Gas-Notstand

Vorbereiten auf die Gas-Knappheit

Trotz deutlich gedrosselter Gas-Liefermengen aus Russland geht die Einspeicherung von Erdgas voran. Entwarnung kann trotzdem nicht gegeben werden: Um Versorgungsengpässe im Winter zu vermeiden, sollen Industrie und Bevölkerung weiter Energie sparen. Die deutsche Bundesregierung hat ein Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der Gasversorgung entwickelt, die EU einen Notfallplan erarbeitet. 

Kugelgastanks in Raffinerie

Kugelgastanks in Raffinerie

Foto: © iStockphoto/HAYKIRDI

Die russischen Gaslieferungen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 sind immer noch stark eingeschränkt. Aktuell werden lediglich 20 Prozent der Lieferkapazität ausgenutzt, somit kommen täglich rund 33 Millionen Kubikmeter Gas bei der Anlandestation im mecklenburg-vorpommerschen Lubmin an. Dennoch füllen sich die deutschen Gasspeicher beständig weiter. Laut der europäischen Gasspeicherbetreiber liegt der Füllstand aktuell bei knapp 72 Prozent. Zum 1. Oktober sollen es mindestens 85 Prozent sein, am 1. November 95 Prozent.  

Um vorbereitet zu sein auf einen eventuellen kompletten Gas-Lieferstopp durch Russland, haben sich die EU-Länder auf einen europäischen Notfallplan geeinigt, der in dieser Woche in Kraft tritt. Demnach sollen alle EU-Länder ihren Gaskonsum ab Anfang August bis März 2023 freiwillig um 15 Prozent senken, verglichen mit dem Durchschnittsverbrauch der letzten fünf Jahre im entsprechenden Zeitraum. Falls nicht genug gespart werde und es zu weitreichenden Versorgungsengpässen kommt, kann dann im nächsten Schritt ein Unionsalarm mit verbindlichen Einsparzielen ausgelöst werden – dafür müssten allerdings 15 EU-Länder zustimmen, die zusammen mindesten 65 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Deutschland würde demnach laut einer Schätzung der Nachrichtenagentur dpa rund 10,35 Milliarden Kubikmeter Gas einsparen – knapp ein Viertel der EU-Gesamtmenge von 45 Milliarden Kubikmetern. 

Um die Gasversorgung und den Energiesektor in Deutschland zu stabilisieren, hat die Bundesregierung bereits Ende Juli ein Maßnahmenpaket beschlossen. Unter anderem kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz an, dass der Bund ein Drittel des deutschen Energiekonzerns Uniper übernehmen will, der durch die gedrosselten russischen Gaslieferungen in Schieflage geraten ist. „Der Bund hat unsere Argumente aufgegriffen und mit seinem Einstieg bei Uniper gewährleistet, dass dieser systemrelevante Versorger als Ganzes erhalten bleibt. Das ist nicht nur ein entscheidender Schritt für mehr Jobsicherheit im Unternehmen, sondern auch zur Stabilisierung der gesamten Branche und damit unser aller Energieversorgung“, kommentierte der Vorsitzende der IGBCE, Michael Vassiliadis, diese Maßnahme. In der Krise müsse der Staat alles tun, „um einen Kollaps des Systems zu verhindern“. Deshalb sei es auch richtig, dass die Bundesregierung nun den Weg dafür frei mache, dass die horrend gestiegenen Kosten für die Beschaffung von Gas jenseits von Russland künftig auch weitergegeben werden können. Mit den für sie entstehenden Mehrkosten dürften die Bürgerinnen und Bürger jedoch nicht allein gelassen werden. 

Vassiliadis begrüßte vor dem Hintergrund das klare Signal des Bundeskanzlers, dass es für die Menschen weitere Entlastungen geben soll. Gleichzeitig fordert die IGBCE einen Solidaritätsaufschlag für Privathaushalte mit besonders hohem Gasverbrauch. „Es gibt eine Menge Menschen, die eine Menge Geld verdienen und eine Menge Gas verbrauchen“, so der Gewerkschaftsvorsitzende. „Sie müssen wir in diesen Tagen stärker in die Pflicht nehmen, um die Entlastung der finanziell Schwächeren mitzufinanzieren.“ Der IGBCE-Chef regte an, ab einer Schwelle von 16.000 kWh Jahresverbrauch Gas je Wohneinheit (entspricht dem durchschnittlichen Heiz- und Warmwasserverbrauch in einer 100-Quadratmeter-Wohnung) jede zusätzliche Kilowattstunde mit einem Aufschlag zu versehen. „Verschwendung muss über den Preis bekämpft werden.“  

Zudem lässt die Bundesregierung mehrere Steinkohlekraftwerke aus der Reserve wieder in Betrieb nehmen – wie das Kraftwerk Mehrum in Niedersachsen, seit Anfang des Monats wieder am Netz ist. Die Steag hat angekündigt, zwei Kohle-Kraftwerke wieder hochzufahren, Uniper prüft eine Rückkehr von Reserveanlagen. 

Die Unternehmen in den oftmals sehr energieintensiven Branchen der IGBCE bereiten sich unterdessen vor und entwickeln Pläne, wie sie mit der Gasknappheit umgehen: Der Chemie-Riese BASF etwa hat bereits seine gasintensive Ammoniakproduktion gedrosselt, Wartungen vorgezogen, um den Verbrauch zu senken – und setzt, wo möglich, auf Heizöl statt Gas.  Auch Henkel will mehr Kohle und Öl einsetzen und erwägt, die Belegschaft im Winter ins Homeoffice zu schicken, um die Büros nicht heizen zu müssen.

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