Diskussion zur Europawahl

„Es geht um was!“

Die Europawahl steht vor der Tür. Eine breite Wahlbeteiligung ist wichtig – denn Demokratie braucht Teilhabe. Wer mitbestimmen will, braucht aber auch Informationen. Deshalb hat der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis Europaparlamentarier aufs Podium im Bildungszentrum Haltern am See eingeladen und diskutierte mit ihnen über ihre Konzepte für die EU.

Diskussion zur Europawahl
Foto: © Frank Rogner

Es ging größtenteils friedlich zu im idyllischen Innenhof des Bildungszentrums der IGBCE in Haltern am See. Ganz nach dem Vorbild des EU-Parlaments, wo jeder mit jedem kann, wenn es inhaltlich passt. Klassische Lager wie zwischen den Regierungs- und Oppositionsparteien des deutschen Bundestages gibt es dort nicht, für jedes Thema wird unter allen demokratischen Abgeordneten nach einer beschlussfähigen Mehrheit gesucht. Das berichteten die erfahrenen Europaparlamentarier Dennis Radtke (CDU), Jens Geier (SPD) und Daniel Freund (Grüne). Außerdem war Michael Terwiesche von der FDP dabei, er möchte zum ersten Mal ins EU-Parlament einziehen.

Gemeinsam sprachen sie mit dem IGBCE-Vorsitzenden Michael Vassiliadis über die Inhalte der Europawahl. Die Diskussionsrunde ist eine von vielen Veranstaltungen, die die IGBCE aktuell bundesweit organisiert unter dem Motto: „Projekt Zukunft geht nur mit Europa.“ 

Bei den versammelten Betriebsräten im Publikum machte sich Terwiesche in Haltern am See schnell unbeliebt, als er die Europäische-Betriebsräte-Richtlinie zum überflüssigen Bürokratie-Monster erklärte, das abgeschafft gehöre. „Das ist Demokratie und nicht Bürokratie“, konterte der IGBCE-Vorsitzende Vassiliadis und ging zum Angriff über: „Lasst uns doch zur Entbürokratisierung die Fünf-Prozent-Hürde auf zehn anheben, dann ist die FDP weg vom Fenster.“

Spannender für die IGBCE war die Frage, wie die Parteien zum Green Deal der EU stehen, wie sie sich die Transformation zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft vorstellen. „Wir nehmen das Thema grüner Wandel ernst, weil wir Verantwortung übernehmen wollen für unser Klima“, sagte Vassiliadis: „Die IGBCE repräsentiert fast nur Beschäftigte aus Industrien, die in diesem Wandel besonders gefordert sind.“

Diskussion zur Europawahl

Eine IGBCE-Umfrage hat ergeben, dass sich die Mehrheit ihrer Mitglieder als Europäer fühlen und ein großes bis sehr großes Interesse an der Europawahl haben. Gleichzeitig ist die Mehrheit aber unzufrieden mit der Politik des EU-Parlaments in Sachen Green Deal. Dazu sagte Dennis Radtke: „Man muss ja auch nicht immer alles mit Ja beantworten, um ein guter Europäer zu sein.“ Es gebe im demokratischen Spektrum des EU-Parlaments niemanden, der die ambitionierten Ziele des Green Deal infrage stelle. „Aber man muss schon sagen, dass bei einigen Umsetzungen die Frage der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie nicht die Rolle gespielt hat, die sie hätte spielen müssen.“ Wichtig für die nächste Legislaturperiode sei, „den Green Deal so gangbar zu machen, dass am Ende nicht Klima- und Emissionsziele erreicht werden, weil Industrie aus Europa verschwindet.“ 

SPD-Mann Jens Geier erklärte: „Ich bin auch nicht mit allem einverstanden, was da passiert. Deshalb mache ich Politik und sage: arbeiten wir daran, dass es besser wird.“ Entscheidend sei: „Wir können nicht sagen, wir gehen raus aus den Fossilen – das ist, wie einer Lokomotive in voller Fahrt die Räder zu wechseln – und machen mit allen anderen Fragen einfach so weiter wie bisher. Wenn wir Perspektiven gewinnen wollen, muss da Geschwindigkeit rein.“

Grünen-Vertreter Daniel Freund bezeichnete es als Jahrhundertaufgabe, „diesen Kontinent klimaneutral zu machen, ohne dass wir ein Museum werden, sondern mit einer weiterhin starken Industrie und gut bezahlten Arbeitsplätzen“. Ein Problem sieht er im Durchhaltevermögen der Menschen. „Ich hoffe, dass die Leute nicht sagen, weil mir einzelne Aspekte nicht passen, werfe ich die ganze Demokratie gleich noch mit raus.“ Der Wandel sei anstrengend, benötige viele Investitionen und einzelne Unternehmen würden der Transformation zum Opfer fallen. Wichtig sei aber für jene Unternehmen, die viel Geld in die ihre Transformation investieren müssten, „dass der gesetzliche Rahmen dafür nicht alle paar Jahre wieder aufgemacht wird.“

Klare Konzepte legte an diesem Abend niemand auf den Tisch, aber alle waren sich einig, dass immense Investitionen nötig sein werden. „Und wenn sich das nicht automatisch zu Wirtschaftswachstum und zu Erfolg umwandelt, ist das anstrengend“, sagte Michael Vassiliadis. Wenn dann noch Industrien verloren gingen, ohne dass etwas adäquat Neues dazugewonnen werde, und wenn sich das in Europa zudem nicht linear zwischen den Nationen verteile, dann entstehe eine Menge sozialer Druck und es komme zu einem Akzeptanzverlust. „Wenn man das vermeiden will, muss man sich einmischen“, betonte der IGBCE-Vorsitzende. Also wählen gehen. Denn: „Es geht um was!“

Eine Alternative zur Europäischen Union gibt es nicht, wenn man mit den konkurrierenden Wirtschaftsräumen in Nordamerika, Südamerika und vor allem in Asien mithalten will. „Die sind so groß, dass ein Single-Germany-Ansatz wirklich naiv wäre. Das ist, als würden wir über große Plantagen reden in Konkurrenz zum Kleingarten“, sagte Vassiliadis: „Die Größe Europas hilft uns. Allein wären wir in dieser neuen Welt nicht überlebensfähig, da können wir noch so gute Ingenieure haben.“

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