Schlussfolgerungen aus der Corona-Krise

Mehr Solidarität wagen

Die Corona-Krise hat die Lebens- und Arbeitswelt grundlegend verändert. Die IG BCE hat erste Lehren aus der Pandemie gezogen. Die Lösung: "Mehr Solidarität wagen" - in Deutschland und Europa. 

Solidarität in Europa
Foto: © filadendron/iStock

Es ist noch gar nicht lange her, da herrschte in Deutschlands Wirtschaft Hochkonjunktur. Doch dann kam Corona, und das mit aller Macht. Das Virus hat die größte Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit ausgelöst und den Wandel in der Industrie beschleunigt. Innerhalb weniger Wochen und Monate haben sich Arbeit und Leben nicht nur in Deutschland, sondern weltweit grundlegend verändert. Doch wie wird es weitergehen? Was hat sich bewährt, was brauchen wir künftig? Die IG BCE hat erste Lehren gezogen. Sie lassen sich in drei Worten zusammenfassen: „Mehr Solidarität wagen“.

Ein entsprechendes Positionspapier hat die IG BCE jetzt vorgelegt. Wer Antworten auf die sozialen und wirtschaftlichen Corona-Folgen suche, finde diese im Leitmotiv der Gewerkschaften wieder, sagt der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis: „Solidarität als prägendes Prinzip, in der Arbeitswelt genauso wie im gesellschaftspolitischen Miteinander.“ Der sozialpartnerschaftliche Gedanke ist einer der zentralen Standortvorteile Deutschlands, das zeige sich – ähnlich wie in der Finanzkrise von 2008/2009 – auch in der Corona-Pandemie.

Kein anderes Industrieland hat im internationalen Vergleich pro Kopf stärker in den sozialen Schutz und ökonomische Hilfen investiert als Deutschland – auch und gerade durch die tatkräftige Einmischung der Gewerkschaften. Durch die milliardenschweren staatlichen Hilfsprogramme für Konzerne, kleine und mittelgroße Betriebe sowie arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Kurzarbeit konnten Arbeitsplätze gesichert, die Kaufkraft stabilisiert, Insolvenzen abgewendet werden.

Lage der Beschäftigten

Neben den staatlichen Regelungen helfen Arbeitnehmervertreter auf Branchenebene und in den Betrieben täglich bei der Krisenbewältigung - etwa durch die tarifliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes oder durch Betriebsvereinbarungen zum Homeoffice. Die Kooperation der Sozialpartner ist ein Garant für mehr soziale Gerechtigkeit. „Wir brauchen ein neues Commitment zum Wert der Kooperation, eine gesamtgesellschaftliche Koalition der Modernisierung“, sagt Vassiliadis. „Denn die Corona-Pandemie ist ja nur eine akute Krise. Das Land steht aber vor weiteren, ähnlich fordernden Herkulesaufgaben – wie etwa der Transformation unserer Industriegesellschaft.“ Sie ließen sich nur gemeinsam bewältigen.

Was jetzt schnell zu tun ist

Zulieferindustrie: Das größte Risiko für Beschäftigung und Konjunktur geht aktuell vom Einbruch der Automobilindustrie aus. Für die finanziell knapp aufgestellten Zulieferbetriebe, die auf funktionierende Lieferketten angewiesen sind, fordert IG BCE deswegen einen Schutzschirm, der neben finanziellen Hilfen auch zeitweise staatliche Beteiligungen an kleinen und mittelständischen Unternehmen ermöglicht. Außerdem soll es eine öffentliche Fortführungsberatung für insolvenzgefährdete Betriebe geben, an der die Gewerkschaften beteiligt sind.  

EEG-Umlage: Zur weiteren Konjunkturstärkung und Entlastung der Verbraucher strebt die IG BCE an, dass die EEG-Umlage in Gänze aus dem Staatshaushalt finanziert wird. Den bisher geplanten Entlastungsschritten müssen weitere folgen. Damit würden die Verbraucher um 25 Milliarden Euro entlastet werden – vor allem sozial schwächere Haushalte. Eine staatliche Finanzierung würde den Umbau der Energieversorgung gerechter für alle machen.

Sozialpartnerschaft: Auch ohne Covid-19 sind die Herausforderungen der Zukunft groß, steht Deutschlands Industrie vor einem anspruchsvollen Transformationsprozess, der Jahre dauern wird und koordiniertes Vorgehen verlangt. Konjunkturpolitik und Investitionsstrategien müssen deshalb verstetigt werden, angelehnt etwa an die enge, lösungsorientierte Zusammenarbeit während der Corona-Krise oder die Arbeit der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, in der alle relevanten Interessengruppen einen tragfähigen und ausgeglichenen Kompromiss zum Auslaufen der Kohleverstromung fanden.  Eine gerechte Verteilung der Lasten – die Starken müssen mehr schultern als die Schwächeren – ist dabei eine Voraussetzung für eine innovative Gerechtigkeitsoffensive.

Neue Instrumente: Für die Zukunftssicherung braucht Deutschland mittelfristig einen Transformationsfonds und weitere neue Instrumente, um zielgenau und langfristig agieren zu können. Unter anderem sollen mindestens 100 Milliarden Euro für ein Modernisierungsprogramm bereitgestellt werden, um den weiteren Ausbau der Infrastruktur voranzutreiben. Bei der Umsetzung öffentlicher Aufträge müssten die Mittel gebunden sein, etwa an Tariftreue des ausführenden Unternehmens und das Vorhandensein eines Betriebsrats. „Wer die staatliche Leistungskraft in Anspruch nimmt, muss sich auch zu den Regeln und Prinzipien bekennen, die die Handlungsstärke staatlicher Institutionen in der Krise begründen“, so Vassiliadis.

Europäische Solidarität: Wir sind nicht allein. Ohne ein starkes Europa kann es kein starkes Deutschland geben – mehr als die Hälfte der deutschen Exporte gehen ins europäische Ausland, die europäischen Nachbarn sind der wichtigste Markt für die heimische Industrie. Schon lange drängt die IG BCE deshalb auf einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Solidarität in der EU. „Wir brauchen ein stärkeres Füreinander-Einstehen der Mitgliedsländer“, fordert IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis. Das hat auch die Politik verstanden: Zwar wird es keine Eurobonds geben, aber die EU nimmt für den europäischen Rettungsschirm erstmals gemeinsame Schulden auf. Zudem hat Brüssel mittlerweile in Anlehnung unter anderem an das deutsche Modell ein europäisches Kurzarbeitergeld eingeführt. Bald sollen über das Sure-Programm rund 80 Milliarden Euro in 15 EU-Länder fließen. Auch   die Transformation von Energiewirtschaft und Mobiliätssektor kann nur im europäischen Maßstab vernünftig organisiert werden. Das europäische Wettbewerbsrecht sollte zudem künftig nicht nur den Binnenmarkt im Blick haben, sondern auch die globalen Verhältnisse berücksichtigen, um die Gründung „europäischer Champions“ zu begünstigen, die auf dem Weltmarkt bestehen können.

Lieferketten: Wichtige innereuropäische Liefer- und Wertschöpfungsketten müssen erhalten bleiben beziehungsweise neu aufgebaut werden. „Es kann nicht sein, dass Europa bei Medikamenten, Impfstoffen oder Schutzkleidung auf andere angewiesen ist“, so Vassiliadis. Die zentralen Schwachstellen in Wertschöpfungsketten müssen identifiziert werden, die Produktion in Europa und Deutschland wieder nachhaltig gestärkt werden. Die Wertschöpfungsketten in Europa sind so eng miteinander verflochten, dass Einbrüche in einem einzelnen oder einigen Ländern – egal, ob nun konjunktur- oder pandemiebedingt – zwangsläufig Auswirkungen auf Produktionsstätten in anderen Ländern hat. Eine Stabilisierung der Wertschöpfungsketten und ein neues Verständnis von Repatriierung systemrelevanter Produktion – von Arnzeimitteln bis zur Datensicherheit – bilden deshalb die Grundlage für ein geeintes und starkes Europa. Ein europäisches Lieferkettengesetz könnte zudem der Auslagerung von Sozialdumping und Umweltschäden in ärmere Regionen der Welt unterbinden.

Kurzarbeit: In Deutschland hat das Kurzarbeitergeld eine lange Tradition. In der Corona-Krise rettete die Kurzarbeit Millionen Jobs. Allein im April waren laut vorläufigen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit knapp sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit, mittlerweile ist die Zahl auf rund 4,6 Millionen (August) gesunken. Bisher ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland seit Beginn der Pandemie zwar angestiegen – aber nur vergleichsweise leicht. Zu betriebsbedingten Kündigungen im Zuge der Corona-Krise ist es bisher nur in Einzelfällen gekommen. Im August waren bundesweit knapp drei Millionen Menschen arbeitslos (plus 636.000 im Vergleich zum Vorjahresmonat), die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 6,4 Prozent. Kurzarbeit bedeutet dennoch für viele Beschäftigte einen herben finanziellen Einschnitt, eine gesetzliche Aufstockung der üblichen 60 Prozent (67 Prozent für Beschäftigte mit Kindern) erfolgt erst ab dem vierten Monat. Im Wirkungsbereich der IG BCE wird das Kurzarbeitergeld durch tarifliche Regelungen für vier von fünf Beschäftigte auf bis zu 90 Prozent aufgestockt – im deutschen Durchschnitt erhält nur einer von vier Beschäftigten eine.   Mittlerweile ist das Kurzarbeitergeld bereits von zwölf auf 24 Monate verlängert worden, was Vassiliadis begrüßt. Er fordert allerdings mehr Flexibilität im Umgang mit der Leistung: Das Kurzarbeitergeld dürfe nicht – wie aktuell geplant – zum Stichtag 31.12.2021 beendet werden. Besser sei ein „rollierendes System“, das für einen Krisenzeitraum, etwa bis Ende 2023, gültig ist.

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