So sehen wir die Klima-Forderungen

Abschalten reicht nicht

Alle Welt spricht über die Klimabewegung „Fridays for Future“. Das tut jetzt auch Michael Vassiliadis. Was denkt er über die Bewegung und ihre Forderungen? Wo sieht er Gemeinsamkeiten, wo Trennlinien? Und wo will er Schwerpunkte setzen, wenn es um die Energiewende in Deutschland geht.

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Foto: © Gregor Josten

Michael, was hältst du von der Bewegung „Fridays for Future“?

Ich finde es gut, wenn junge Menschen sich politisch engagieren. Das verdient Respekt. Das ist die Generation unserer Kinder, und wir nehmen sie ernst. Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass in der Öffentlichkeit die Sensibilität für die Herausforderung gewachsen ist, vor der wir als Industrienation stehen.

Was trennt dich und die Bewegung?

Zunächst einmal gilt es zu betonen, was uns verbindet. Auch die IG BCE steht hinter dem Pariser Klimaabkommen und den deutschen Klimazielen. Es geht nicht um das Ob. Es geht um das Wie. Und da haben wir mitunter andere Vorstellungen als die Klimabewegung.

Das musst du uns erläutern.

„Fridays for Future“ fordert viel. Die Frage ist, ob die Forderungen machbar sind. Am Ende muss sich jede politische Bewegung der Realität stellen, und die ist komplexer.

Was stört dich da?

Viele unserer Kolleginnen und Kollegen – und das sind ja die Praktiker in den energieintensiven Industrien und der Energiewirtschaft – blicken zwar mit Sympathie auf die Bewegung, wissen aber auch, dass ihre Ziele unrealistisch sind. Wir können nicht nur immer mehr immer schneller abschalten, ohne dass wir die Alternativen schon vorangetrieben hätten.

Du setzt andere Schwerpunkte?

Wir glauben, dass wir dringend den Ausbau von Erneuerbaren und Stromnetzen ankurbeln müssen. Beides ist quasi zum Erliegen gekommen. Wenn wir so weitermachen, werden wir nicht nur die Klimaziele 2030 verfehlen, dann wird sogar der geplante Kohleausstieg 2038 sehr schnell unrealistisch. Gleichzeitig müssen wir Deutschland in einem gesamtgesellschaftlichen Kraftakt zum Technologieführer der Transformation machen. Hier liegt eine große Chance für den Industriestandort. Wenn wir klimafreundliche Lösungen international vermarkten können, profitiert davon auch der globale Klimaschutz. Sparsamere Autos und Kraftwerke, neue, CO2-arme Brennstoffe, umweltverträgliche Kunststoffe: Solche Lösungen entstehen schon heute in unseren Betrieben. Doch da muss noch mehr kommen. Wir brauchen klimaneutrale Innovationen für die energieintensive Industrie. Da sind Unternehmen und Politik gefragt.

Die Klimabewegung hat sogar zum Streik aufgerufen.

Da muss man ein bisschen vorsichtig sein. Im Grunde geht es in diesem Aufruf nicht um Streik, sondern um die Teilnahme an Demonstrationen. Das ist auch okay. Demonstrationen gehören zu einer Demokratie dazu. Wir haben übrigens, anders als andere Gewerkschaften, nicht explizit zur Teilnahme aufgerufen. Dazu haben wir in zu vielen Detailfragen unterschiedliche Meinungen. Entscheidend ist ohnehin, wie wir wirklich in ein konstruktives Handeln kommen, das auch Fortschritte bringt.

Was schwebt dir vor?

Wir haben „Fridays for Future“ zu einem Gespräch eingeladen, um auszuloten, wo wir gemeinsam konkret Klimaschutz vorantreiben können. Für uns steht die Offensive
zum Ausbau der Erneuerbaren und zum Leitungsausbau ganz oben auf der Agenda. Klar ist: Alle gesellschaftlichen Gruppen werden ihren Teil beitragen müssen, damit die Klimawende ein ökologisches, ökonomisches und soziales Erfolgsmodell wird.