50. Recklinghäuser Tagung

Von der Gastarbeiterkonferenz zum Diversity-Lab

Recklinghäuser Tagung

„Endlich können wir das 50. Jubiläum gemeinsam feiern“, sagte Karin Erhard, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes der IGBCE, in ihrer Eröffnungsrede. Sie nahm damit Bezug auf die zweifache coronabedingte Absage der Tagung in den vergangenen beiden Jahren. Anschließend richtete sie sich mit herzlichen Glückwünschen an die an Kolleg*innen, „die diese Tagung geschafft, gestaltet, vorangebracht und immer wieder auf neue Herausforderungen ausgerichtet haben.“ Dem konnte sich Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der IGBCE, danach nur anschließen. „50 Recklinghäuser Tagungen – was für ein großes Jubiläum für unsere Gewerkschaft.“ Die traditionsreiche Veranstaltung hat in diesem Jahr unter dem Motto „Diversity im Wandel der Zeit“ stattgefunden. Mehr als 200 Teilnehmer folgten der Einladung des interkulturellen Bundesarbeitskreis (iBAK) und der IGBCE in das Recklinghäuser Festspielhaus.

Was 1972 als Gastarbeiterkonferenz begann, entwickelte sich im Ruhrgebiet zu einer wiederkehrenden Bestandsaufnahme der Situation der Bergleute. Der Fokus lag auf der Lage von Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland kamen; und auch in Betrieben sowie in gewerkschaftlichen Strukturen Anschluss suchten und fanden. Die Recklinghäuser Tagung befasste sich mal konkreter mit Betriebsratswahlen und dem Bergmannsversorgungsschein, mal schaute sie allgemeiner auf das Arbeitsleben ausländischer Beschäftigter in Deutschland. Vertretungen von Ausländer*innen und Migrant*innen und die Vorgängergewerkschaften der IGBCE waren durchaus nicht immer einer Meinung. Doch zeichnete sich früh ab, was bis heute im Fokus ist: Gewerkschaften stehen gegen Ausländerhass. Das Format entwickelte sich sichtbar hin zu einer Veranstaltung mit integrativem Gestaltungswillen. Die Tagung wurde eine Art Labor für die Bildung einer gewerkschaftlichen Identität, die nicht zuerst nach der Herkunft fragt.

Die Recklinghäuser Tagung bildet längst die ganze Bandbreite im gewerkschaftlichen Miteinander ab. Es geht noch um Zuwanderung, vor allem aber um ethnische, soziale, religiöse oder sexuelle Vielfalt. „Die Entwicklung von der Gastarbeiter-Konferenz zum Diversity-Lab ist ein Aufbruch, der uns alle Stolz macht“, sagt Karin Erhard. Die letzten Jahre haben aufgezeigt, dass Diversity aktueller ist denn je. „Wo sich Unterschiede – unterstützt durch die Interessenvertretungen im Betrieb – verbinden, lässt sich Vielfalt gestalten.“

Wo sich Unterschiede unter einem gemeinsamen Ziel verbinden, entsteht Vielfalt. Aus dieser ergeben sich gesellschaftliche wie wirtschaftliche Chancen und Herausforderungen. Das spiegelt sich auch in den Betrieben und Branchen der IG BCE wider. Gewerkschaften tragen Verantwortung, sich für die Vielfalt einzusetzen und sich gegen gesellschaftliche Spaltung zu stellen. Vielfalt als Garant für starke betriebliche Mitbestimmung quasi. „Im betrieblichen Umfeld steht Diversität für die Inklusion aller Beschäftigten, ganz gleich welcher Herkunft, sexueller Orientierung, Religion oder welchen Geschlechts und psychischen wie physischen Merkmalen“, sagte Vassiliadis. Wenn Diversity im Betrieb nicht funktioniere, werde es auch im außerbetrieblichen Alltag nicht klappen. „Für eine erfolgreiche Zukunft ist Vielfalt der Schlüssel. In Zeiten der Krise müssen wir weiter zusammenrücken – sowohl im beruflichen als auch im privaten“, sagte Vassiliadis.

Mit Bezug auf dem Fachkräftemangel stellte der IGBCE-Vorsitzende die Frage, warum wir es in Deutschland nicht schaffen, eigenen Kapazitäten zu nutzen, um der Entwicklung entgegen zu wirken. Es sei völlig unverständlich, dass die Qualifizierung der Jugend nicht massiv gefördert werde und auch die Rolle der Frauen nicht noch deutlicher in den Fokus gerückt werde. Ziya Yüksel, Stellvertreter Vorsitzender des Vertrauenskörpers bei BASF in Ludwigshafen, nahm das Thema in einer anschließenden Diskussionsrunde auf und erklärte an einem Projekt-Beispiel aus seinem Betrieb, dass es durchaus möglich sei, auch diejenigen jungen Menschen in Ausbildung zu bekommen, die längst auf dem Radar abgetaucht sind. „Man muss es nur wollen.“ Auch Michael Vassiliadis sagte dazu noch mal, dass es wichtig sei, dass Thema der Nachwuchsförderung strategisch anzugehen. Das sei nicht nur Aufgabe der Gewerkschaften, sondern auch von den Arbeitgebern.

Tatsächlich leisten Gewerkschaften längst ihren Beitrag rund um Integration und Inklusion. Und die traditionsreiche Recklinghäuser Tagung nimmt darin eine Schlüsselrolle ein – bemerkbar auch an der behutsamen Entwicklung des Formats; hin zu einer lebendigen Plattform für Diversity. „Es gab immer etwas zu tun und wird es auch in Zukunft geben. Gerade jetzt, in Zeiten, in denen Anfeindungen gegen Menschen mit Migrationsgeschichte oder mit anderen Lebensmodellen häufiger werden“, betonte Erhard.