Zukunftsdialog Chemie

Skepsis in der Chemie, Optimismus bei den Grünen

Den CO2-Ausstoß stärker reduzieren, das EEG abschaffen – vier Teilnehmer aus Politik und Industrie diskutierten über solche und ähnliche Fragen bei der Paneldiskussion Zukunftsdialog Chemie. Die Leitfrage des Dialogs lautete: „Der Europäische Green Deal – Kick-Start oder Stolperstein für die Chemieindustrie?“ Der Dialog wurde vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) initiiert.

Screenshot Zukunftsdialog Chemie VCI

Zu den Teilnehmern des Dialogs gehörten NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, VCI-Chef Christian Kullmann, der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis sowie Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Vorrangig ging es um die Frage, was der Green Deal der EU für die Chemie-Industrie bedeutet. Denn der Green Deal sieht vor, dass die gesamte EU bis 2050 klimaneutral wird – oder wenn möglich, noch deutlich früher.

Einigkeit bei Investitionen in den Klimaschutz

Zwar waren sich die Diskussionsteilnehmer einig darin, dass Investitionen in den Klimaschutz richtig seien und die Chemie-Industrie bekennt sich auch zum Ziel der Klimaneutralität der Branche; Dissens gab es aber in den Details. So bekräftigte Baerbock die Forderung der Grünen, 65 Prozent weniger Treibhausgas innerhalb von zehn Jahren einzusparen wollen – denn das sei es, was aus dem Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klima-Abkommens abzuleiten sei. In Deutschland und Europa habe man „die letzten zehn Jahre getrödelt.“ Deshalb müsse jetzt umso mehr erreicht werden, forderte sie. Dem widersprach Kullmann. Vielmehr sei Europa in Sachen Klima- und Ressourcenschutz „Weltspitze“: „Wir sind standardsetzend und maßgebend“, meinte er. Gerade in der chemischen Industrie sei das der Fall. Der VCI-Chef verwies auch darauf, dass die Gesellschaft aktuell in der schlimmsten Weltwirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg stecke – es sei daher jetzt nicht die Zeit, die Industrie weiter zu belasten. Er stimme Baerbock aber darin zu, dass jetzt in neue Technologien investiert werden müsse, um gemeinsam an den Klimaschutz-Zielen für Europa zu arbeiten. 

Dieser Forderung stimmte auch Laschet zu. Denn das sei ohnehin erforderlich, um „nämlich die Ziele aus Paris zu erreichen und den Umstieg in die klimaneutrale Wirtschaft zu schaffen“. Die andere Frage sei hingegen, welche Maßnahmen die Politik nun ergreifen könne, um die Industrie dazu zu bringen, klimafreundlich zu agieren. Gute ökologische Bedingungen in Europa würden nichts nutzen, wenn Unternehmen abwanderten. Vassiliadis erklärte zu der Klimaschutz-Thematik: „Die Politik hat einen Wettbewerb der Ziele ausgelöst“ – man müsse aber den Blickwinkel von der nationalen auf die europäische Ebene vergrößern. Das Problem könne nur global gelöst werden. Die Chemie-Industrie könne bei der Umsetzung helfen – allerdings brauche sie Strom zu einem billigen Preis.

EEG in der Kritik

Beim Thema Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gingen die Meinungen der Podiumsteilnehmer schließlich deutlich auseinander. Baerbock erklärte, dass das EEG letztlich auch eine Regulierung sei, die den Markteintritt von Technologien gewährleiste, die noch nicht wettbewerbsfähig seien. Das betreffe auch die Chemiebranche, die Energie durch Technologien bräuchte, die derzeit noch nicht im Wettbewerb bestehen könnten: „Deswegen braucht es auch im Chemiebereich Regularien, wo man sagt: Wir unterstützen zum Beispiel die Elektrifizierung im Chemiebereich.“

Kullmann wie auch Laschet sahen das allerdings anders. Kullmann sagte zwar: „Das EEG als Startpunkt für die Einführung regenerativer Energien war gut.“ Doch jetzt müsse deutlich mehr und schneller in regenerative Energien investiert werden und deshalb müsse das EEG so schnell wie möglich weg. Laschet stimmte ihm zu und meinte, dass man statt dem EEG „ein neues System“ brauche. Kullmann betonte auch die deutlich gestiegenen Energiekosten pro Haushalt. Das sah auch Vassiliadis mit Blick auf die Chemie-Industrie ähnlich: „Die teure Energie ist inzwischen ein Problem.“ Denn die Chemiebranche brauche billigen Strom, um überhaupt erst nachhaltig werden zu können.

Fragezeichen bei Energie-Versorgungssicherheit

Insbesondere die Energie-Versorgungssicherheit beschäftigte die Teilnehmer. So bemerkte Vassiliadis: „Wir reden immer von neuen Energien, die gar nicht da sind. Ausgangspunkt dieser Debatte war noch der alte Strombedarf.“ Laschet äußerte die Befürchtung, dass Deutschland in Zukunft vermutlich gar nichts anderes übrigbleiben würde, als Strom auf dem europäischen Binnenmarkt einzukaufen – um dann „doch wieder nuklearen Strom zu haben.“ Kullmann verwies auf den sehr hohen Strombedarf der Chemieindustrie und äußerte ebenfalls die Sorge, dass Deutschland in wenigen Jahren ein Netto-Importeur von Energie sein könnte. Deshalb plädierte er für Technologieoffenheit und forderte: „Wir brauchen Nordstream 2.“

Baerbock hingegen sah Nordstream 2 nicht nur außen-, sondern auch energiepolitisch sehr kritisch, da die Investitionsplanungen dafür bis 2060 reichen: „Wenn der Green Deal bis 2050 Klimaneutralität schaffen soll, dann ist schon die Frage ob wir in eine Infrastruktur in Milliardenhöhe investieren sollen.“ Gas könne eine Brücke sein, es sollte aber keinen langfristigen Einstieg darstellen, aus dem man sich nachher teuer rauskaufen müsse. Um die Energieversorgung sicherzustellen, brauche es in Zukunft Energie-Patenschaften und europäische Vernetzung.

Angesprochen darauf, was Deutschland bezüglich der Klimaneutralität der Chemie-Industrie während seiner der EU-Ratspräsidentschaft tun könne, plädierte Vassiliadis für mehr Dialog und sagte, dass durch die Transformation entstandene Zielkonflikte sozialer, wirtschaftlicher oder ökologischer Art nicht vernachlässigt werden dürften. Sollte der Dialog darüber vernachlässigt werden, „dann wird Konflikt an dessen Stelle treten“, warnte er.