Autozulieferer

Raue Zeiten

Dieselkrise und Mobilitätswende treffen nicht nur die Autobauer. Gut 70 Prozent der Wertschöpfung im Automobilbau entfallen auf die Zulieferer. Sie haben nun besonders zu leiden: unter rückläufigen Aufträgen, steigendem Preisdruck und schwindender Verlässlichkeit ihrer Auftraggeber – der Autokonzerne.

Autozulieferer_Conti
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Sie sind ein Rückgrat der Industrie in Deutschland: die Autozulieferer. Mehr als 200 000 Menschen arbeiten allein im Organisationsbereich der IG BCE in der Automobilzulieferung. Aufgrund der hohen Arbeitsteilung in der Branche – die Hersteller beziehen das Gros ihrer Komponenten von vielen hoch spezialisierten Betrieben nahezu aller IG-BCE-Branchen – entfallen rund 70 Prozent der Wertschöpfung im Automobilbau auf die Zulieferer. Sie sind der eigentliche Motor des deutschen „Autowunders“ – und gleichzeitig seit jeher Leidtragende eines rigiden Kostenregiments ihrer wenigen Großkunden.

Doch nun sind die Zeiten (noch) rauer geworden: Dieselkrise, voll vernetzte Fahrzeuge, autonomes Fahren und vor allem der klimagerechte Umbau von Antriebstechnologien erzwingen einen tief greifenden Umbruch der Automobilbranche – und schlagen massiv auf die Zulieferer durch. Und das in Zeiten, die durch Konjunkturdelle, Handelshemmnisse mit China und den USA und die Furcht vor dem Brexit ohnehin eingetrübt sind. Die Folgen spüren längst nicht mehr nur Unternehmen, die Komponenten für Verbrennungsmotoren herstellen.

Etwa SMIA in Michelau. Der Standort gehört zur 100 000 Mitarbeiter zählenden Unternehmensgruppe Samvardhana Motherson Innovative Autosystems. Dort werden Kunststoffteile für Innenraum und Außerverkleidung von Autos gefertigt. Hier, im Fränkischen, hat man die Auswirkungen der Autokrise bereits hart zu spüren bekommen. 100 von rund 1800 Stellen am Standort wurden gestrichen, weil sich die Auftragslage massiv verschlechtert hat. “Anstatt den Mobilitätswandel mit Hochdruck anzugehen, neue Modelle und Antriebe zu entwickeln, tun die Autobauer das Gegenteil: Sie warten ab“, meint Peter Leipold, Betriebsratsvorsitzender am Standort Michelau.
Christian Kestel, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei WOCO in Kronach, stellt ebenfalls zunehmende Zurückhaltung der Autobauer gegenüber ihren Lieferanten fest. Früher habe der vor allem auf Luftführungen und Geräuschdämpfung für den Motorraum spezialisierte Kunststoffhersteller oft auf eineinhalb Jahre im Voraus kalkulieren können, heute fielen die Zusagen der Autokonzerne nicht nur kleiner, sondern auch deutlich kurzfristiger aus: “Derzeit können wir auf drei, vier Monate planen, länger nicht“, sagt Kestel. Zudem habe die Bereitschaft abgenommen, sich an gestiegenen Kosten, etwa für Rohstoffe, zu beteiligen.

Auch die Großen bleiben vom Wandel nicht verschont. Darunter auch Continental, mit annähernd 250 000 Beschäftigten nach Bosch der zweitgrößte deutsche Automobilzulieferer. Um bis zu neun Prozent ging die Autoproduktion in den Hauptmärkten von Conti zurück, der Gewinn brach im zweiten Quartal um 41 Prozent auf knapp 485 Millionen Euro ein. Der Konzernvorstand hat Einsparungen und eine kritische Prüfung seiner Geschäftsbereiche angekündigt – und schließt Personalabbau nicht aus. Betroffen ist im Wesentlichen die Conti-Zulieferersparte Automotive Group, während die Beschäftigten des Antriebstechnikzweigs Powertrain – sie sind durch eine Arbeitsplatzgarantie für fünf Jahre abgesichert – und der im IG-BCE-Organisationsbereich befindliche Reifensparte derzeit nicht bangen müssen.

“Konkrete Maßnahmen stehen noch nicht fest“, sagt Hasan Allak, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats von Conti. Derzeit würden an den betroffenen Standorten Gespräche mit den Betriebsräten geführt. “Ziel muss es aber sein, möglichst alle Kollegen in Beschäftigung zu halten, etwa durch Weiterqualifizierung“, fordert das IG-BCE-Hauptvorstandsmitglied. 

Hasan Allak, Continental Reifen Deutschland GmbH

Hasan Allak, Vorsitzender des Konzernbetriebsrates bei Continental Reifen Deutschland GmbH und Mitglied des Hauptvorstandes der IG BCE.

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Schließlich sei der Mobilitätswandel lange absehbar gewesen: „Wir hätten schon früher in zukunftsweisende Antriebstechnologien investieren und die Kollegen entsprechend qualifizieren können“, ist der Betriebsratschef überzeugt. „Dass sie jetzt zu Leidtragenden von Managementfehlern werden könnten, ist inakzeptabel.“ In den guten Jahren hätten vor allem die Aktionäre durch üppige Dividenden profitiert, nun sei es an der Zeit, auch die Beschäftigten besser zu unterstützen. Einen Schritt in diese Richtung geht Conti mit einem kürzlich gegründeten Weiterbildungsinstitut, das zunächst vor allem un- und angelernte Kräfte fit für den Wandel machen soll. Finanziert wird das Institut unter anderem aus Mitteln, die das Bundesarbeitsministerium im Zuge des Qualifizierungschancengesetzes für die Förderung Geringqualifizierter freigegeben hat. Bis auch Höherqualifizierte in den Genuss des neuen Angebots kommen, werden Arbeitgeber und Betriebsrat wohl noch einiges zu verhandeln haben. Geht es nämlich nach den Vorstellungen der Konzernleitung, soll jeder Beschäftigte aus Kostengründen einen Teil seiner Freizeit in Weiterqualifizierung einbringen – je nach erforderlichen Maßnahmen immerhin bis zu 100 Stunden im Jahr. “Uns ist bewusst, dass gute, systematische Weiterqualifizierung viel Geld kostet. Das darf bei den Beschäftigten aber nicht zu einem Mehr an Belastung und Arbeitsverdichtung führen“, mahnt Hasan Allak.

Keine Frage, die Zeichen des Wandels sind unübersehbar – und die Herausforderung gewaltig. Deutschland muss die Elektromobilität vorantreiben, um in den vergangenen Jahren verloren gegangenes Terrain zurückzugewinnen, etwa auf dem wichtigen Zukunftsmarkt der Batteriezellenentwicklung und -fertigung, der Schlüsseltechnologie für E-Autos. Ob sich aber am Ende der batteriegestützte Elektroantrieb, der Brennstoffzellenantrieb, Hybridantriebe oder gar andere Konzepte wie synthetische oder recycelte Kraftstoffe durchsetzen werden (oder ein Mix aus diesen), ist noch keineswegs ausgemacht. Deshalb fordert die IG BCE von der Politik Technologieoffenheit, die sich in breiter Förderung aller vielversprechenden Konzepte niederschlägt, anstatt ausschließlich der E-Mobilität den Vorzug zu geben.

Ginge es nach Woco-Betriebsrat Christian Kestel müsste Politik zudem die Autobauer strenger in die Pflicht nehmen: „Das Verhältnis zwischen ihnen und uns Zulieferern hat sich von einer Partnerschaft schon fast zu einer Herr-Knecht-Beziehung gewandelt. Dabei sind wir Zulieferer eigentlich die stärkste Säule des Autolandes Deutschland. Deshalb brauchen wir Rahmenbedingungen, die mehr Verbindlichkeit und Augenhöhe in der Zusammenarbeit herstellen“, fordert Kestel.