Es geht bergauf in Chemie und Pharma

Die ersten Chemie-Tarifverhandlungen auf regionaler Ebene verliefen mehr als ernüchternd. Die Arbeitgeberargumente waren immer die gleichen: Nichts zu verteilen, der Chemie-Standort am Boden, es brauche einen Krisenabschluss. So weit, so erwartbar. Doch damit entfernen sie sich jeden Tag weiter von der Realität, warnt IGBCE-Verhandlungsführer Oliver Heinrich.

Oliver Heinrich
Foto: © Stefan Koch

Es geht bergauf. Langsam, aber spürbar. „Die Anzeichen für eine konjunkturelle Aufhellung haben sich deutlich verstärkt“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei der Vorlage der Frühjahrsprognose. „Die Stimmung unter den Unternehmen in Deutschland hat sich verbessert“, berichtete der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest. Der von den Wissenschaftlern monatlich erhobene Geschäftsklimaindex ist im April zum dritten Mal in Folge gestiegen und liegt so hoch wie seit gut einem Jahr nicht mehr. 

Das gilt nicht nur für die Gesamtwirtschaft, sondern auch für die Chemie- und die Pharmaindustrie, für deren 585.000 Beschäftigte die IGBCE derzeit unter anderem 7 Prozent mehr Einkommen fordert. Die Nachfrage nach langlebigen Wirtschaftsgütern ziehe wieder an, so der Vorstandschef des Spezialchemiekonzerns Clariant, Conrad Keijzer. „Die chemische Industrie ist an einem Wendepunkt.“ In allen wichtigen Weltregionen sei in diesem Jahr wieder mit einem Wachstum zu rechnen – auch in Europa.  

Die Chemie-Produktion in Deutschland ist längst angezogen – im Februar lag sie nach jüngsten Zahlen des Bundesamts für Statistik 4,6 Prozent höher als im Vormonat, der saisonbereinigte Produktionsindex so hoch wie seit September 2022 nicht mehr. Die Marktforscher von FERI prognostizieren der Branche hierzulande ein reales Produktionsplus von 4,4 Prozent für 2024. Das zeigt auch das ifo-Geschäftsklima für die Chemie: Es hat sich seit Jahresbeginn stetig verbessert, die Geschäftserwartungen liegen besser als im industriellen Sektor insgesamt. Längst planen laut ifo mehr Chemie-Betriebe eine Produktionsausweitung als eine Reduzierung. 

Noch deutlich besser ist die Stimmung in der Pharma-Industrie. Laut ifo zeigte sie zuletzt den optimistischsten Geschäftsausblick und die stärkste Produktionsausweitung aller Industriezweige. Nur in einer Branche war das Geschäftsklima noch besser als bei Pharma. „Mit jeder neuen Prognose entfernt sich die Krisen-Erzählung der Arbeitgeber ein Stück weiter von der Realität“, sagt Oliver Heinrich, Tarifvorstand und Chemie-Verhandlungsführer der IGBCE. Der Sozialpartner müsse endlich anerkennen, dass überzogenes Schwarzmalen und das Fabulieren von einer Nullrunde nur die Fronten verhärteten. „Die Arbeitgeber sollen den aufkeimenden Optimismus nicht abwürgen, sondern ihren Teil dazu beitragen, dass auch ihre Beschäftigten davon angesteckt werden. Denn sie sind es, die zuletzt schmerzhafte Reallohnverluste hinnehmen mussten.“ 

Zumal viele Konzernlenker längst positiver in die nahe Zukunft blicken. „Der Start ins Jahr war vielversprechend, und ich bin sehr zuversichtlich, dass 2024 ein wirklich gutes Jahr für Henkel wird“, sagte unlängst Konzernchef Carsten Knobel. „Wir bei Boehringer Ingelheim gehen mit großer Zuversicht in das Jahr 2024“, so Christian Boehringer, Vorsitzender des Gesellschafterausschusses. „Beiersdorf hat einen hervorragenden Start in das Jahr 2024 hingelegt“, so Konzernchef Vincent Warnery. Der Hamburger Nivea-Konzern hat prompt bereits die Umsatzprognose für das Gesamtjahr angehoben. Und der Essener Spezialchemiehersteller Evonik musste bereits die Kapitalmärkte „warnen“, dass er im ersten Quartal weit mehr Gewinn erzielt hat, als die Börsianer erwartet hatten. 

Die Nachrichten spiegeln wider, was die IGBCE-Betriebsräte aus ihren Unternehmen berichten. Demnach ist bei 45 Prozent der Betriebe die Auslastung aktuell gut oder sehr gut, bei weiteren 30 Prozent befriedigend. 46 Prozent der Befragten berichten von einer guten oder sehr guten wirtschaftlichen Lage. „Sehr schlecht“ geht es der Umfrage zufolge lediglich 8 Prozent der Betriebe. Und es gibt unverändert gut zu tun: 31 Prozent der Befragten berichten aktuell von Überstunden und dem Aufbau von Zeitguthaben, nur bei 5 Prozent der Betriebe gibt es Fälle von Kurzarbeit. 

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