Erfolg auf der ganzen Linie: Bei der Verleihung des Betriebsrätepreises haben zwei Projekte aus dem Wirkungskreis der IGBCE jeweils eine der begehrten Auszeichnungen abgeräumt. Den Preis in Silber erhielt das Betriebsrätenetzwerk Stade, den Publikumspreis konnte sich überraschend der Betriebsrat am Dresdner Standort des Konzerns Glaxo Smith Kline (GSK) sichern.
Die Auszeichnung für das Betriebsrätenetzwerk Stade aus dem Organisationsbereich der IGBCE rückt die Initiatoren des dortigen Zukunftsprojekts ins Rampenlicht. Aus einem Luftschloss ist dabei eine starke Standortallianz geworden, die rund 10.000 Arbeitsplätze in der Region Stade sichert und noch viel mehr Menschen Zukunft beschert. Was wie ein modernes Märchen klingt, haben engagierte Betriebsräte aus fünf Stader Chemieunternehmen – Dow, Aluminium Oxid Stade (AOS), Olin, Trinseo und IFF N & H – mit viel Weitsicht und großer Solidarität untereinander Wirklichkeit werden lassen. Dafür sind sie am 7. November in Bonn mit dem Deutschen Betriebsräte-Preis in Silber ausgezeichnet worden.
„Das Projekt ,Betriebsrätenetzwerk Chemiestandort Stade‘ ist ein betriebspolitisches Meisterwerk“, sagt Stefan Soltmann, zuständiger Abteilungsleiter Betriebspolitik der IGBCE, der auch Mitglied der Jury des Deutschen Betriebsräte-Preises ist. „Das Projekt verbindet so ziemlich alles, was uns mit Blick auf die Betriebe wichtig ist: ein innovatives Konzept zur Beschäftigungssicherung und einen klaren Fokus auf ein sehr gutes Ergebnis für die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben. Hinzukommt, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Betriebsrätenetzwerk und der IGBCE beziehungsweise als IGBCE-Betriebsräte perfekt war. Dieses Ergebnis konnte nur gemeinsam – mit der notwendigen Hartnäckigkeit – bei der Politik durchgesetzt werden. Die Zusammenarbeit als Betriebsrätenetzwerk verdient nicht nur den Silberpreis, sondern volle Wertschätzung. Ein hervorragendes Beispiel zum Nachahmen!“
Das, was nun ausgezeichnet wurde und so nachahmenswert ist, entstand 2022 auf Initiative von Thomas Mellin, damaliger Betriebsratsvorsitzender bei Dow. Er befand, dass die fünf im Industriepark ansässigen Firmen „die gewaltigen Herausforderungen durch die Energiekrise oder die dringend notwendige Transformation nur gemeinsam lösen können“. Weil die Betriebe durch Produkt- und Energieströme miteinander verquickt und aufeinander angewiesen sind – und weil „solidarisch für alle mehr möglich ist“.
So initiierte Thomas Mellin gemeinsam mit den anderen vier Betriebsratsgremien aus dem Stader Chemiepark ein Netzwerk. Ehrgeiziges Ziel war ein Standortsicherungsvertrag für alle fünf Unternehmen, die auf dem 600 Hektar großen Areal am Elbe-Ufer ansässig sind. Das Konzept, das das Netzwerk mit Unterstützung der IGBCE dazu entwickelt hatte, stieß bei den Geschäftsführungen allerdings auf wenig Gegenliebe. Die Reaktionen der einzelnen Unternehmen fielen alle ähnlich aus. „Luftschloss oder träumt weiter“ bekamen die Betriebsräte zu hören.
Genau das taten sie. Die Betriebsräte schmiedeten einen Plan, wie es gelingen könnte, alle Entscheidungsträger an einen Tisch zu holen – und setzten dabei auf Hilfe von ganz oben. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies war gleich von der Initiative begeistert und lud alle Beteiligten kurzerhand zu sich ins Ministerium nach Hannover ein. Als sich Geschäftsführungen, Betriebsräte, IGBCE, Industrie- und Handelskammer sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Landes- und Kommunalpolitik schließlich am 21. April 2023 trafen, „ging es gar nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie“, erzählt Jonas von Holt, Betriebsratsvorsitzender von Olin.
Und auch das Wie stand bereits nach wenigen Minuten fest: Eine Projektgruppe, ausgestattet mit einer organisatorischen Stelle und 315.000 Euro für drei Jahre, sorgt nun, angesiedelt bei der Wirtschaftsförderung des Landkreises Stade dafür, dass der von den Betriebsräten initiierte Standortentwicklungsplan für den 1973 gegründeten Chemiepark Stade umgesetzt wird. Vier Arbeitsgruppen haben die Akteure gebildet, in denen sie nun nach gemeinsamen Lösungen für den Abbau überflüssiger Bürokratie, zum Fachkräfteerhalt, zur Vernetzung und zur angepeilten kohlendioxidfreien Energieversorgung suchen.
Wer das Projekt „Zukunftsperspektive und Standortentwicklung Chemie- und Industriestandort Stade“ – so der offizielle Titel – initial ins Leben gerufen hat, wird kaum noch erwähnt und gern auch mal vergessen. Jonas von Holt nimmt das gelassen. „Das Ergebnis zählt“, sagt er, und freut sich, dass die Initiative so vielen Menschen in der Region Zukunft beschert.
Doch Ehre, wem Ehre gebührt. Ins Rampenlicht werden die Betriebsräte durch die Verleihung des Deutschen Betriebsräte-Preises in Silber nun auch noch gerückt.
„Der Erfolg hat viele Väter und Mütter – aber es ist euer Baby, das hier ausgezeichnet wird. Es ist euer Engagement und eure Initiative, die jetzt zurecht erste Früchte trägt“,
sagte Petra Adolph, stellvertretende Landesbezirksleiterin Nord der IGBCE, in ihrer Laudatio. „Ihr habt euch von der klassischen und häufig reaktiven Betriebsratsarbeit gelöst und auch in eurem anspruchsvollen Alltag nicht vergessen, welche Bedeutung das Projekt hat, und dass ihr es immer weiter vorantreiben müsst.“
Ein Musterprojekt, das zeigt, was Mitbestimmung möglich macht, aber auch ein Musterprojekt in Sachen gewerkschaftlicher Werte und Tugenden, wie Petra Adolph betonte: „Ihr habt sehr zeitig Weitsicht bewiesen und sehr schnell erkannt, dass nur in der Gemeinsamkeit und mit der Solidarität untereinander der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft liegen kann. Euch war klar, dass ein Klein-Klein die Sicherung des Chemiestandorts Stade nicht weiterbringt und schon gar nicht rettet. Das geht nur gemeinsam – Hand in Hand.“
Den Publikumspreis, der vor Ort von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bestimmt wird, konnte überraschend der Betriebsrat des GSK-Standorts Dresden (Glaxo Smith Kline) gewinnen. Gewürdigt wurde das Gremium für ihr erfolgreiches Bemühen, den vom Arbeitgeber geplanten Personalabbau am Standort mit einem anspruchsvollen Solidaritätsprojekt abgewendet zu haben. Der Standort, an dem Grippe- und Reiseimpfstoffe hergestellt werden, war unter Druck geraten, weil unter anderem die Nachfrage nach Grippeimpfungen in Folge der Corona-Pandemie stark gesunken war. Um nach dem Produktionsrückgang die Standortkosten zu senken, wollte GSK Personal abbauen. Der Betriebsrat setzte sich für eine andere Lösung ein: Solidarität. Vorübergehend sollen alle Beschäftigten im Dresdner Betrieb entgeltwirksam ihre Arbeitszeit um dreieinhalb Stunden auf 35 Stunden pro Woche reduzieren, um alle Arbeitsplätze zu erhalten. Dazu wurden mehrere Betriebsvereinbarungen geschlossen und neue Arbeitszeitmodelle entworfen. Mit Erfolg: Zum 1. Januar 2024 hat knapp die Hälfte der Beschäftigten für zwölf Monate die Arbeitszeit reduziert, seit dem 1. September gilt die Regelung auch für die andere Hälfte.
IGBCE-Experte Soltmann lobte: "Den Publikumspreis zu gewinnen, ist wirklich etwas ganz besonderes. Es stimmen die Kolleginnen und Kollegen vor Ort direkt nach den Präsentation ab. Sie zu überzeugen und zu begeistern, ist eine ganz außerordentliche Leistung. Deshalb begeistert mich, der Gewinn des Publikumspreises durch Glaxo sehr", sagte er. "Ich freue mich aber auch besonders mit und für die Kolleginnen von Glaxo, dass das Thema Stellenerhalt durch Solidarität mit dem Preis ebenfalls „geadelt“ wurden."
Der deutsche Betriebsräte-Preis wurde in diesem Jahr zum 16. Mal vergeben. Er ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb und steht unter der Schirmherrschaft von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Der Preis würdigt engagierte Betriebsratsarbeit und will das wichtige Engagement der betrieblichen Interessenvertretung in Deutschland öffentlich machen sowie nachhaltig unterstützen.
Aus 60 Bewerbungen engagierter Betriebsratsgremien aus nahezu allen Branchen, unterschiedlichen Betriebsgrößen und allen Regionen hatte die Jury im Frühjahr zwölf Projekte ausgewählt und nominiert. Es gilt bereits als Auszeichnung, zu den zwölf Nominierten zu gehören. Der Preis wurde im Rahmen des 21. Deutschen Betriebsräte-Tags in Bonn verliehen. Die dreitägige Konferenz wird in Kooperation mit dem DGB, der IGBCE , IG Metall, ver.di, IG BAU, EVG, NGG, GEW und der Hans-Böckler-Stiftung veranstaltet.