positive Erfahrungen gemacht und wollen mobiles Arbeiten zeitweise oder dauerhaft in ihr Arbeitsleben integrieren, während andere lieber an ihrem Büroplatz sein wollen.“ Man habe gerade eine konzernweite Mitarbeiterbefragung abgeschlossen, in der die Beschäftigten zu ihren Erfahrungen während der Corona-Pandemie, aber auch zu ihren Wünschen und Erwartungen für die Zeit danach befragt wurden. Die Ergebnisse der Befragung sollen in den bevorstehenden Beratungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern über neue betriebliche Vereinbarungen zur Gestaltung der ‚neuen Normalität‘ bei Bayer berücksichtigt werden. Dabei werde es dann auch darum gehen, „die Ausstattung des Arbeitsplatzes am jeweiligen Ort der Leistungserbringung zu definieren“, kündigt Betriebsrat Stefan Webers an.Bei Evonik Industries gibt es zurzeit übrigens Bewegung in Sachen Betriebsvereinbarung: „Wir testen unter dem Namen ‚Smart work‘ in den verschiedensten Bereichen pilotmäßig den Umgang mit der Digitalisierung und arbeiten an einer Rahmenregelung“, berichtet der Referent des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, Klaus Derks.

Beim Spezialchemie-Konzern Lanxess mit Sitz in Köln gibt es laut einer Sprecherin für die Bereiche, die nicht Homeoffice-fähig sind, seit der ersten Corona-Welle Schutzmaßnahmen, die alltagstauglich geworden sind – von den Fieberscans an den Eingängen zu den Chemparks über Zutrittverbot an den Messwarten für Betriebsfremde bis zur Reduzierung der Schichtübergaben. Eine Betriebsvereinbarung zum mobilen beziehungsweise flexiblen Arbeiten sei in Vorbereitung. „Es ist nicht geliebt, das Homeoffice, aber es ist okay“, kommentiert Werner Czaplik, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates bei Lanxess. Die technischen Probleme wie die Freischaltung der Zugänge oder die Rechnerkapazität seien zum Glück behoben.

Ist es also doch nur ein „Weiter so“ in schwierigen Zeiten? Nein, findet Sascha Held, Vorsitzender des Gemeinschaftsbetriebsrats bei der Darmstädter Unternehmensgruppe Merck: „Gerade die aktuellen Erkenntnisse zu Aerosolen gab es im Frühjahr nicht und die führen ja zu wieder neuen Diskussionen über Maskenpflichten oder -pausen.“ Wenigstens im Homeoffice spielen die aber keine Rolle und da bewährt sich ein eher lösungsorientiertes Verhalten: Mitarbeiter, die von der Schließung von Schulen und Einrichtungen zur Kinderbetreuung betroffen sind und über keine andere Betreuungsmöglichkeit verfügen, können in Absprache mit ihrer Führungskraft ebenfalls weiter von zu Hause arbeiten.

Keine Frage, die Routinen vom Corona-Frühjahr helfen, auch diesen Herbst zu überstehen: „Auch die virtuelle Kaffeepause, das Anmelden und das Verabschieden in den Homeoffice-Feierabend oder die täglichen Team-Absprachen und wöchentlichen Bereichs-Updates“, meint Frank Gottselig, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats bei Essity. Der Hygienepapierhersteller aus Mannheim ermöglicht es, wo immer es möglich, zu Hause zu arbeiten, auch in der Produktion, heißt es von Unternehmensseite. An einer Betriebsvereinbarung zum Thema Homeoffice werde bereits gearbeitet.

Nur eines macht die jetzige Lage auch nicht einfacher als der erste Lockdown: „Die Kolleginnen und Kollegen vermissen sich gegenseitig“, so Betriebsrat Gottselig. „Das persönliche, interaktive und kreative Zusammenarbeiten fehlt. Und manchmal auch, dass man überhaupt die Möglichkeit hat, ordentlich zu arbeiten und nicht am Küchentisch oder auf dem Sofa.“