Die Mitbestimmungsinitiative der IG BCE

Transformation auf Augenhöhe gestalten

Die IG BCE startet eine politische Initiative für bessere Corporate Governance und nachhaltige Konfliktlösung in Aufsichtsräten großer Kapitalgesellschaften. Die Reformvorschläge zielen darauf ab, weitreichende Unternehmensentscheidungen im Streitfall gemeinsam durch eine Schlichtung zu finden.

Ungleichgewicht
Foto: © iStockphoto/Andrii Yalanskyi

Transformation, Digitalisierung – und jetzt auch noch Corona: Die Industrie als Deutschlands Wohlstandsgarant hat derzeit gleich mehrere Herausforderungen zu schultern, von denen schon eine ausreichen würde, einige Konzerne zu überfordern. Insofern ist es nicht überraschend, dass viele Unternehmen derzeit beginnen, jeden Stein umzudrehen und sich teils sogar neu erfinden müssen, um zukunftsfest zu bleiben.

Allein die Transformation wird in Zukunft viele strategische Zukunftsentscheidungen erfordern, die nicht von kurzfristigen Kapitalmarktinteressen geprägt sein dürfen, sondern von ökonomischer, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit und Verantwortung für den Standort. Das aber erreicht man nur, wenn Kapital- und Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat zur Augenhöhe finden.

Das ist bis heute nicht der Fall. Denn auch in paritätisch besetzten Kontrollgremien großer Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten besitzt der*die von der Kapitalseite bestellte Aufsichtsratsvorsitzende im Falle eines Patts ein Doppelstimmrecht. So sieht es das 1976 ersonnene Gesetz zur Unternehmensmitbestimmung vor.

So hängen im Extremfall folgenschwere Entscheidungen für ganze Unternehmen, Abertausende Beschäftigte und nicht zuletzt für den Wirtschaftsstandort Deutschland an der Zweitstimme einer Person. Ein besonders prominentes Beispiel dafür ist der Autozulieferer Continental, bei dem der Aufsichtsratsvorsitzende die Streichung von 30.000 Arbeitsplätzen und die Schließung ganzer Standorte mit seiner Zweitstimme durchdrückte – ohne dass zuvor gemeinsam Alternativen abgewogen werden konnten.

„Die Transformation unseres Industriestandorts wird das wahrscheinlich größte und riskanteste ökonomische Projekt seit Bestehen der Bundesrepublik“, sagt der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis. Sie zu bewältigen, sollte allen Beteiligten alle Mühen wert sein – einschließlich der, Kompromisse zu suchen. „Wir müssen gemeinsam mehr Solidarität wagen“, sagt Vassiliadis. „Auch in den Aufsichtsräten.“

Die IG BCE hat daher eine politische Initiative gestartet, die auf eine Reform des Mitbestimmungsgesetzes abzielt. Das Konzept sieht im Detail vor, dass bei weitreichenden Unternehmensentscheidungen wie etwa Rechtsformänderungen, Sitzverlagerungen ins Ausland, Unternehmensverkäufen, Werksschließungen oder Massenentlassungen im Falle eines Konflikts zwischen Kapital- und Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat ein neutraler Schlichter eingesetzt wird, der in einem angemessen kurzen Mediationsverfahren einen Einigungsvorschlag erarbeitet. Dieser kann dann nur mit einer 2/3-Mehrheit im Aufsichtsrat abgelehnt werden.

Das würde nicht nur die Kompromissfindung, sondern auch die gemeinsame Verantwortung beider Seiten stärken. Beides hat die Unternehmensmitbestimmung zu einem deutschen Standortvorteil gemacht – das hat nicht zuletzt die zweite Biedenkopf-Kommission 2006 erneut bestätigt. Damit sie es bleiben kann, muss sie an die Herausforderungen und gesellschaftlich-ökonomischen Realitäten der Gegenwart angepasst werden: „Die Mitbestimmung braucht ein Update“, sagt Vassiliadis.

Mit einem Schlichtungsmodell haben nicht nur die Branchen, die der Montanmitbestimmung unterliegen, gute Erfahrungen gemacht – also Bergbau und Stahlerzeugung. Auch in Tarif- oder anderen komplexen Konflikten konnten so tragfähige Lösungen erarbeitet werden. Dabei sind übrigens oft auch schmerzhafte Entscheidungen getroffen worden, die am Ende alle Seiten mittrugen – nicht zuletzt das Ende des Steinkohlenbergbaus, das sozialverträglich geregelt werden konnte.

Die Reformvorschläge seien kein Eingriff in die unternehmerische Freiheit, betont Vassiliadis. Sie brächten den Unternehmen im Gegenteil einen Zugewinn an unternehmerischer Beratungskompetenz. „Niemand kennt die Betriebe und ihre operative Lage besser als die dort Beschäftigten“, so Vassiliadis. Für Unternehmenslenker*innen seien oft sie weitaus bessere Sparringspartner als branchenfremde Fondsmanager oder aktivistische Investoren. Die IG BCE hat den Vorschlag bereits bei politischen Entscheidungsträgern platziert. „Erste Rückmeldungen sind ermutigend“, so Vassiliadis. Es sei gut und wichtig, dass das Thema Fahrt aufnehme, „denn der Reformbedarf ist offensichtlich“.