Die IG BCE hat auf ihrer Jahrespressekonferenz ein umfassendes Lastenheft für Politik und Wirtschaft vorgelegt, in dem Lehren aus der Corona-Krise gezogen und konkrete Konzepte für das Vorantreiben der industriellen Transformation eingefordert werden. „Wir werden die vor uns liegenden Herausforderungen nur mit mehr gesellschaftlicher Solidarität und einer engeren Kooperation von Politik und Wirtschaft bewältigen“, sagte der Vorsitzende Michael Vassiliadis in Hannover. „Dabei will die IG BCE eine maßgebliche Mittlerin sein.“
Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IGBCE
Eine engere Zusammenarbeit – und zwar im europäischen Maßstab – sei jetzt beispielsweise erforderlich, um die Biotech- und Pharma-Industrie zu stärken. Die Pandemie zeige, dass wir zwar in der Forschung oben mitspielten, Produktionskapazitäten aber rar seien, so Vassiliadis. Die Branche sei zu lange allein als Kostentreiber im Gesundheitssystem verunglimpft worden. „Wir brauchen jetzt ein europaweit abgestimmtes Vorgehen, damit Spitzenforschung, sichere Wertschöpfungsketten und Massenproduktion gefördert werden.“
Er forderte einen europäischen Pharma-Pakt, bei dem alle relevanten Player der Gesundheitswirtschaft, Politik und Sozialpartner an einen Tisch kommen und konkrete Konzepte für die Stärkung dieses für die Bevölkerung so zentralen Wirtschaftszweigs vereinbaren. Dabei müsse sich der Staat stärker finanziell engagieren – wie es etwa der Bund in den vergangenen Monaten bei den Impfstoffentwicklern Biontech und Curevac getan habe – und das an Bedingungen knüpfen: Produktion in Europa, funktionierende Mitbestimmung, Tarifbindung. „Da hat gerade die Biotech-Branche noch Luft nach oben.“
Angesichts der kritischen Pandemie-Lage forderte Vassiliadis alle Unternehmen auf „radikal zu prüfen, welche Bürobeschäftigten wirklich noch im Betrieb sein müssen“. Eine staatliche Homeoffice-Pflicht, wie sie derzeit diskutiert wird, sei jedoch nicht praktikabel umsetzbar, weil zu viele Ausnahmetatbestände formuliert werden müssten. „In den Branchen der IG BCE haben wir mit den Arbeitgebern tragfähige Hygienepläne erarbeitet und die maximale Ausnutzung von Homeoffice ermöglicht“, so Vassiliadis. Die Ansteckungszahlen im Betrieb seien marginal, die Abstandsgebote in den Großanlagen problemlos einzuhalten. Diskussionen um einen Lockdown auch in der Industrie seien daher weltfremd – zumal dies schnell zu Versorgungsengpässen führen würde.
Der IG-BCE-Vorsitzende machte gleichzeitig auf die problematischen Auswirkungen von Homeoffice aufmerksam. So ließen sich Homeoffice und Homeschooling so gut wie nicht vereinbaren. Gleichzeitig würden Mitbestimmung und innerbetriebliche Demokratie geschwächt. „Im Homeoffice sind die Beschäftigten für Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften kaum zu erreichen – zumal viele Unternehmen uns den digitalen Zugang versperren“, kritisierte Vassiliadis. Die IG BCE werde ihr im Grundgesetz verankertes Zutrittsrecht deshalb jetzt durchsetzen, sowohl auf dem Gerichts- wie auch dem politischen Weg.
Mit Blick auf die Herausforderungen der klimagerechten Transformation der Industrie mahnt die IG BCE konkrete Konzepte an. „Nur höhere Ziele vorzugeben, reicht nicht. Es ist höchste Zeit, ins Gestalten zu kommen – sowohl in der Politik, als auch in den Unternehmen“, sagte Vassiliadis. Dabei legte er für drei Handlungsfelder Modernisierungspläne vor:
Die industrielle Transformation wird auch den 7. Ordentlichen Gewerkschaftskongress der IG BCE vom 24. bis 29. Oktober 2021 in Hannover prägen. Es gelte, die richtigen Antworten auf die Herausforderungen der neuen Dekade zu finden, so der IG-BCE-Vorsitzende. Darüber wird in den kommenden Monaten auf bundesweit 50 virtuellen Delegiertenkonferenzen diskutiert, bevor der Kongress neue Leitbilder beschließen wird – industrie-, tarif- und organisationspolitisch.