Virtuelle Konferenzen haben auch ihre Vorteile, aber zumindest in der Betriebsratsarbeit überwiegen die Nachteile, wie Kai-Uwe Hemmerich, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Clariant, im Interview erklärt. Er hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass wichtige Punkte aus der Praxis auch im neuen Entwurf für das Betriebsrätemodernisierungsgesetz aufgenommen wurden.
Die Sonderregelungen des Paragrafen 129 des Betriebsverfassungsgesetzes, wonach Betriebsräte auch online tagen und Beschlüsse fassen können, gelten nur noch bis zum 30. Juni, danach soll das Betriebsrätemodernisierungsgesetz in Kraft treten. Wie ist denn Ihre Erfahrung mit solchen virtuellen Sitzungen?
Hemmerich: Grundsätzlich muss ich sagen, dass solche Konferenzen sich nicht richtig für die Betriebsratsarbeit eignen. Aber natürlich können sie ein Hilfsmittel sein bei kurzfristig zu entscheidenden Themen oder – wie eben jetzt – bei einer Pandemie. Einer ihrer großen Nachteile ist, dass sie den demokratischen Prozess nicht unterstützen, im Gegenteil. Schließlich ist in einem Betriebsrat jedes Mitglied gleich, doch bei einer virtuellen Konferenz hat der Sitzungsleiter die Zügel in der Hand, gleichzeitig werden die Rechte der einzelnen Teilnehmer behindert. Sie können nicht wie bei Präsenzveranstaltungen mal schnell was sagen und die Hürden, sich einzubringen, sind höher. Hinzu kommt der Druck, nicht einen Fehler zu machen – etwa versehentlich das Mikro zu öffnen oder den Bildschirm zu teilen. Bitter ist natürlich, dass das gesamte Umfeld von Präsenzveranstaltungen mit den persönlichen Begegnungen und Gesprächen weggefallen ist. Darunter leiden auch die Betriebsräte.
Gibt es aus Ihrer Sicht auch Vorteile der Online-Sitzungen?
Bei der Sitzung von Gesamtbetriebsräten ist natürlich schon ein Vorteil, dass die manchmal recht weite Anreise wegfällt und man sich auch mal schnell abstimmen kann.
Wie laufen die Telefon- und Videokonferenzen bei der Clariant ab?
Zu Beginn der Pandemie hatten wir viel darüber diskutiert, wie man das richtig hinkriegt. Dazu haben wir auch mit Rechtsanwälten und der Gewerkschaft gesprochen. So lasse ich mir zum Beispiel von jedem Teilnehmer schriftlich bestätigen, dass keiner mithört. Schließlich werden in diesen Sitzungen sensible Themen behandelt. Ein Beispiel: Es wird über eine verhaltensbedingte Anhörung zur Kündigung eines Mitarbeiters beraten, der Alkoholiker ist. Da kann es nicht sein, dass ein Sitzungsteilnehmer aus dem Homeoffice durch ein ins Zimmer kommendes Familienmitglied gestört wird, das ist ein No-Go. Solche Sitzungen müssen ein geschützter Bereich sein. Ein Problem ist allerdings auch, dass in privaten Wohnungen natürlich auch der Schallschutz nicht unbedingt gegeben ist.
Die Lösungen, die wir damals gefunden haben, stehen nun übrigens alle im neuen Entwurf für das Betriebsrätemodernisierungsgesetz drin, der schon durchs Kabinett ist. Darauf habe ich selbst vehement über die CDU, bei der ich Mitglied bin, Einfluss genommen.
Welche der Punkte, die es in den Entwurf geschafft haben, waren Ihnen denn besonders wichtig?
Aufgenommen wurde etwa, dass die Betriebsräte selbst per Geschäftsordnung regeln können, auf welche Art sie tagen wollen. Und ein einzelnes Mitglied kann dies nicht kippen, das war mir sehr wichtig. Da gab es eine Gerichtsentscheidung im vergangenen Sommer zu einer Gesamtbetriebsratssitzung als Präsenzveranstaltung. Ich habe gelesen, dass ein Mitglied nicht kommen, sondern virtuell zugeschaltet werden wollte. Das ging ans Frankfurter Arbeitsgericht und dieses Mitglied bekam Recht. Der Gesamtbetriebsrat wurde gezwungen, ihn zuzuschalten. Nun im Gesetzentwurf ist es so geregelt, dass eine Präsenzsitzung ausschließlich als eine solche durchgeführt wird, wenn ein Viertel der Mitglieder dies verlangt.