60000 Bergleute marschierten in Bonn.
Es waren Gewerkschafter, die unmittelbar nach Kriegsende begannen, ihre Betriebe und die Interessenvertretungen der Arbeiterinnen und Arbeiter wieder aufzubauen. Man hatte aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt: Statt rivalisierender weltanschaulich gebundener Organisationen gründeten sich Einheitsgewerkschaften, 1949 der DGB. Eine gesamtdeutsche Gewerkschaftsbewegung gelang allerdings nicht. Im Osten entstand der FDGB.
Trotz der Erfahrungen der Vergangenheit war es weiterhin schwierig, zentrale Forderungen in einem konservativen Umfeld umzusetzen. Ein wesentlicher Erfolg gelang aber der Bergbau-Gewerkschaft zusammen mit der IG Metall. Sie konnten der Adenauerregierung die Montanmitbestimmung mit weitreichenden Rechten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abtrotzen, ein Modell, dass sich politisch leider nicht auf andere Branchen übertragen ließ.
Deutschlands Weg ins „Wirtschaftswunderland“ ließ sich nur durch gewerkschaftliches Engagement ebnen: Kündigungs- und Mutterschutz, aber auch dynamische Renten – heutzutage nahezu Selbstverständlichkeiten - wären sonst nicht zustande gekommen. Kernfrage gegen Ende der 50er Jahre blieb die Arbeitszeit. Noch immer war die 45-Stunden-Woche die Regel. Unter dem Motto »Samstags gehört Vati mir« kann 1959 in der Steinkohle die Fünf-Tage-Woche durchgesetzt werden. Zugleich lagen schwere Schatten über dem Steinkohlenbergbau. Zehntausende von Arbeitsplätzen standen auf dem Spiel. Der legendäre Marsch auf Bonn bewies die Kraft der Gewerkschaft. Am Ende stand ein tragfähiger Kompromiss, der Arbeitsplätze rettete.
In den 60er Jahren gelang es Löhne und Gehälter in der Bundesrepublik zu verdoppeln. Doch Tarifpolitik war nie ganz einfach. So lagen in der Chemischen Industrie die Interessen in Großunternehmen und mittelständischen Firmen oft weit auseinander. Das wirkte sich auch auf die Beschäftigten aus.
Die weltweite Ölkrise 1973/1974 bewirkte durch Knappheit und Preisexplosion einen Schock, ein erster Anstoß, um grundsätzlich über eine Neuausrichtung der Energiepolitik nachzudenken. Trotzdem kam es in Zeiten sozial-liberaler Koalitionen dank des Engagements der Gewerkschaften zu spürbaren Verbesserungen: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Jugendarbeitsschutzgesetz, die Regelung der betrieblichen Altersrente, die Rentenreform sowie die flexible Altersgrenze brachten spürbare Fortschritte. Das galt auch für die Mitbestimmung, wenn auch nicht alle Ziele umgesetzt werden konnten.
Doch die „geistig-moralische Wende“ der Ära Kohl drehte das Rad der Geschichte wieder zurück. Wichtige bestehende Leistungen wurden rückgängig gemacht. Der wirtschaftsliberale Zeitgeist bestimmte das Regierungshandeln. Der IG Chemie gelang Ende der 80er Jahre dennoch ein tarifpolitischer Durchbruch. Der Entgelttarifvertrag hob erstmals die Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten auf.
Die Maueröffnung am 9. November 1989 stieß eine der größten gewerkschaftlichen Solidaritätsaktionen an: Die Gewerkschafter West unterstützten Gewerkschafter Ost beim Aufbau demokratischer Strukturen, übernahmen Betriebspartnerschaften und vermittelten Know-how.
Der nächste Schritt war konsequent: Nach der Wiedervereinigung Deutschlands schlossen sich Ost- und Westgewerkschaften zusammen: Im November 1990 die gemeinsame IGBE, im Juni 1991 die IG Chemie-Papier-Keramik und im November desselben Jahres die Gewerkschaft Leder. Doch die Herausforderungen blieben gewaltig: Statt der Hoffnung auf „blühende Landschaften“ wurde man schnell mit großen Sorgen um die Zukunft der Arbeitsplätze in der oft nicht wettbewerbsfähigen Industrie im Osten konfrontiert. Die IG Chemie setzte sich energisch für den Erhalt der industriellen Kerne ein. Ein langer Weg.