Frauenkarrieren

Karriere auf der Zielgeraden

Nochmals durchstarten in der zweiten Hälfte des Arbeitslebens: geht das überhaupt? Selbstverständlich ist es keinesfalls. Drei Frauen berichten von ihren Erfahrungen.

Johanna Kürten im Gespräch mit Sigrid Krings

Johanna Kürten (lks.) ist nochmals durchgestartet. Wie sie das gemacht hat, erzählt sie Sigrid Krings

Foto: © Markus Feger

Eigentlich hätte sie einfach so weitermachen können. So, wie sie es seit mehr als 35 Jahren getan hat: als ausgebildete Chemielaborantin gewissenhaft ihrer geregelten Arbeit nachgehen. Bei Bayer fand sie sich gut aufgehoben, es mangelte an nichts. Im Team fühlte sie sich rundum wohl, war sie doch wegen ihrer langjährigen Erfahrung hoch angesehen und sehr geschätzt. Auch, weil sie jederzeit ein offenes Ohr für die Sorgen
und Nöte der anderen hatte und sich schon lange als Vertrauensfrau engagierte. Mitglied der IG BCE war sie längst.

Doch dann kam alles anders. Bayer gliederte im Jahr 2015 den Unternehmensteil, in dem Johanna Kürten arbeitete, aus dem Konzern aus. Aus der ehemaligen Bayer-Kunststoffsparte entstand der Werkstoffhersteller Covestro Deutschland AG. Das allein brachte zunächst wenig Veränderung für die damals knapp 50-Jährige mit sich. Die Veränderung kam mit einer Liste: Der Liste für die Wahl des neu zu bildenden Betriebsrats von Covestro, auf die sich Kürten hatte setzen lassen: »Ich setze mich eben sehr gern für andere ein«, sagt Kürten knapp zur Begründung.

Sie wurde gewählt – und ist inzwischen, bei der letzten Betriebsratswahl von Covestro, bereits wiedergewählt worden.
Seit dem 1. Mai 2016 ist Kürten als Bereichsbetriebsrätin für den Standort Leverkusen freigestellt, sie ist Sprecherin des Ausschusses für Chancengleichheit und Diversity/Familie und Soziales. Ein großer Schritt, zumal in einem Alter, in dem mancher Arbeitnehmer eher darüber nachdenken würde, seine Arbeitszeit und die damit verbundenen Belastungen perspektivisch herunterzufahren. Oder vom Unternehmen in diesem Alter einfach in der Karriere nicht weiter gefördert wird. Dass dies in vielen Betrieben der Fall ist, hat in den vergangenen Jahren das Projekt »KarisMa – Karriere 50 plus – mit Erfahrungen punkten« eindrücklich belegt. Für das Projekt, das vom Qualifizierungsförderwerk Chemie (QFC) in Kooperation mit IG BCE und BAVC angestoßen und Ende 2018 beendet wurde, wurden etliche Interviews in zehn beteiligten Unternehmen geführt – dank des Einsatzes von Johanna Kürten auch bei Covestro.Natürlich habe sie kurz überlegt, worauf sie sich da einlasse, gibt die Mutter einer erwachsenen Tochter zu. Schließlich sei sie eine Quereinsteigerin mit wenig Erfahrung in der Betriebsrätearbeit gewesen. Chemielaborantin wollte sie immer werden und eigentlich auch bleiben. Was, wenn sie als Bereichsbetriebsrätin versagte? Doch ihr Bauchgefühl sagte ihr: Mach es einfach, trau dich. Ihr Ehemann machte ihr ebenfalls Mut. Also sprang die Leverkusenerin ins kalte Wasser und übernahm die neue Aufgabe. Bereut hat sie es nicht. Im Gegenteil, sie geht in der neuen Aufgabe voll auf: »Heute lebe ich meinen Arbeitstraum«, betont sie.

Ähnlich mutig ist Marie-Agnes Kratz: Die 57-Jährige ist Anfang des Jahres, als Nachfolgerin von Roswitha Süßelbeck, in den Bundesfrauenausschuss gewählt worden. »Da trete ich in große Fußstapfen, das ist schon eine Aufgabe, vor der ich Respekt habe«, betont sie. Aber: Bange machen gilt nicht, sie freut sich sehr auf die neue Herausforderung. Trotz – oder sogar wegen – ihres Alters. »Ich habe doch noch zehn Jahre bis zur Rente, das ist eine lange Zeit«, findet sie.
Auch Marie-Agnes Kratz ist seit Jahrzehnten bei der Bayer AG tätig. Sie hat 1980 dort ihre Ausbildung zur Biologielaborantin gemacht, 26 Jahre hochzufrieden in dem Job gearbeitet – und sich daneben gewerkschaftlich engagiert. Seit 1996 war sie Vertrauensfrau, 2006 wurde sie Betriebsrätin, seit 2015 ist sie für die Aufgabenbereiche Arbeitszeit, Entgelt und betriebliches Vorschlagswesen freigestellte Betriebsrätin für den Standort Leverkusen. Im Landesbezirksfrauenausschuss wirkt sie seit Langem. Gearbeitet hat die Mutter eines Sohnes immer in Vollzeit. Heute, sagt sie, merke sie, dass sie so manches nicht mehr ganz so schnell wegstecke wie früher. »Man geht bewusster mit seinen Ressourcen um und achtet mehr auf sich selbst.« Das erlebt auch Susanne Schäfer ähnlich. Sie möchte ihren wirklichen Namen nicht in der Mitgliederzeitschrift genannt wissen und auch der Name des Unternehmens soll anonym bleiben. In Bezug auf die Karriere jedoch hat sie ganz andere Erfahrungen gemacht als Johanna Kürten und Marie-Agnes Kratz, zumindest im Rahmen ihres eigentlichen Jobs: Gern hätte sie auch in der zweiten Hälfte ihres Arbeitslebens weitere Karriereschritte gemacht, es gelang aber nicht.

Zwei Frauen im Gespräch
Foto: © Markus Feger

Seit sie Anfang 40 ist, arbeitet sie für ein großes Unternehmen im Raum Hannover. Dort ließ es sich erst einmal gut an: Nach einer Anstellung im Kundenservice bekam sie bald eine Leitungsstelle nach der anderen. »Es ging immer munter weiter«, blickt sie zurück. Doch irgendwann hat sie zusätzlich begonnen, sich in der Betriebsratsarbeit zu engagieren. Heute ist sie stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, freigestellt ist sie nicht. Dieses Engagement, so ist die Frau aus dem Großraum Hannover sicher, ist mit dafür verantwortlich, dass ihre Karriere ins Stocken kam. »Je mehr Aufgaben ich als Betriebsrätin übernahm, umso weniger Führungsaufgaben bekam ich.«

Der zweite Grund, den Susanne Schäfer für den Karriereknick verantwortlich macht: Sie ist eine Frau. Als das Unternehmen vor etwa zehn Jahren einen weiteren Betrieb ankaufte, gab es an etlichen Stellen Doppelbesetzungen. Zumeist machte ein Mann das Rennen, nicht die gleichermaßen qualifizierte Frau. »Ich kam einfach nicht weiter nach oben«, erinnert sich Schäfer. Und das, obwohl sie sehr selbstbewusst ist, immer in Vollzeit gearbeitet hat und sich stets mutig neuen Herausforderungen gestellt hat. Sie weiß, was sie kann und dass sie ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen muss. Das habe sie schon als junge Frau im Hochleistungssport gelernt und trainiert, beschreibt Susanne Schäfer. Und trotzdem kam sie mit der Karriere nicht weiter. Erschwerend hinzu kam ihrer Ansicht nach, dass sie inzwischen ein Alter jenseits der 50 erreicht hatte.

Insgesamt sei das eine demütigende, emotional anstrengende Zeit gewesen. »Inzwischen habe ich mich damit arrangiert, dass es so ist, wie es ist«, sagt die heute 60-Jährige. Sie hat eine erwachsene Tochter, wird bald das erste Mal Oma. Sie hat fest vor, ihrer Tochter in jeder Hinsicht den Rücken zu stärken. »Das ist das, was wir erfahreneren Frauen auch im Unternehmen für die jüngeren tun können und meiner Ansicht nach auf jeden Fall tun müssen«, betont sie. Sonst, da ist sich Susanne Schäfer ganz sicher, wird sich für Frauen – für ältere ebenso wie für jüngere –  auch in Zukunft nicht viel verändern.