Corona-Impfstoffproduktion

Herausforderung für die Beschäftigten

Die Produktion der Impfstoffe gegen Corona läuft auf Hochtouren. In Deutschland wirken IG-BCE-Kolleginnen und Kollegen maßgeblich mit. Wie sind die Arbeitsbedingungen vor Ort, wie ist die Stimmung, gibt es Probleme? Wir haben bei Betriebsräten nachgefragt.

Impfstoff in einer Ampulle
Foto: © Motortion/iStock

Noch übersteigt der Bedarf nach Corona-Impfstoffen bei weitem die Produktionskapazitäten der heimischen Industrie. Es sind auch bisher nur wenige Impfstoffe zugelassen. Beides dürfte sich in den kommenden Wochen und Monaten ändern. Die Unternehmen fahren die Produktion hoch, zusätzliches Personal wird – zumeist befristet – eingestellt und die Beschäftigten arbeiten am Anschlag, um die gewaltige Herausforderung zu stemmen. Neben Biontech sind zahlreiche deutsche und internationale Pharma- und Biotech-Unternehmen beteiligt. Es haben sich neue Allianzen aus Entwicklern und Produzenten gebildet. Das schafft Perspektiven für die Unternehmen, doch nicht überall blicken die Beschäftigten optimistisch in die Zukunft. In einigen Betrieben herrscht zunehmende Leistungsdichte; die Betriebsräte steuern gegen.

IDT Biologika

IDT Biologika in Dessau ist bereits Mitte des vorigen Jahres in die Corona-Impfstoffproduktion  eingestiegen. „Wir haben sowohl eine eigene Entwicklung als auch mit Astra-Zenecae einen Lohnauftrag“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Sandy Richter. „Für uns ist das nichts Besonderes – wir sind von jeher ein Impfstoffhersteller, der in verschiedenen Schichtsystemen von ein- bis fünfschichtig produziert.“ Eine Corona-Prämie habe es bereits im Sommer gegeben.

Wegen der gestiegenen Nachfrage sei zurzeit eine neue Produktionslinie im Bau. Außerdem sollen zu den rund 1500 Mitarbeiter*innen noch 200 weitere befristet eingestellt werden.

Sandy Richter, IDT Biologika
Foto: © Gero Breloer

„Die Stimmung bei uns bessert sich gerade wieder.“

Sandy Richter
Betriebsratsvorsitzende, IDT Biologika

„Die Stimmung bei uns bessert sich gerade wieder“, sagt Richter. „Denn es gibt Hoffnung für unser eigenes Produkt.“ Bisher sei der Corona-Impfstoff von IDT Biologika noch nicht zugelassen worden, weil die Ergebnisse der klinischen Studie nicht überzeugen konnten. „Nun aber soll es technologische Anpassungen geben“, erzählt die Betriebsratsvorsitzende. „Die Zusage, dass die Entwicklung weitergehen wird, motiviert die Leute sehr.“ Eine Zulassung soll es 2022 geben, hofft Richter. „Das ist für einen Vektorimpfstoff schon ein ambitionierter Zeitraum.“

Rentschler Biopharma

Die Rentschler Biopharma hat seit Oktober 2020 mit Biontech eine Vereinbarung, in der Rentschler wesentliche Aspekte der Herstellung von dem Covid-19-Impfstoff übernommen hat. Das umfasst zum einen die Weiterverarbeitung des Ausgangsmaterials, zum anderen die Entfernung der zuvor synthetisierten mRNA, um am Ende einen hochreinen Wirkstoff bereitstellen zu können.

„Die Akquise dafür lief sehr gut. Das Management war mit seinen Verhandlungen weitsichtig, sodass wir den Aufreinigungsschritt übernehmen konnten“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende Thomas Keller. „Man merkt, dass die Belegschaft sehr stolz ist, weil jeder weiß, wie wichtig seine Arbeit im Kampf gegen diese Pandemie ist.“ Das würde zusätzlich motivieren. „Außerdem haben Ende 2020 alle 850 Beschäftigtenfür ihre Leistung eine Corona-Prämie erhalten.“

Sonderschichten habe es bisher nicht gegeben, aber zusätzliches Personal. Denn demnächst soll auch für die Firma Curevac ein mRNA Impfstoff produziert werden. Dafür würden derzeit bis zu 80 hoch qualifizierte neue Mitarbeiter*innen eingestellt – zum Teil befristet, zum Teil unbefristet. „Die Verstärkung ist sehr wichtig“, so Keller, „weil die Zulassung für diesen Impfstoff in naher Zukunft erwartet wird.“

Siegfried Hameln

Bei Siegfried Hameln laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. „Wir werden ab Sommer bei uns Biontech-Impfstoff abfüllen“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Heike Hetterscheidt. „Dafür wurde vor Kurzem eine spezielle Maschine angeschafft, an der sich bereits acht Mitarbeiter schulen lassen.“ Außerdem müsse demnächst noch für die optische Kontrolle, also für den Verpackungsprozess, eine weitere Maschine aufgestellt werden. Nicht zuletzt benötige man extra Räume mit Tiefkühlschränken, um den Impfstoff vorschriftsmäßig lagern zu können. „Die Umbauten brauchen Zeit – das ist nicht einfach so aus dem Handgelenk zu schütteln“, sagt Hetterscheidt. „Aber die Belegschaft ist größtenteils positiv gestimmt – vor allem diejenigen, die demnächst mit neuen Aufgaben bedacht werden. Die meisten nehmen das als Wertschätzung.“

Für die anlaufende Impfstoffproduktion werde es zusätzliches Personal geben – insgesamt rund 70 Mitarbeitende, die dann in befristeten Zweijahres-Verträgen im Vollkonti-Schichtmodell arbeiten sollen. „Das läuft alles sauber ab“, sagt Hetterscheidt. „Wir haben bereits eine entsprechende Betriebsvereinbarung geschlossen, die die Arbeitszeit für das Covid-Projekt regelt.“ Ende März wird es für alle 550 Beschäftigtenam Standort in Hameln eine Coronaprämie geben.

Heike Hetterscheidt, Siegfried Hameln
Foto: © privat

„Die Umbauten brauchen Zeit – das ist nicht einfach so aus dem Handgelenk zu schütteln.“

Heike Hetterscheidt
Betriebsratsvorsitzende, Siegfried Hameln

Sanofi, Standort Frankfurt

Auch der Standort Frankfurt des französischen Pharmakonzern Sanofi soll baldmöglichst mit der Fertigung von Biontech-Coronaimpfstoff beginnen. „Unsere Anlage wird gerade auf die entsprechenden Formate umgerüstet – zum Beispiel für eine andere Ampullengröße. Auch werden Arbeitsprozesse, Auftau – und Tiefkühlmöglichkeiten geschaffen, um diesen besonderen Impfstoff fertigen zu können“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Claudia Schönherr. Die Anlage sei nicht vollständig ausgelastet gewesen, da sich die Entwicklung des Sanofi-eigenen Impfstoffes, wie in der Presse zu lesen war, verzögert hatte. „Leider bringen die neuen Aufgaben keine langfristig positiven Beschäftigungsaspekte“, sagt Schönherr. „Das war seit Beginn des Projektes klar.“

Der Arbeitgeber rechne mit Mehrarbeit und der Notwendigkeit anderer Schichtsysteme in Teilbereichen, „aber das ändert nichts daran, dass die Stimmung in der Belegschaft äußerst angespannt ist. Einstellungen mit Zukunft kann man in diesem Zusammenhang nicht erwarten.“ Im Gegenteil: Nach Planungen von Sanofi sollen von den rund 8000 Arbeitsplätzen im Industriepark Höchst bis zu 800 verloren gehen.

Allergopharma

Zusätzlicher Biontech-Corona-Impfstoff soll künftig auch aus Reinbek bei Hamburg kommen. Dort beteiligt sich Allergopharma an der Produktion der Vakzine. „Angepeilt ist, dass wir im Mai starten“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Alexander Winkel. Dafür würden zurzeit neue Mitarbeiter*innen befristet eingestellt.

„Die Voraussetzungen für die Impfstoffproduktion ist an unserem Standort bereits gegeben“, sagt Winkel. „Da gibt es keine großen Umbaumaßnahmen.“ Allerdings werde für rund 30 Beschäftigte, die in der Produktion arbeiten, das Mehrschichtsystem eingeführt. Für Kollegen aus dem Betrieb müssten dafür die Verträge geändert werden. Eine Corona-Prämie habe es aber noch nicht gegeben.

„Ich sehe die Impfstoffproduktion als Chance für unseren Betrieb. Ich kann aber auch gut nachvollziehen, wenn einige zurückhaltend reagieren“, sagt Winkel. Hintergrund: Dermapharm hatte vor einem Jahr Allergopharma vom Pharma-Konzern Merck übernommen. Das Personal wurde von 500 Mitarbeiter*innen auf 330 reduziert. „Da ist die Belegschaft durch schwierige Zeiten gegangen“, erinnert sich der Betriebsratsvorsitzende.

Abstand halten und Masken tragen: Die gefragten Betriebsräte bestätigen, dass die Hygienemaßnahmen in den Unternehmen umgesetzt werden. Die IG-BCE-Gewerkschaftssekretäre hingegen können mit mehr kritischem Abstand auf das Thema Arbeitsbedingungen schauen.

Alexander Winkel, Allergopharma
Foto: © J. Hollweg

„Da ist die Belegschaft durch schwierige Zeiten gegangen.“

Alexander Winkel
Betriebsratsvorsitzender, Allergopharma

Biontech am Standort Mainz

Zum Beispiel Patrick Schall, der unter anderem für Biontech am Standort Mainz zuständig ist. „Zurzeit werden neue Labor- und Produktionskapazitäten gebaut“, erzählt er. „Doch die Platzprobleme können dadurch voraussichtlich nicht gelöst werden. Schon jetzt ist absehbar, dass der Raum für die neuen Aufgaben zu klein sein wird.“

Insgesamt würde Personal in dreistelliger Höhe – zunächst befristet – eingestellt. Doch schon jetzt sei die Arbeitsbelastung ein großes Thema in der Belegschaft. „Die Leute müssen zahlreiche Überstunden machen.“ Das zeige sich aber nicht in der Bezahlung. „Bei den Themen Arbeitszeit, Arbeitsbelastung sowie Vergütung gibt es eindeutig Nachholbedarf“, sagt Schall, der Biontech auffordert, einen Tarifvertrag abzuschließen. Vor allem, weil das Unternehmen finanzielle Hilfe vom Staat erhält, kritisiert der Gewerkschaftssekretär: „Wer Unterstützung vom Staat erhält, muss sich auch an die Spielregeln in einer sozialen Marktwirtschaft halten. Das geht nur mit Tarifvertrag.“ An Motivation fehle es den Arbeitnehmer*innen nicht. „Ich weiß, dass sie voller Stolz bei der Sache sind, aber das Belastungsbarometer ist bereits am Anschlag!“

Biontech in Marburg

Bei Biontech in Marburg stellt sich die Situation für die Beschäftigten etwas anders dar: „Durch die Übernahme von Novartis im Herbst vorigen Jahres gibt es an diesem Standort noch eine Tarifbindung“, sagt Julian Fluder, IG-BCE-Gewerkschaftssekretär für Mittelhessen. Die Umbaumaßnahmen seien alle abgeschlossen, die Produktion gerade angelaufen, dafür hätte man zu den rund 290 Beschäftigten weitere 100 befristet eingestellt.

„Schon jetzt zeigt sich, dass die Leistungsdichte enorm zunimmt.“ Die meisten Arbeitnehmer*innen würden die Mehrarbeit aber derzeit in Kauf nehmen, sagt Fluder. „Sie sind hoch motiviert, weil sie ein Heilmittel für die ganze Welt herstellen.“ Das dürfe aber nicht als emotionales Druckmittel ausgenutzt werden, so der IG BCE-Gewerkschaftssekretär. Für erste Entlastung soll die Ausweitung des 24/7 Vollkonti-Schichtsystems sorgen, das nun in noch mehr Abteilungen angewendet wird.

Julian Fluder, IG BCE Mittelhessen
Foto: © privat

„Die Beschäftigten sind hoch motiviert, weil sie ein Heilmittel für die ganze Welt herstellen."

Julian Fluder
Gewerkschaftssekretär, IG BCE Mittelhessen

Baxter Oncology in Halle

Bei Baxter Oncology in Halle (Westfalen) werden nach Medienangaben Impfstoffe von Biontech und Novavax abgefüllt. Mit Details hält sich das Unternehmen zurück. „Doch es ist klar, dass sich diese Aufgaben auch auf die Arbeitsbedingungen auswirken. Allein die Umstellung der Anlagen auf die Produktion der Impfstoffe ist sowohl für das Unternehmen, als auch die Beschäftigten eine immense Herausforderung“, sagt Martin Beneke, der den Standort für die IG BCE betreut. „Der Betriebsrat steht mit uns deshalb permanent in Kontakt, um die Mitbestimmungsrechte zu nutzen und die Belastung der Beschäftigten auf ein Minimum zu reduzieren.“

„Die zunehmende Leistungsdichte ist bei Baxter seit Jahren ein permanentes Thema“, sagt Beneke und spricht von einem „ungesunden Wachstumsschmerz. Gerade in den letzten zwei Jahren sind neue Mitarbeitende zum Teil von Leuten eingearbeitet worden, die auch gerade erst ins Unternehmen gekommen sind und selbst noch in der Einarbeitungsphase befinden.“

Nennenswerte Investitionen in neue Anlagen und Personal habe es nicht gegeben, sagt Beneke. „Durch die Umgestaltung der Produktionspläne konnten entsprechende Kapazitäten zur Impfstoffproduktion generiert werden. Nach Auffassung des Unternehmens ist hierfür ausreichend Personal an Bord.“

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