Brückenstrompreis

Standort Deutschland: Die Uhr tickt

Ein eher düsteres Bild zeichneten die Teilnehmer des Treffens der Industriegruppenausschüsse vom Zustand der energieintensiven Industriebranchen in Deutschland. Um die betroffenen Unternehmen zu entlasten und den Standort Deutschland zu sichern, forderten sie die Bundesregierung nochmals eindringlich dazu auf, zeitnah einen Brückenstromreis einzuführen.

Treffen der Industriegruppenausschüsse
Foto: © Kai-Uwe Knoth

„In der deutschen Wirtschaft braut sich nicht nur ein Sturm zusammen, er bläst vielen Branchen und Betrieben ins Gesicht – insbesondere den energieintensiven Branchen“, sagte Alexander Bercht, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IGBCE, anlässlich der gemeinsamen Sitzung der Industriegruppenausschüsse Chemie, Papier, Glas, Keramik, Kautschuk, Leder und Kunststoffe am 4. September 2023 in Hannover und präsentierte alarmierende Zahlen: Als einzige Industrienation weltweit konnte Deutschland kein Wirtschaftswachstum verzeichnen, Experten rechnen für das Jahr 2023 gar mit einem Rückgang des Bruttoinlandproduktes. Die Produktion in der Chemie lag im ersten Halbjahr 2023 um 15 Prozent, in der Grundstoffchemie und Papierindustrie sogar um 20 Prozent unter Vorjahresniveau. Das sei besonders bedenklich, da die IGBCE-Branchen am Beginn vieler Wertschöpfungsketten ständen.

Einer der Hauptgründe: Die Unternehmen ächzen unter den enormen Strompreisen, viele sind nicht mehr in der Lage, zu wettbewerbsfähigen Preisen zu produzieren. „In Deutschland zahlen Unternehmen für ihren Strom etwa 15 Cent pro kWh Stunde, in den USA vier Cent und in China 1,5 Cent“, so Bercht. Aktuell werden in den Führungsetagen die Entscheidungen darüber getroffen, ob es sich rechne, weiter in deutsche Standorte zu investieren. „Die Uhr tickt. Wenn Deutschland und die Europäische Union nicht reagieren, werden Investitionen woanders getätigt. Einmal verlagerte Produktion kehrt jedoch nicht oder nur zu sehr hohen Kosten zurück.“

Allianz pro Brückenstrompreis

Um die betroffenen Unternehmen zu entlasten und Standorte und Arbeitsplätze zu sichern, fordert die IGBCE einen Brückenstrompreis von 5 Cent je kWh – inklusive Netzentgelte und Steuern. Um keine falschen Anreize zu schaffen, müssten diese Gelder an handfeste Bedingungen wie Tariftreue, Standortsicherung und Erhalt der Arbeitsplätze geknüpft sein, erläuterte Bercht. Im August haben sich Verbände und Gewerkschaften der energieintensiven Industrien sowie der DGB zur Allianz pro Brückenstrompreis zusammengeschlossen. Sie alle bekennen sich zum Industriestandort Deutschland und der Transformation zu einer klimaneutralen Produktion. Um die Klimaziele zu erreichen, werde jedoch zunehmend mehr Strom benötigt. Bis dieser in ausreichenden Mengen aus erneuerbaren Energien zur Verfügung stehe, sei ein wettbewerbsfähiger, zeitlich begrenzter Brückenstrompreis dringend notwendig.

Die IGBCE begrüßt deshalb den Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion für einen Industriestrompreis. Dieser soll fünf Cent pro Kilowattstunde für zunächst fünf Jahre betragen. Die Differenz zum Börsenstrompreis, aktuell knapp neun Cent, soll der Staat übernehmen. Bernd Westphal, Sprecher der AG Wirtschaft der SPD-Bundestagsfraktion, unterstrich die Notwendigkeit einer zeitnahen Einführung. Der Staat solle mit diesem Instrument die Transformation der Unternehmen unterstützen. Das sei jedoch eng an die Bedingungen der Tariftreue und eines Transformationsplanes geknüpft.

Auch die anwesenden Mitglieder der Industriegruppenausschüsse bestätigen die Dringlichkeit. So berichtet Rafael Freund von der Forbo Siegling, die Kunststoff-Riemen für Fließbänder produziert, von einem markanten Einbrechen der Aufträge. „Wir sind gut durch alle Krisen gekommen. Dass es nun auch bei uns ernst wird, liegt an der schwierigen Situation in den übrigen Branchen.“ Er befürworte die Einführung eines Industriestrompreises „besser gestern als heute“. Für den Goodyear-Standort in Fulda käme der subventionieret Strompreis bereits zu spät, so Ines Sauer. Aufgrund der hohen Kosten beabsichtige die Konzernleitung die Produktion in ein Niedrigkostenland zu verlagern. In dem Zuge werde der Standort innerhalb eines guten Jahres halbiert und die Hälfte der aktuell 1200 Stellen gestrichen.

Neben der breiten Zustimmung zum Konzept des Brückenstrompreises äußerten Ausschussmitglieder aber auch Bedenken darüber, ob und wie die aus Steuereinnahmen finanzierte Maßnahme sozial vermittelbar sei. In dem Zusammenhang verwies Malte Harrendorf, Fachsekretär aus der Abteilung Wirtschafts- und Branchenpolitik, auf die ökologische und soziale Gegenleistung der Unternehmen und bezeichnete die Maßnahme als Investitionsleistung in die Zukunft der Menschen vor Ort.

Die anwesenden Verbandsvertreter der Sozialpartner betonten die zeitliche Befristung des Industriestrompreises, der „keine Brücke in die Unendlichkeit“ sei. „Das Ende muss in Sicht sein - und zwar genau dann, wenn ausreichend erneuerbare Energien zur Verfügung stehen“, so Norbert Theihs, Geschäftsführer des Hauptstadtbüros des Verbands der Chemischen Industrie. Dass die Unternehmen bereits in die klimaneutrale Zukunft investieren, bestätigte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes „Die Papierindustrie“ Alexander von Reibnitz. „Viele Unternehmen haben eine klare Roadmap zur Dekarbonisierung“, so der Verbandsvertreter.

Stimmen aus den Industriegruppen