IG BCE Bezirk Mittelhessen

Maria Soell meldet abermals Insolvenz an – 71 Beschäftigte bangen um ihre berufliche Zukunft

Was sich schon monatelang abgezeichnet hat, wurde nun traurige Gewissheit – Maria Soell hat beim Amtsgericht Friedberg die vorläufige Insolvenz angemeldet. Betroffen von der vorläufigen Insolvenz sind die Firmen Maria Soell GmbH, die Maria Soell Holding sowie die Maria Soell High Technology Films GmbH.

Foto: Betriebsräte Maria Soell

von links: Frank Nolte (stellv. BR Vorsitzender), Franz Schindler (BR Vorsitzender)

Foto: © Alexander Wiesbach

Bereits in den vergangenen Monaten mussten insbesondere die leidgeprüften Beschäftigten der Maria Soell GmbH um die Auszahlung ihrer Gehälter bangen. Verspätete Gehaltszahlungen erst nach vorheriger Zahlungsaufforderung waren an der Tagesordnung. Auch regelmäßige tarifliche Leistungen wie das Urlaubs- oder Weihnachtsgeld wurden durch den Geschäftsführer Stefan Steinmeier nicht ausgezahlt. Erst nachdem die Zahlungsklagen bei dem Arbeitsgericht Gießen eingegangen waren und die ersten Verhandlungstermine stattgefunden hatten, erfolgten die Auszahlungen teilweise um ein halbes Jahr verspätet.

Nun ist es wieder traurige Gewissheit, dass sich sämtliche Firmen der Maria Soell wieder in der vorläufigen Insolvenz befinden. Nachdem 2015 bereits eine Insolvenz in Eigenverwaltung mit dem damaligen und jetzigen Geschäftsführer Stefan Steinmeier durchlaufen wurde, hat sich die Ausgangslage für die jetzige vorläufige Insolvenz deutlich verschlechtert. Seit der damaligen Insolvenz bei der Maria Soell GmbH fand ein personeller Aderlass statt. Insbesondere jüngere Beschäftigte schieden aus dem Unternehmen aus mit der Folge, dass die jetzige Belegschaft einen hohen Altersdurchschnitt aufweist. Was aber deutlich schwerer wiegt ist der wirtschaftliche Ausverkauf, der seither bei der Maria Soell GmbH stattgefunden hat. So wurde der überwiegende Kundenstamm an einen Konkurrenten verkauft. Der Großteil der Maschinen wurde verkauft bzw. versteigert. Zu guter Letzt wurde eine der noch verbliebenen Maschinen an einen Kunden mitsamt dem zugehörigen Personal verkauft. Derzeit wirkt das Areal wie verwaist. Dies liegt auch daran, dass sich der Großteil der Beschäftigten sowohl der Maria Soell GmbH als auch der High Technology Films GmbH entweder in Kurzarbeit befinden oder durch den Insolvenzverwalter von der Arbeit bezahlt freigestellt sind.

Während der Corona-Pandemie wurden durch die Maria Soell GmbH zwar noch medizinische Schutzkittel und beschichtete Overalls produziert – dies konnte das Unternehmen allerdings auch nicht mehr vor der vorläufigen Insolvenz bewahren.

Aber auch bei der Maria Soell High Technology Films GmbH steht derzeit die Produktion still. Die dortige Folienproduktion, die vor kurzem nochmals erweitert wurde, hat keine Rohstoffe, die sie verarbeiten könnte – und das liegt nicht allein an den gestiegenen Rohstoffpreisen und Lieferengpässen.

Derzeit verschafft sich der Insolvenzverwalter einen Überblick über die Gesamtsituation der Maria Soell inklusive sämtlicher Unternehmen. Er wird dann ein Gutachten für das Amtsgericht Friedberg anfertigen, in dem er entweder zu dem Ergebnis einer Fortführungsprognose oder einer Liquidation kommen wird. Bei dieser Ausgangslage blicken die Belegschaften der Maria Soell GmbH sowie der Maria Soell High Technology Film GmbH sorgenvoll und angespannt in die Zukunft, zumal der Arbeitsmarkt an der Grenze zwischen Wetterau und Vogelsberg nicht allzu viele wohnortnahe Alternativen bereithält.

Aus diesem Grunde hat die IG BCE am vergangenen Freitag, den 30.08.2021, zu einer Mitgliederversammlung eingeladen, in deren Rahmen der zuständige Gewerkschaftssekretär Alexander Wiesbach nochmals eine Einschätzung zu der aktuellen Situation gab und für Fragen zur Verfügung stand. Anschließend konnten sich die IG BCE-Mitglieder bei einem renommierten Personaldienstleister über ihre Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt informieren. Zudem war auch noch der Betriebsratsvorsitzende eines benachbarten Betriebes vor Ort, der über den Personalbedarf und die Einstellungschancen in „seinem“ Betrieb berichtete und für weitergehende Fragen zur Verfügung stand.

Der IG BCE, Bezirk Mittelhessen, liegt ein Schreiben des Betriebsrats vor, in dem dieser seine Sicht der Dinge zu der aktuellen Situation wiedergibt. Dieses Schreiben wird nachfolgend unverändert wiedergegeben.

„Die Belegschaft der Maria Soell ist enttäuscht und sauer. Die letzten Monate in dem Unternehmen waren aufgrund der angespannten finanziellen Lage und der anderthalbjährigen Kurzarbeit von Frustration und Ärger geprägt.

Bereits im Jahr 2015 hatte der jetzige Inhaber Stefan Steinmeier eine Insolvenz in Eigenverantwortung hingelegt. Eine nicht unumstrittene Insolvenz, bei der die Geschäftsführung die Kontrolle über das Unternehmen behält, die Schulden deutlich reduziert werden oder im Idealfall das Unternehmen schuldenfrei ist. Trotzdem konnte sich Maria Soell nicht aus der Finanznot befreien. Durch anhaltendes Missmanagement, eine katastrophale Personalpolitik und Firmenführung nach Gutsherrnart wurde die Lage immer desolater. Der ständige Personalwechsel und der daraus resultierende Know-How-Verlust hatten maßgeblich zur Insolvenz beigetragen.

Trotz hoher Einnahmen durch Verkäufe von Inventar und Kundenstamm geriet das Unternehmen immer weiter in Schieflage. Auch die angedachte Produktion von medizinischen Kitteln und Overalls hat nicht die immer wieder versprochene Entspannung gebracht. Auch der geplante Verkauf und Bebauung des vorhandenen Grundstücks konnte nicht realisiert werden.

Die Belegschaft musste ihre vertraglich vereinbarten Leistungen wie Prämien, Urlaubs- und Weihnachtsgeld seit 2015 immer wieder per Gericht einklagen. Gehaltserhöhungen liegen mehr als 10 Jahre zurück. Im letzten Winter gab es keine Heizung (es wurden Heizlüfter aufgestellt!) und im Sommer wurden in Verwaltung und Produktion Temperaturen bis 38° Grad am Arbeitsplatz gemessen. Die Unternehmerverpflichtungen während des Lockdowns in der Corona-Krise wurden ignoriert und missachtet. Der Krankenstand im Unternehmen war über Monate extrem hoch. Die Stimmung im fast 100-jährigen Traditionsunternehmen wurde immer angespannter.

Permanent wurden neue Absichten und Projekte angekündigt, die jedoch zu keiner Zeit umgesetzt werden konnten. Notwendige Investitionen für Modernisierung und Instandhaltung blieben jahrelang unberücksichtigt. Gelder wurden innerhalb der Unternehmen verschoben. Kräftig investiert wurde in die Folienproduktion und die Firmengründung Brasilien. Hohe Kosten für eine zweite Halle mit Blasfolienextruder, mit exorbitanten Leasingrate, mussten gestemmt werden. Die Materialversorgung konnte durch anhaltende Liquiditätsprobleme nicht gewährleistet werden. Die angespannte Rohstoffsituation ist zwar allgegenwärtig, aber nur am Rande relevant für den Insolvenzantrag.

In der letzten Betriebsversammlung wurde von der Geschäftsführung verkündet, dass alle offenen Rechnungen bezahlt seien und eine hohe 6-stellige , staatliche Fördersumme stündlich erwartet werde. Auf die Frage nach pünktlichen Gehaltszahlungen wurde ein Blick in die Glaskugel empfohlen. Am darauffolgenden Tag wurde Insolvenzantrag gestellt und der Geschäftsführer Stefan Steinmeier war schwer erkrankt und nicht zu erreichen.

Bleibt für alle die Frage offen „Ob, wie und für wen es weitergehen wird“? Danke Herr Steinmeier!

Die Belegschaft Maria Soell, Eichelsdorf“