Natürlich steht bei der diesjährigen Papier-Tarifrunde eine reale Entgelterhöhung im Fokus. Doch der IG BCE geht es um mehr: die in weiten Teilen der Branche noch immer vorhandene jahrzehntealte Differenzierung zwischen Löhnen und Gehältern soll endlich der Vergangenheit angehören. Ein einheitlicher Entgeltrahmentarifvertrag muss her.
Wenn am Mittwoch, 9. September die erste Verhandlungsrunde für die rund 40.000 Beschäftigten in der deutschen Papierindustrie startet, dann kämpft die Bundestarifkommission auch für den aus ihrer Sicht nötigen Strukturwandel in den Entlohnungsstrukturen. „Nachdem in allen Flächentarifverträgen im Verantwortungsbereich der IG BCE die Ungleichbehandlung zwischen qualifizierter gewerblicher Tätigkeit und Angestelltentätigkeit beendet worden ist, ist dies überfällig“, verlangt Verhandlungsführer Frieder Weißenborn.
Entlohnungsstruktur: Branche verharrt auf altem Stand
Tatsächlich herrscht bis heute in weiten Teilen der Papierindustrie eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: noch immer unterscheiden die vorhandenen Entlohnungsstrukturen nach Löhnen und Gehältern, also nach Angestellten und Arbeitern. „Ein solches Relikt aus den 60er bzw. 80er Jahren passt weder zur stattgefundenen technisch-technologischen Innovation der Branche noch zur bereits eingeleiteten Digitalisierung“, betont Weißenborn.
„Es gibt genug gute Beispiele, die wir für einen branchenweiten Entgeltrahmentarifvertrag nutzen können“, führt Frank Gottselig, Betriebsratsvorsitzender bei Essity Mannheim, an. „Stora Enso und Essity haben Haustarifverträge in der Produktion und im technischen Bereich (gewerblich Beschäftigte). UPM besitzt in einer Gesellschaft einen Entgelttarifvertrag im Angestelltenbereich. Das sind alles Blaupausen für einen einheitlichen Entgeltrahmentarifvertrag mit regionalen Entgeltgittern.“ Gottselig, seit 25 Jahren Mitglied der Tarifkommission, meint: „Das Thema muss jetzt vom Tisch.“
Arbeitgeber müssen liefern
Bereits in der vergangenen Tarifrunde erhöhte die IG BCE abermals den Druck. Immerhin: Die Arbeitgeber erklärten sich zu Gesprächen bereit. Im Oktober 2019 folgten Verhandlungen. Schon im Februar 2020 präsentierte die Gewerkschaft einen vollständigen Tarifvertragsentwurf. „Der Verband muss sich jetzt endlich positionieren und sich bereit erklären, zukunftsorientierte Entlohnungsstrukturen zu schaffen“, so Gottselig.
Die Arbeit in der Produktion habe sich deutlich verändert. Wo früher ausschließlich körperliche Kraft gefragt war, seien inzwischen IT-Kenntnisse über ganze Prozesszusammenhänge unabdingbar: „Ein Papiermaschinenführer im Schichtbetrieb regelt mehr Regelungskreisläufe als ein Pilot in einen Jumbo-Jet. Instandhalter halten millionenschweres Anlagekapital am Laufen und verbessern Prozesse mit flexiblen Service-Zeiten“, erklärt Frank Gottselig. „Im Werk erwarten die Arbeitgeber technisches Know-how, setzen Englischkenntnisse ebenso voraus wie länderübergreifende Teamarbeit. Doch beim Entgeltniveau orientiert man sich an Stellenbeschreibungen aus dem vorherigen Jahrhundert. Das passt nicht zusammen!“
Keine Entwicklungsperspektiven, keine Fachkräfte
Dieses Manko kritisiert nicht nur die Tarifkommission. Auch viele Arbeitnehmer ziehen inzwischen daraus ihre ganz eigenen Konsequenzen, berichtet Dirk Hansmeier, Betriebsratsvorsitzender bei Mitsubishi HiTec Paper Bielefeld. „Das anfängliche Entgelt nach der Ausbildung bleibt auf ewig bestehen, finanzielle Entwicklungsmöglichkeiten können wir keine anbieten“, kritisiert er. Sein Vorschlag: „Im Gegensatz zum jetzigen System würde man in einer vorgegebenen Entgeltgruppe Stufen durchlaufen. Es bestünde auch die Chance, eine Entgeltgruppe zu überspringen. Zudem würde ein Entgeltrahmentarifvertrag eine Perspektive und damit einen Anreiz schaffen, um eine Ausbildung gerade als Papiertechnologe anzustreben. Facharbeiter, die wir dringend in der Papierindustrie benötigen, würden profitieren und sich nicht zu anderen Branchen orientieren“, so Hansmeier. Denn genau das passiere inzwischen.
Für Verhandlungsführer Frieder Weißenborn sind das „logische Konsequenzen einer tarifpolitischen Schuld aus den vergangenen drei Jahrzehnten, die die Arbeitgeber zu verantworten haben.“ Doch er schaut nach vorne: „Die Tarifrunde 2020 bietet jetzt die Chance, sich mit dem Arbeitgeberverband vertraglich auf einen Entgeltrahmentarifvertrag zu verständigen.“