Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem jüngsten Urteil die Mitbestimmung gestärkt: 21 Jahre nach Inkrafttreten der Gesetze auf europäischer Ebene im Jahr 2001 hat das Gericht zum ersten Mal eine Rechtsfrage zum Thema Europäische Aktiengesellschaft (SE) entschieden. Die Entscheidung ist aus Sicht der Gewerkschaften positiv ausgegangen: Auch wenn deutsche Unternehmen ihre Rechtsform in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) wechseln, ist für die Beteiligung der Gewerkschaftsvertreter*innen im Aufsichtsrat weiterhin nationales Recht entscheidend.
Nach deutschem Recht ist die Bedeutung der Gewerkschaftssitze im Aufsichtsrat ein prägendes Element. „Das ist endlich ein positives Zeichen der Rechtsprechung, die der seit Jahren stattfindenden Schwächung der Mitbestimmung über SE-Gründungen von nationalen Unternehmen zumindest an diesem Punkt Einhalt gebietet. Wir brauchen aber mehr gesetzliche Verbesserungen, um eine weitere Umgehung und Erosion der Mitbestimmung zu vermeiden“, kommentierte Karin Erhard, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands, die Entscheidung.
Bei der Gründung einer SE ist ein Beteiligungsverfahren vorgesehen, um die Rechte der Belegschaftsvertretungen für diese europaweite Gesellschaft einheitlich sicherzustellen. Im aktuellen Verfahren vor dem EuGH ging es darum, ob die im Rahmen des Beteiligungsverfahrens mit den Arbeitnehmer*innen erzielte SE-Beteiligungsvereinbarung in einem Aufsichtsrat für die Gewerkschaften garantierte Sitze vorhalten muss.
Konkret wurde über die SE-Beteiligungsvereinbarung bei dem Softwarekonzern SAP verhandelt. Vor der Gründung der SE firmierte das Unternehmen in Form einer Aktiengesellschaft und hatte einen Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG). Der Aufsichtsrat bestand aus 16 Aufsichtsratsmitgliedern, je acht Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter*innen. Nach dem MitbestG sind auf der Arbeitnehmer*innenbank zwei Sitze für die Gewerkschaften garantiert. Nach der Umwandlung in eine SE war zunächst ein paritätisch besetzter Aufsichtsrat mit 18 Mitgliedern vorgesehen, für die Gewerkschaften gab es reservierte Sitze. Die SE-Beteiligungsvereinbarung sah aber nach Ablauf der ersten Amtszeit die Möglichkeit vor, den Aufsichtsrat auf zwölf Mitgliedern zu verkleinern. In diesem kleineren Aufsichtsrat sollte dann zwar weiter ein Vorschlagsrecht für Gewerkschaften existieren, aber gesicherte Plätze für die Gewerkschaften waren nicht mehr vorgesehen. Die Gewerkschaften ver.di und IG Metall ging auf dem Klageweg gegen diese Regelungen vor. Die IG BCE unterstützte die beiden Gewerkschaften in diesem für die Unternehmensmitbestimmung bedeutenden Verfahren.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) vertrat bereits in seiner Vorlageentscheidung die Auffassung, dass gesicherte Gewerkschaftssitze in Aufsichtsräten ein wesentliches Element der nationalen Mitbestimmung sind. Es ging aber um die Auslegung einer europäischen Norm, sodass zu klären war, ob der EuGH und somit das EU-Recht dieser Auslegung des deutschen SE-Rechts folgt.
Der EuGH hat auch noch einmal klargestellt, dass die Mitbestimmungsmodelle der einzelnen Mitgliedstaaten sehr vielfältig sind und es nicht ratsam ist, mit der SE sämtliche Besonderheiten der nationalen Regelungen im Zuge der Vereinheitlichung zu rationalisieren. Vielmehr soll die relevante Regelung sicherstellen, dass durch eine Umwandlung in eine SE nicht die vorher national bestehenden Beteiligungsrechte für Beschäftigtenvertreter*innen eingeschränkt oder beseitigt werden sollen.
Dennoch passiert dies durch die Vielgestaltigkeit der SE-Gründungen regelmäßig in Deutschland. Die IGBCE erwartet hier entsprechende Verbesserungen im SE-Beteiligungsgesetz (SEBG), um den zahlreichen zusätzlichen Umgehungstatbeständen endlich den Riegel vorzuschieben.