Wasserstoff

Der Stoff der Zukunft

Klimaneutralität in der Industrie lässt sich nur mit einem radikalen Ausbau der Wasserstofferzeugung erreichen. Ein Mega-Projekt, bei dem wir erst am Anfang stehen.

Wasserstoff
Foto: © iStockphoto/anusorn nakdee

Das Grundprinzip ist simpel: Wenn man Strom durch Wasser leitet, entstehen Wasserstoff und Sauerstoff. Das kann man leicht mit einer Batterie, zwei Stück Draht und einem Glas Wasser selbst ausprobieren. Das Verfahren heißt Elektrolyse. Verwendet man mit erneuerbaren Energien erzeugten Strom, erhält man klimaneutral gewonnenen Wasserstoff. Den kann man verheizen, in Brennstoffzellen zur Stromgewinnung einsetzen oder weiterverarbeiten.

Ab dem Jahr 2050, in knapp 29 Jahren, will die Europäische Union (EU) klimaneutral sein. Wasserstoff wird dabei zu einem der wichtigsten Energieträger und Rohstoffe. Ziel der IG BCE ist es, dass während dieser Transformation die Arbeitsplätze in der Industrie erhalten bleiben. Dafür ist es notwendig, dass die Wertschöpfungsketten weiterhin bestehen.

»Klimaneutralität in der energieintensiven Industrie lässt sich nur mit Wasserstoff organisieren. Ihn werden wir in gigantischen Mengen brauchen«, sagt Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE und Mitglied des Nationalen Wasserstoffrats, der die Bundesregierung berät. Diese Schlüsseltechnologie müsse mit Hochdruck vorangetrieben werden. Die Industrie brauche eine Infrastruktur, die die Versorgung aller Standorte sicherstelle.

Auch die Betriebe müssen möglichst bald umrüsten – parallel zur laufenden Produktion: Der Einsatz von Wasserstoff in großtechnischem Maßstab erfordert neue Verfahren – und dafür müssen neue Anlagen gebaut werden. Das betrifft sowohl die Produktion von chemischen Grundstoffen, etwa Ammoniak, als auch Anlagen in Raffinerien, die aus Wasserstoff synthetische Treibstoffe herstellen können.

Die Chemische Industrie in Deutschland nutzt heute etwa eine Million Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Schätzungen gehen von dem Siebenfachen des heutigen Bedarfs im Jahr 2050 aus. Dazu kommt der Verbrauch anderer Branchen und Sektoren. Um diesen Bedarf zu decken, ist ein massiver, aber gleichzeitig kosteneffizienter Ausbau der erneuerbaren Energien erforderlich.

Deutschland wird Wasserstoff importieren müssen

Zusätzlich wird Deutschland klimaneutral gewonnenen Wasserstoff in großem Stil importieren müssen. Ein Konzept der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellenverbands nennt zum Beispiel Chile, Brasilien, Südafrika und die Ukraine als mögliche Lieferanten. Auch der Import aus Australien wird diskutiert, denkbar wäre auch aus Nordafrika oder Russland. Der IG BCE ist wichtig, dass sich Deutschland und Europa von diesen Importen nicht zu sehr abhängig machen.

Zurzeit wird der größte Teil des in Deutschland verwendeten Wasserstoffs mit einem konventionellen Verfahren gewonnen: aus Erdgas, chemisch Methan. Dabei wird das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) freigesetzt. Daher bezeichnet man ihn als »grauen Wasserstoff«. Komplett mit Hilfe erneuerbarer Energien gewonnener Wasserstoff, in der Regel per Elektrolyse, heißt »grüner Wasserstoff«. Und es gibt noch »graugrünen Wasserstoff« – das ist Wasserstoff, der zwar auf konventionellem Weg gewonnen wird, bei dessen Herstellung aber verhindert wird, dass das anfallende CO2 in die Atmosphäre gelangt. Das ist zum Beispiel durch Technologien zur unterirdischen Speicherung von CO2 möglich oder durch die technische Verwendung von CO2 oder als Feststoff anfallendem Kohlenstoff. Gerade zu Beginn ist es nach Auffassung der IG BCE nötig, möglichst viele Arten der Wasserstofferzeugung zu nutzen. Hier kann graugrüner Wasserstoff eine entscheidende Rolle spielen.

Eine Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff in industriellem Maßstab bauen BP und der Windpark-Betreiber Orsted in Lingen in Niedersachsen. Direkt an der dortigen Raffinerie entsteht eine 50-Megawatt-Elektrolysean-lage, die 2024 in Betrieb gehen soll. Sie soll mit Strom aus Offshore-Windparks Wasserstoff gewinnen. Rund 20 Prozent des derzeit in der Raffinerie verwendeten grauen Wasserstoffs könnten so eingespart werden. »Ziel von BP ist es, langfristig den gesamten fossil erzeugten Wasserstoff der Raffinerie Lingen zu ersetzen«, heißt es in einer Mitteilung der beiden Unternehmen. Dazu lässt sich die Kapazität der Anlage relativ einfach auf 150 Megawattstunden erweitern. Vorstellen können sich die beiden Konzerne auch eine weitere Aufrüstung auf eine Kapazität von mehr als 500 Megawatt. Der dann erzeugte Wasserstoff könnte in die Herstellung von synthetischem Treibstoff fließen, etwa für Flugzeuge.

Wasserstoff muss dorthin gelangen, wo er gebraucht wird

Eigentlich ist Wasserstoff aber viel zu schade zum Verbrennen – zumindest, so lange der Bedarf als Rohstoff nicht aus klimaneutralen Quellen gedeckt ist. Doch für eine stoffliche Verwendung muss der Wasserstoff dorthin gelangen, wo er gebraucht wird. Dazu gibt es zwei Ansätze: Entweder man produziert ihn dort, wo Strom üppig vorhanden ist, etwa in der Nähe von Offshore-Windparks. Dann sind Zwischenspeicher – etwa unterirdische Kavernen – und Pipelines nötig, um das Gas zum Abnehmer zu transportieren. Oder man gewinnt den Wasserstoff dort, wo er gebraucht wird. In diesem Fall muss das Stromnetz so gut ausgebaut sein, dass es die benötigten Mengen Strom vom Erzeuger zur Elektrolyse-Anlage in der Nähe des Wasserstoff-Abnehmers bringen kann. Doch der Ausbau des Stromnetzes, der schon heute dringend notwendig ist, kommt nur im Schneckentempo voran. Und ein deutschlandweites Wasserstoff-Fernleitungsnetz gibt es erst recht nicht. Die größte regionale Pipeline hat eine Gesamtlänge von 240 Kilometern. Sie versorgt vom Chemiepark Marl in Westfalen aus Abnehmer an Rhein und Ruhr.

Bereits vor rund einem Jahr haben die Betreiber des Gasfernleitungsnetzes ein Konzept vorgestellt, nach dem in Deutschland ein Wasserstoffnetz mit insgesamt 5900 Kilometern Länge entstehen kann. Es soll klimaneutral erzeugten Wasserstoff aus dem Norden zu den großen Abnehmern im Westen und im Süden des Landes transportieren. Dafür wollen die Unternehmen zu einem großen Teil bestehende Erdgaspipelines umrüsten.

All das klingt futuristisch. Aber die Zeit drängt. »Der Staat muss der Zukunftstechnologie Wasserstoff zum Durchbruch verhelfen«, sagt dazu Michael Vassiliadis. »Der Markt allein wird es nicht richten.«

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