Tarifrunde Feinkeramik

Branche mit vielen Facetten

Künstliche Hüftgelenke, Teller und Toiletten - oft haben sie eins gemeinsam: Sie bestehen aus Keramik. So unterschiedlich wie die Produkte sind auch die 77 Unternehmen in der feinkeramischen Industrie (West). Die Bandbreite reicht vom hoch technologisierten Weltmarktführer bis hin zu kleineren, handwerklich arbeitenden, Betrieben. Die Branche umfasst die Sparten Porzellan, Sanitärkeramik und technische Keramik. Technische Keramik wird zum Beispiel in der Medizintechnik oder im Autobau gebraucht.

Keramikproduktion bei Arzberg-Porzellan GmbH
Foto: © Bilderfilm.de

Mitte Juni findet die erste Verhandlung in der diesjährigen Tarifrunde statt. Ihre Forderung hat die IG-BCE-Tarifkommission bereits Ende April aufgestellt. Sie will für die rund 17.000 Beschäftigen der Branche eine spürbare Erhöhung der Vergütungen, eine Weiterentwicklung der tariflichen Einmalzahlungen wie dem Demografie-Betrag oder dem Urlaubsgeld und eine Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten durchsetzen.

„Wir müssen eine Balance hinbekommen zwischen den Betrieben, die durch Corona gebeutelt sind und jenen, die gut durch die Krise gekommen sind“, sagt Bernd Stahl, Verhandlungsführer der IG BCE. Denn während wegen der Beschränkungen im Hotelgewerbe beispielsweise kaum Porzellan gebraucht wurde, stieg der Umsatz in der Sanitärkeramik deutlich an.

Porzellanfabrik BHS tabletop: Entlassungen und Stillstand wegen Corona

Schlecht lief das vergangene Jahr für die BHS tabletop. Das Unternehmen stellt Porzellan für die Außer-Haus-Verpflegung her und ist damit Weltmarktführer. Hauptkunden sind große Schifffahrtsgesellschaften, Restaurants, Fluglinien und Hotelketten. Und genau das wurde 2020 zum Problem: „Unser Unternehmen hat eine lange Tradition. Als einer der wenigen deutschen Porzellanhersteller haben wir sämtliche Krisen gut gemeistert. Aber an dieser haben wir schwer zu knapsen“, sagt der freigestellte Betriebsrat Michael Ott, der seit Beginn seiner Ausbildung zum Industriekeramiker vor 37 Jahren im Unternehmen arbeitet. Der Umsatz brach zweistellig ein. Daher wurden 170 Beschäftigte nach harten Sozialplanverhandlungen in Weiden, in Selb und in Schönwald in Ostbayern entlassen. Noch immer herrscht Kurzarbeit, aber zumindest nicht mehr flächendeckend.

BHS tabletop produziert komplett in Deutschland, vom Rohstoff bis zum fertigen Endprodukt. Bisher konnte es sich trotz deutlich höherer Lohn- und Energiekosten gegen die Mitwettbewerber aus Saudi-Arabien und der Türkei behaupten. Das Problem: Die Porzellanindustrie ist sehr energieintensiv und wird daher von der CO2-Bepreisung stark getroffen. „Für die Produktion brauchen wir Erdgas als Prozessenergie, sonst gibt es kein weißes Porzellan. Dazu gibt es – zumindest derzeit – keine Alternative“, so der 52-Jährige. „Sollte es für unsere traditionsreiche Porzellanindustrie kein Ausgleich für die seit Anfang 2021 eingeführte C02-Bepreisung geben, würde es das sehr schwer für uns machen, uns auf dem Markt weiterhin gegen die internationale Konkurrenz zu behaupten.“

Die Tarifforderung findet Ott in Ordnung: „Wir sitzen alle in einem Boot. Wir müssen versuchen, ein Gleichgewicht zu finden und das Beste für alle Seiten herauszuholen.“

Fliesenhersteller Deutsche Steinzeug: Aussichten verhalten optimistisch

Holger Pallotta-Kahlhofer
Foto: © Markus Feger

„Die Betriebe, denen es gut geht und ein starkes Jahr hinter sich haben, sollten ihren Beschäftigten auch mehr zahlen.“

Holger Pallotta-Kahlhofer
Betriebsratsvorsitzender, Deutsche Steinzeug

Das sieht Holger Pallotta-Kahlhofer genauso. Der 46-Jährige ist Betriebsratsvorsitzender bei dem Fliesen- und Mosaikhersteller Deutsche Steinzeug in Alfter-Witterschlick bei Bonn. Mit der Forderung ist er sehr einverstanden: „Dadurch, dass wir keine konkreten Prozente genannt haben, laufen wir nicht Gefahr, falsche Erwartungshaltungen zu schnüren. Denn die Situationen der einzelnen Betriebe sind sehr unterschiedlich.“ Klar sei, dass es Differenzierungen geben müsse, zum Beispiel bei den Einmalzahlungen: „Die Betriebe, denen es gut geht und ein starkes Jahr hinter sich haben, sollten ihren Beschäftigten auch mehr zahlen“, so das Tarifkommissionsmitglied.

Gut war das vergangene Jahr für die Deutsche Steinzeug und die bundesweit 1250 Beschäftigten nicht: „Wegen Corona ist uns der Export komplett weggebrochen. Nichts ging mehr rein, nichts mehr raus“, sagt der 46-Jährige. Nur mit einem Hilfskredit und Kurzarbeit konnte sich das Unternehmen über Wasser halten. Denn normalerweise macht der Export bei dem Produzenten von Wohn-, Schwimmbad- und Fassadenkeramik fast die Hälfte des Umsatzes aus.

2021 läuft das Auslandsgeschäft wieder, jetzt lahmt aber im Inland die Nachfrage nach den hochpreisigen Fliesen. „Wir vermuten, dass die Deutschen in ihrem Konsumverhalten vorsichtiger geworden sind“, so Pallotta-Kahlhofer, der dennoch verhalten optimistisch ist: „Zumindest haben wir den Export wieder im Griff.“  

Badhersteller Duravit: Aufträge gehen durch die Decke

Ganz anders sieht die Situation bei Duravit aus, berichtet Axel Schmider. Er ist Gesamtbetriebsratsvorsitzender des Keramikherstellers aus Baden-Württemberg. Duravit ist ein Komplettbadanbieter und betreibt in Deutschland drei Werke zur Produktion von Sanitärkeramik, Badmöbeln, Dusch-WCs und Armaturen sowie ein Logistikzentrum. Dieses Produktportfolio erweist sich aktuell als krisenfest.

„Unser Umsatz ist 2020 nur leicht zurückgegangen. Das lag vor allem an einem starken Einbruch zwischen März und Juni, aber seit Juli steigert sich der Auftragseingang kontinuierlich und geht teilweise durch die Decke“, so Schmider. Aktuell ist die Lage im Unternehmen ausgesprochen gut. Das liegt vor allem daran, dass die Menschen aufgrund der Coronakrise keine großen Reisen unternehmen konnten und ihr Geld nun anderweitig investieren. „Viele renovieren aktuell ihr Bad oder ihre Küche und kaufen dafür Sanitärkeramik und auch neue Möbel.“ Das treibt den Umsatz bei Duravit weiter in die Höhe.

Die Tarifforderung der IG BCE findet Schmider deshalb auch angemessen. „Ich stehe zu 100 Prozent dahinter, denn sie ist im Hinblick auf unsere aktuelle wirtschaftliche Lage absolut gerechtfertigt. Allerdings müssen wir auch Rücksicht nehmen auf die Krisenverlierer in unserer Branche wie Porzellanhersteller, deren Umsätze eingebrochen sind“. Gerade das spricht aus Sicht von Schmider für eine kurze Laufzeit des Tarifvertrags, um schnell reagieren zu können, wenn sich die wirtschaftliche Situation der Keramikindustrie nach Corona insgesamt verbessert.

Villeroy & Boch: Gute Aussichten trotz großer Herausforderungen

Wie differenziert die wirtschaftliche Situation der Branche aktuell ist, zeigt sich wohl am besten bei Villeroy & Boch. Denn das Unternehmen aus dem Saarland stellt sowohl Geschirr, als auch Sanitärkeramik und Badmöbel her. „Viele unserer Shops sind aktuell geschlossen und der Umsatz dort ist eingebrochen, ebenso wie unser Hotel- und Gastronomiebereich. Im Bereich des E-Commerce sind wir allerdings deutlich gewachsen“, berichtet Ralf Runge von der aktuellen Lage in seinem Betrieb.

Er ist Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Villeroy & Boch, das ähnlich wie Duravit aktuell vom Boom bei der Sanitärkeramik profitiert. „Mittlerweile sind wir wieder auf dem Umsatzniveau von 2019 und die aktuellen Zahlen sind sogar besser als erwartet“, so Runge. Daher steht auch er hinter der Forderung der Tarifkommission: „Für die Leistungen, die die Mitarbeiter*innen von Villeroy & Boch in den vergangenen Monaten erbracht haben, müssen sie auch etwas zurückbekommen.“

Besonders wichtig sei auch eine Verbesserung im Rahmen von Demografie und der Arbeitszeitbedingungen in der Branche, um neue Mitarbeiter*innen zu gewinnen. „Es wird immer schwieriger, junge Leute zu finden, die beispielsweise auch bereit sind, an Wochenenden zu arbeiten“, so der 58-Jährige. Hier darf sein Unternehmen nicht den Anschluss an andere Branchen verlieren. Doch auch er betont, dass die Lage in der feinkeramischen Industrie aktuell sehr ambivalent ist. „Wir sollten eine differenzierte Lösung für die Branche finden. Firmen, denen es gut geht, müssen ihre Beschäftigten daran teilhaben lassen und Betriebe, denen es schlecht geht, dürfen nicht überfordert werden. Einen solchen Kompromiss zu finden, wird die Herausforderung sein“, meint Runge abschließend.

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Feinkeramik
Foto: © Colourbox/ Markus J. Feger
Tarifrunde Feinkeramik

Nach einem mehr als 12-stündigen Verhandlungsmarathon in der zweiten Runde haben sich IG BCE und die Arbeitgeber der Feinkeramischen Industrie (West) am späten Mittwochabend in Kassel auf einen Tarifabschluss geeinigt.