100 Jahre Betriebsrätegesetz

Ein Meilenstein betrieblicher Mitbestimmung

Dass Gesetzgebungsverfahren in Deutschland von blutigen Auseinandersetzungen begleitet werden, dass Demonstranten, die sich für Reformen einsetzen, von der Sicherheitspolizei erschossen werden – das mag sich heute niemand mehr vorstellen. Und doch war es so, damals vor 100 Jahren.

100 Jahre Mitbestimmung bei Evonik

Michael Vassiliadis, IG-BCE-Vorsitzender, würdigt die Geschichte der Mitbestimmung.

Foto: © Bannert

Im noch jungen demokratischen Deutschland sorgten wirtschaftliche Not, radikale Parteien und politische Unruhen für Existenzängste und Hoffnungslosigkeit. Die Menschen wollten mehr Demokratie und mehr Mitbestimmung – vor allem auch in ihrem Betrieb. Ein Ansinnen, das hart umkämpft war und viele Gegner hatte. So mussten die Menschen für ihr betriebliches Mitbestimmungsrecht ihr Leben aufs Spiel setzen. Am Ende mit Erfolg.

Am 4. Februar 1920 verabschiedete der Reichstag schließlich das Betriebsrätegesetz. Trotz aller Widerstände stimmte die Mehrheit der Abgeordneten für das Betriebsrätegesetz und setzte damit ein richtungweisendes Zeichen für die Zukunft der Arbeitnehmerrechte. Damit kam es erstmals zu einer rechtlich verankerten und gewählten Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Ein Meilenstein im Kampf der Arbeiterklasse, für mehr Mitsprache und Demokratie in der Wirtschaft. Ein Tag für die Geschichtsbücher. In großen Teilen basiert auch das aktuelle Betriebsverfassungsgesetz auf den Beschlüssen von vor 100 Jahren.

„Was damals durchgesetzt worden ist, bleibt bis heute wertvoll“, sagt Martin Albers, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Evonik. Eine starke Mitbestimmung bringe über Unternehmen und Beschäftigte hinaus auch für die gesamte Gesellschaft Vorteile. „Sozialpartnerschaft setzt darauf, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam tragbare Lösungen finden“, so Albers. „Das schließt Konflikte nicht aus, aber es macht sie nicht zum Ziel.“

Damals, als die Mitbestimmung ihren Ursprung fand, war sie noch umstritten und wurde auch in den Jahrzehnten danach immer wieder in Frage gestellt. Die Nationalsozialisten schafften das Betriebsrätegesetz 1934 sogar ab. Auch im Betrieb galt damals das Führerprinzip. Eine Rolle, die der Arbeitgeber einnahm und dem die Beschäftigten folgen mussten. Der weitere Verlauf ist bekannt. Vor diesem Hintergrund betonte der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis, anlässlich des 100. Jahrestages: „Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft stehen für eine demokratische Gesellschaft, für faire Interessenwahrung und gerechte Teilhabe am Erfolg. Damit sind sie auch heute eine starke Antwort auf Rücksichtslosigkeit, Ausgrenzung und Versuche, durch Hass und Gewalt unsere Gesellschaft zu spalten.“

In Zeiten wiedererstarkten rechten Ideologien bedarf es dafür auch heute und mehr denn je starke Gewerkschaften, Betriebsräte und Vertrauensleute, die sich gemeinsam für die Interessen der Beschäftigten und für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einsetzen. Die Betriebliche Mitbestimmung ist und bleibt eine tragende Säule der Demokratie.

Zum Jubiläum der Mitbestimmung übten sich denn auch Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Betriebsratsräte mit Einigkeit und Schulterschluss. Etwa bei Evonik in Essen, wo man gemeinsam das Mitwirken von Arbeitnehmern im Unternehmen feierte. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet bezeichnete das Betriebsrätegesetz als „Meilenstein für die Entwicklung hin zu einer kooperativen Unternehmensführung, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer Hand in Hand gestalten können“.

Die Kultur der Mitbestimmung sei in den nordrhein-westfälischen Industriebetrieben besonders stark ausgeprägt. Nordrhein-Westfalen sei nicht trotz, sondern gerade wegen dieser Mitbestimmung auf Augenhöhe einer der führenden Industriestandorte. „Deshalb wollen und werden wir gemeinsam mit den Unternehmen und den Beschäftigten in unserem Land die Erfolgsgeschichte der betrieblichen Mitbestimmung in der digitalen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts fortschreiben.“

Der Chemiekonzern Evonik wird schon seit Jahrzehnten durch eine starke betriebliche Mitbestimmung der IG BCE geprägt. Der Vorstandvorsitzende Christian Kullmann sieht das als „Rückgrat für sozialen Frieden und wirtschaftlichen Erfolg“. Das „Modell der Sozialpartnerschaft“ habe Zukunft. Der Evonik-Chef: „Nicht das mitunter laute Getöse von Interessengruppen macht Land und Wirtschaft besser, sondern der vernünftige Ausgleich unterschiedlicher Interessen – der Kompromiss.“

Das sieht Martin Albers, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Evonik genauso. Er ist überzeugt: „Grundlegender ökonomischer, sozialer und ökologischer Fortschritt ist nicht gegeneinander, sondern nur gemeinsam erreichbar.“