Es ist der zweite Tag der Arbeit ohne Großkundgebungen – und doch bleiben wir Gewerkschafter*innen solidarisch und engagiert. Das gilt für den Pandemiebedingungen angepasste Präsenzveranstaltungen ebenso wie für das volle Programm im Netz.
Dieser Song ist musikalische Beitrag der Band "No Time" zum diesjährigen Tag der Arbeit. Das Musikvideo findest du hier.
Schon zum zweiten Mal in Folge fallen pandemiebedingt alle großen Veranstaltungen und Kundgebungen zum Tag der Arbeit aus. Doch vor dem Brandenburger Tor gab es am Vormittag eine kleine Aktion des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg mit knapp 300 Teilnehmer*innen, bei der IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis als Hauptredner auftrat. Unter anderem forderte er dort eine beschäftigungsorientierte und sozial eingebettete Transformation der Industriegesellschaft.
Nachdem Michael Vassiliadis die kleine Bühne an diesem historischen Ort erklommen hat, kam er umgehend auf das Motto des diesjährigen 1. Mai zu sprechen: „Solidarität ist Zukunft.“ Seit mehr als 130 Jahren werde der Tag der Arbeit gefeiert, Solidarität habe eine lange Geschichte, so Vassiliadis, sei aber immer noch hochaktuell. „Ich freue mich sehr, dass wir gemeinsam für die Solidarität der Zukunft streiten“, rief er den mehreren Dutzend Teilnehmer*innen zu, die sich mit reichlich Abstand und Masken vor dem Brandenburger Tor versammelt hatten. Alle DGB-Mitgliedsgesellschaften hatten zahlenmäßig begrenzte Delegationen zu der Kundgebung entsandt.
Vassiliadis sagte, dass Deutschlands Wirtschaft vor der Corona-Krise eine zehn Jahre andauernde Hochphase erlebt habe, die vieles einfacher gemacht habe, etwa gute Tarifabschlüsse und politische Kompromisse. „Es ging in diesen zehn Jahren vielen besser, aber nicht allen“, so der IG-BCE-Chef. „Wenn gute Zeiten nur für manche sehr gute Zeiten sind und für andere eine Zeit, in der ihre Perspektivlosigkeit und ihr Elend voranschreitet, dann ist etwas kaputt in dieser Gesellschaft“, kritisierte er.
Zugleich verwies er darauf, dass Deutschland im internationalen Vergleich trotz Pandemie grundsätzlich gut dastehe: Er habe Kontakt zu Gewerkschaftskollegen in Brasilien, Südafrika oder Indien, die über katastrophale Zustände in ihren Ländern berichtet hätten. „Bei aller berechtigten Kritik am Sozialstaat und unserem Gesundheitssystem – wir haben einen Sozialstaat und ein Gesundheitssystem. Das haben wir uns hart erkämpft und lassen es uns nicht nehmen – aber auch nicht kleinreden.“
Vassiliadis betonte, dass Solidarität, die Säule allen gewerkschaftlichen Handelns, als Gestaltungsprinzip auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens übertragen werden müsse. „Das führt immer zu gerechteren, besseren und erfolgreicheren Systemen“, erklärte der IG-BCE-Chef. Verhandlungen auf Augenhöhe, Mitbestimmung und gerechte Regelungen für die Beschäftigten: „Das ist Gewerkschaft.“ Allerdings habe die Corona-Krise die Ungleichheit im Land verschärft, eine weitere Spaltung müsse verhindert werden. „Corona trifft die Schwächsten der Gesellschaft am härtesten. Solidarität ist das menschlichste Prinzip, allen die gleichen Chancen zu bieten.“ Mit Blick auf Rechtspopulisten, die Stimmung gegen Einwanderung und Migranten machten, sagte er: „Es gibt keine deutsche genetische Solidarität, es gibt nur eine universelle Solidarität.“
Vassiliadis ging auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz ein. Bislang gebe es lediglich beim Kohlekompromiss einen detaillierten Plan, der über 2030 hinausgehe. Es dürfe nun nicht darum gehen, „immer neue Ziele“ zu formulieren, erklärte er. „Wir müssen vom Reden ins Machen kommen.“ Er forderte deswegen ein Konzept, wie der Umbau zu einer CO2-freien Wirtschaft mit einem Modernisierungs- und Investitionsschub für den Industriestandort einhergehen und Gute Arbeit der nächsten Generation schaffen könne.
„Das muss das gleichberechtigte Ziel sein, eingebettet in eine Strategie, wie die Klimaziele schnell und tatsächlich zu erreichen sind.“ Die Klimakrise sei eine „riesige Herausforderung und ernstzunehmende, globale Menschheitsfrage“. Deswegen müssten die Gewerkschaften dafür streiten, dass es einen ambitionierten Plan für Klimaschutz gebe, der zugleich soziale Gerechtigkeit und Zukunftsperspektiven für die Beschäftigten beinhalte. „Wir wollen, dass diese Fragen beantwortet werden, für jeden einzelnen, der in der Transformation steckt, egal, ob in der Autoindustrie, in der Chemieindustrie oder in der Verwaltung“.
Am Nachmittag des 1. Mai startete der DGB seinen bundesweiten Livestream, der mehr als zwei Stunden dauerte. Neben Grußbotschaften aller Chefs der DGB-Mitgliedsgewerkschaften - neben IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis etwa IG-Metall-Chef Jörg Hofmann oder Verdi-Boss Frank Werneke - kamen auch viele Gewerkschaftsmitglieder aus dem ganzen Land zu Wort. Sie erklärten, warum ihnen Solidarität wichtig ist. "Solidarität ist für Gewerkschaften nicht nur ein Wort, sondern ein Wert", sagte einer. "Nur solidarisch können wir die Fragen der Zukunft lösen", erklärte eine andere. Auch Michael Vassiliadis betonte: "Ohne gewerkschaftliche Gestaltung gibt es keine gute Zukunft für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer." Zahlreiche Künstler bereicherten das Programm, neben der Poetry Slammerin Ella Anschein traten auch die Band Misuk und Ami Warning auf. Ein besonderes Bonbon erlebten die Zuschauer*innen gegen Ende des Livestream: Dann wurde das Musikvideo von Vassiliadis Hobby-Band "No Time" (Sänger: IG-BCE-Vorstandsmitglied Francesco Grioli) mit ihrem speziell zum 1. Mai komponierten Song "Zurück in die Zukunft" gespielt. Den musikalischen Abschluss bildete ein bundesweiter virtueller Gewerkschafts-Chor: Gewerkschafter*innen aus dem ganzen Land sangen im Livestream gemeinsam "Bella Ciao".
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD, links) und der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis, am 1. Mai vor dem Brandenburger Tor.
Foto: © Gero BreloerVassiliadis und Heil nahmen beide an der Kundgebung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg am 1. Mai teil.
Foto: © Gero BreloerMichael Vassiliadis war Hauptredner der Kundgebung.
Foto: © Gero BreloerEr sprach unter anderem über das Motto des diesjährigen 1. Mai: Solidarität ist Zukunft.
Foto: © Gero BreloerEinige Dutzend Teilnehmer*innen hatten sich vor dem Brandenburger Tor versammelt: Die DGB-Mitgliedsgewerkschaften hatten jeweils kleine Delegationen gesandt, die sich mit Abstand und Masken auf dem Platz verteilten.
Foto: © Gero BreloerSolidarisch bleiben - auch mit Abstand.
Foto: © Gero BreloerNeben der IG BCE waren natürlich auch Vertreter der Schwestergewerkschaften wie IG Metall, Verdi, NGG oder BAU dabei.
Foto: © Gero BreloerGute Stimmung gab es trotz Abstandsgebot.
Foto: © Gero BreloerMichael Vassiliadis hielt eine kämpferische Rede: Solidarität müsse als Gestaltungsprinzip auf alle Bereich des Zusammenlebens übertragen werden: "Das führt immer zu gerechteren, besseren und erfolgreicheren Systemen."
Foto: © Gero BreloerNeben Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (Mitte) war auch Franziska Giffey, Bundesfamilienministerin und Chefin der Berliner SPD, gekommen, um die Rede von Michael Vassiliadis zu hören.
Foto: © Gero BreloerHubertus Heil und Michael Vassiliadis mit dem klassischen Arbeitergruß, der gestreckten Faust.
Foto: © Gero BreloerNur mit Solidarität kommen alle gut durch die Krise, erklärte Michael Vassiliadis.
Foto: © Gero Breloer