Ein Jahr nach dem Anschlag in Hanau

"Noch entschlossener für unsere Werte einsetzen"

Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi und Fatih Saraçoğlu. Neun Menschen riss Tobias R. bei einem rechtsextremistischen Anschlag vor einem Jahr aus dem Leben, weil sie nicht in sein menschenverachtendes Gesellschaftsbild passten. Danach tötete er seine Mutter und anschließend sich selbst. 

Gedenken an den Anschlag in Hanau

Ein Jahr danach: Gedenken an die Opfer des rechtsextremen Anschlags in Hanau.

Foto: © picture alliance / REUTERS | Kai Pfaffenbach

Zu den Opfern in Hanau gehörte auch ein Mitglied der IG BCE, ein junger Kollege, der seit seiner Ausbildung bei Goodyear Dunlop bei der IG BCE war: Anfang 20, beliebt, hochengagiert in der Jugendarbeit, ein Vorbild. „Wir haben einen von uns verloren – durch einen Angriff, der auch ein Angriff auf unsere tiefsten Werte war“, sagt der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis. 

„Der rassistische Mordanschlag hat uns tief betroffen gemacht“, betont er. „Unsere Antwort darauf muss sein, sich nur noch entschlossener und mutiger für unsere Werte einzusetzen. Wir stellen uns gegen Hass und Hetze und treten für eine offene und tolerante Gesellschaft ein.“

Deshalb nimmt die IG BCE auch an der vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierten Gedenkveranstaltung anlässlich des ersten Jahrestags der Morde in Hanau teil.  Auf einem antifaschistischen Stadtrundgang laufen die Teilnehmer*innen die Orte des Anschlags ab und legen einen Kranz nieder. Der Bezirksjugendausschuss Mittelhessen setzt online mit der Aktion „Gegen das Vergessen: Zeige Solidarität mit den Opfern“ ein Zeichen gegen Rassismus. Aus Fotoeinsendungen soll ein Kurzfilm entstehen sowie eine Collage erstellt und auf dem Kranz angebracht werden. 

„So ein Anschlag kommt nicht aus dem Nichts“, betont Sabine Süpke, Leiterin der zuständigen IG-BCE-Landesbezirks Hessen/ Thüringen. Eine Gesellschaft müsse aufmerksam sein. „Das Innehalten und das Gedenken der Opfer ist deshalb so wichtig“, unterstreicht sie und ergänzt: „Eine Demokratie braucht Demokraten, engagierte Menschen, die für ihre Überzeugungen eintreten.“ Die IG BCE habe verschiedene Initiativen gestartet, um Rassismus und Rechtsextremismus zu bekämpfen.

Solidarität grenzenlos — das ist das Motto der in diesem Jahr vom 15. bis zum 28. März stattfindenden Internationalen Wochen gegen Rassismus. Auch die IG BCE sieht sich in der Pflicht, Menschenrechte und Demokratie zu verteidigen und zu stärken sowie sich gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und andere Elemente der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zur Wehr zu setzen. Damit Gewerkschaftsmitglieder als starke und klare demokratische Akteur*innen auftreten können, werden in Web-Angeboten Möglichkeiten zur Auseinandersetzung und Diskussion gegeben. Anmeldeschluss ist jeweils am Veranstaltungstag um spätestens 12 Uhr. 

Zu den Initiativen zählen zum Beispiel auch Betriebsvereinbarungen, die Vielfalt im Betrieb konkret fördern und Rassismus bekämpfen sollen. Entsprechende Vereinbarungen sollen gemeinsam mit den Betriebsräten und Unternehmen in den Branchen der Gewerkschaft ausgehandelt werden. Im vergangenen Jahr startete die IG BCE gleichzeitig die Kampagne „Gesicht zeigen – Stimme erheben“, um damit einen Beitrag zum Abbau von Vorurteilen und Vorbehalten zu leisten: „Vorurteile und Diskriminierung machen nicht vor den Werkstoren halt. Benachteiligungen aufgrund von Ressentiments kommen leider immer noch vor, sei es durch beleidigende Kommentare oder durch Auswahlsysteme, die nicht ausreichend Vorsorge vor Benachteiligung bieten“, sagt Vassiliadis. Gewerkschaften seien die gesellschaftliche Kraft für die Demokratisierung der Arbeitswelt. 

Eine der ältesten antirassistischen Organisationen in Deutschland ist der Kumpelverein „Mach meinen Kumpel nicht an – für Gleichbehandlung, gegen Rassismus“, der 1986 von der DGB-Gewerkschaftsjugend gegründet wurde. Der Verein bekämpft Rassismus und Diskriminierung insbesondere in der Arbeitswelt, unter anderem mit dem jährlichen Wettbewerb „Gelbe Hand“. Denn Ungleichbehandlung, fremdenfeindliche Schmierereien oder rechte Stammtischparolen am Arbeitsplatz oder in der Schule kommen immer wieder und überall vor. 

Deutlich wird das Problem auch beim Blick auf die polizeiliche Kriminalstatistik. Zwar gibt es noch keine offiziellen Zahle für 2020, aber laut der letzten Erhebung wurden mehr als die Hälfte der 41.177 politisch motivierten Straftaten im Jahr 2019 der rechtsradikalen Szene zugeordnet. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl um fast zehn Prozent.