Mit.Mut.Machen

Hoch mit der roten Stimmkarte

Stundenlang über mehr als 450 Anträge abstimmen, sich vorher mit jedem einzelnen beschäftigen – und das alles vorwiegend in der Freizeit. Harte Arbeit ist das und gewiss kein Freizeitvergnügen. Oder doch?

Thomas König auf dem IG-BCE-Kongress 2021

Thomas König auf dem IG-BCE-Kongress 2021

Foto: © Kai-Uwe Knoth

„Ich bitte um euer Kartenzeichen“. Diesen kurzen Satz hören die rund 400 Delegierten des Kongresses nun schon seit Stunden immer wieder. Antrag annehmen oder ablehnen? Hoch mit der roten Stimmkarte aus Pappe, kurz oben halten, wieder runternehmen. Nächster Antrag. Seit 9 Uhr morgens geht das so. Am dritten Tag des Kongresses laufen die Antragsberatungen und -abstimmungen auf Hochtouren. Antrag für Antrag arbeitet sich das Gremium vor, insgesamt wird es an den vier Tagen der Veranstaltung über mehr als 450 Anliegen befinden. Mit allen Anträgen haben sich die Delegierten im Vorfeld beschäftigt. Das ist richtig harte Arbeit, hat mit Freizeitvergnügen nichts zu tun. Und doch investieren die meisten der Teilnehmenden als ehrenamtliche Gewerkschafter ganz viel Freizeit in die tägliche Arbeit, die Vorbereitung und schließlich den Besuch des Kongresses.

Das Gremium klatscht begeistert mit

Manche von ihnen präsentieren ihre Anträge selbst, steigen mutig aufs Podium, blicken den Kolleg*innen in die Augen und bringen ihre Argumente vor. Einer von ihnen ist Lars Katzmarek aus dem Landesbezirk Nordost, Betriebsrat und Techniker bei der LEAG. Er hat sich sogar noch etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Live führt er nach seinen Ausführungen zum Antrag den kraftvollen Rap „Unsere Perspektive“ auf, dessen Musikvideo ab Freitag auch bei YouTube zu sehen sein wird. Die Idee kommt sehr gut an, der junge Mann bringt das Gremium mit dem aussagekräftigen Song sogar dazu, sich während der Sitzung von den Plätzen zu erheben und begeistert mitzuklatschen. Das haben weder Gastredner Olaf Scholz noch Gastrednerin Annalena Baerbock am Vormittag geschafft. Der Antrag wird angenommen.

Der Perspektivlosigkeit Nachdruck verleihen

Aber warum investieren diese Menschen ihre freie Zeit in diese Arbeit? Was treibt sie an, Anliegen aufzugreifen, sich damit zu beschäftigen, konkrete Anträge zu formulieren, sich für die Umsetzung ihrer Ideen einzusetzen und sogar Songs zu schreiben und zu vertonen?

Lars Katzmarek sagt ganz schlicht: „Ich will bleiben und wünsche mir, dass viele von denen, die weggegangen sind, wieder zurückkommen“. Er sei überzeugter Cottbusser mit Herz und liebe seine Heimat, die Lausitz. Doch er habe erlebt, wie viele junge Menschen die Stadt und die Region verlassen haben – aus Angst, ihren Job zu verlieren. So viele seien enttäuscht von politischen Versprechungen, die gegeben – und dann nicht gehalten wurden. Mit dem Song wolle er der Perspektivlosigkeit in der Gegend Nachdruck verleihen. „Er soll wachrütteln“, fasst er der 29-Jährige, der schon seit vielen Jahren in seiner Freizeit Musik macht, zusammen.

„Ich setze mich gerne für die Jugend ein“

Thomas König aus dem Landesbezirk Bayern betont: „Ich setze mich einfach gerne für die Jugend in Bayern ein.“ Bereits seit sechs Jahren ist der 23-Jährige, der bei Bionorica in Neumarkt in der Oberpfalz arbeitet, in der Jugendarbeit ehrenamtlich aktiv. Sogar in der Gewerkschaftskonferenz war er vor vier Jahren schon einmal, damals war er selbst der jüngste Kongressteilnehmer. In diesem Jahr hat der junge Delegierte einen Antrag vor dem Gremium vorgetragen: Die IG BCE solle sich dafür einsetzen, dass die Altersgrenze für den Anspruch auf Zugehörigkeit zur Familienversicherung erhöht werde.

Überzeugendes Statement regt die Diskussion an

Der Anlass sei ein Kollege gewesen, für den genau dieses Thema ein Problem darstelle, berichtet er. Doch die Empfehlung der Antragskommission lautete zunächst: Antrag ablehnen. Thomas König gelang es, die Diskussion im Gremium anzuregen, es gab zahlreiche weitere Wortbeiträge. Final stimmte das Gremium dafür, den Antrag in den Hauptvorstand weiterzuleiten. Für den jungen Mann ist dieser Erfolg weiterer Antrieb: „Das Gefühl, tatsächlich etwas verändern zu können, ist einfach super“, freut er sich.