Der Aufsichtsrat von Continental hat ein beispielloses Sparprogramm auf den Weg gebracht, dem weltweit 30.000 und bundesweit 13.000 Arbeitsplätze zum Opfer fallen sollen. Die Beschäftigten wehren sich und demonstrieren in Aachen, Frankfurt und Hannover.
Lautstarker Protest: Mit Ratschen, Tröten und mobilen Sirenen haben mehr als 2000 Menschen am Dienstag am Rande der Continental-Aufsichtsratssitzung im Radisson-Blu-Hotel in Hannover gegen die jüngsten Sparpläne des Konzerns demonstriert. In mehr als zwei Dutzend Bussen waren die Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet angereist, allein aus dem von der Schließung bedrohten Reifenwerk Aachen hatten sich rund 1000 Beschäftigte auf den Weg zur Expo-Plaza am Messegelände gemacht.
Üblicherweise ist der Platz vor dem Radisson Blu nur so voll, wenn eine Messe oder ein Freiluftkonzert stattfindet. Am Dienstag hatten sich hier mit Fahnen und Plakaten bewehrte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer versammelt, die die Personalabbaupläne des Continental-Managements nicht kampflos hinnehmen wollen, passend zum Motto der Demo „Conti: Jetzt gibt’s Contra“. Ein knappes „Warum?“ stand häufig auf den Plakaten, aber auch „Continental – hilflos – konzeptlos – respektlos“ oder „Continental verschaukelt 13.000 Mitarbeiter“.
Sie konfrontierten den Aufsichtsrat unter anderem mit einer überdimensionalen „Karte des Kahlschlags“, auf der alle Standorte in Deutschland verzeichnet sind, an denen die Jobs von bundesweit 13.000 Beschäftigten bedroht sind – darunter das hochprofitable Reifenwerk in Aachen mit 1800 Beschäftigten. Zudem übergaben Vertreter von Betriebsrat, IG Metall und IG BCE in einer Sitzungspause dem Vorstand eine Petition mit 28.620 Unterschriften gegen die Pläne. Der Conti-Aufsichtsrat berät am Dienstag und Mittwoch über die Kahlschlag-Vorschläge des Vorstands, die Entscheidung soll am Mittwoch fallen.
Mit lautem Jubel und Getröte reagierten die Demonstranten auf die kämpferischen Reden auf der Bühne auf der Expo Plaza. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Yasmin Fahimi geißelte das Vorhaben des Vorstands als „dumme und herzlose Entscheidung“, Jens Schäfer vom hannoverschen Zulieferer ZF Wabco, der mit einer Solidaritäts-Delegation vorbeigekommen war, erinnerte Aufsichtsrat und Management an die deutsche Verfassung, in der es heißt: „Eigentum verpflichtet!“
"Ich kann immer noch nicht klar über meine Zukunft nachdenken. Ich bin noch gar nicht so weit."
"Ohne Not setzt der Vorstand zum Kahlschlag an"
Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall und Vize-Aufsichtsratschefin von Conti, forderte: „Qualifizierung statt Kündigung muss das Motto für einen gerechten Wandel sein.“ Die Arbeitnehmerbank im Kontrollgremium werde gegen die Vorschläge des Vorstands stimmen und bestehe darauf, dass Alternativen geprüft werden. „Statt betriebsbedingter Kündigungen und Standortschließungen brauchen wir ein verlässliches Zielbild für alle Standorte“, sagte sie.
IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis rief den Demonstranten unter lautstarkem Beifall zu: „Was hier beraten wird, ist nicht einfach ein Aufsichtsratsbeschluss. Hier entscheidet ein deutscher Vorzeigekonzern darüber, ob er den Pfad des Zusammenhalts und der sozialen Verantwortung verlässt.“ Ohne Not und in größter Hektik setze der Vorstand zu einem „Kahlschlag an, der sowohl Conti als auch dem Industriestandort insgesamt“ schaden würde. Dabei falle „kein Wort zur Sozialverträglichkeit, kein Wort zur Zukunft der Betroffenen“.
Die zeigten sich besonders enttäuscht über das Vorgehen der Konzernspitze: Jahrelang hätten die von den Unternehmenswerten wie Verbundenheit und Freiheit gesprochen. „Die treten sie jetzt mit den Füßen“, klagte Andreas Donner (55), der in Hannover-Stöcken im Bereich Machinery tätig ist und seit 39 Jahren im Unternehmen arbeitet. In seinem Bereich mit knapp 150 Beschäftigten sollen 50 Prozent der Stellen wegfallen. „Alle haben Angst um ihren Job. Ich habe das ja schon zwei Mal mitgemacht, bei der Schließung der Reifenwerke hier in Hannover.“ Er fühle eine „große Wut, weil das schon wieder passiert. Wenn ich meine Stelle verliere, bedeutet das in meinem Alter vermutlich den Gang in Hartz IV.“
Nicole Herrmanns (28), Elektronikerin für Betriebs- und Anlagentechnik aus dem Werk Aachen, das dichtgemacht werden soll, erklärte verzweifelt, sie stehe bei einem Jobverlust „vor dem Nichts“. „Die Entscheidung kam wie aus heiterem Himmel“, berichtet sie, gerade seien noch neue Investitionen in den Standort geflossen. „Wir waren uns eigentlich ziemlich sicher, dass wir die Krise überstanden haben.“ Sie sei alleinerziehende Mutter, ihr Sohn sechs Jahre alt. „Weil Conti sich in meiner Elternzeit so flexibel mit Teilzeit-Arbeit gezeigt hat, wollte ich Conti auch was zurückgeben und habe gelegentlich auch mal Schicht gearbeitet, zum Beispiel eine Woche Nachtschicht. Aber es war wohl alles umsonst.“
Hakan Gülerman (45) arbeitet ebenfalls im Werk Aachen, er ist Schichtmeister und seit fast 16 Jahren bei Conti. „Das war ein harter Schlag“, berichtete er. „Ich habe bei Conti klein angefangen und mich hochgearbeitet.“ Er mache sich Sorgen um seine Zukunft. „Aber ich kann immer noch nicht klar darüber nachdenken. Ich bin noch gar nicht so weit.“
Ralf Utermann (54), Elektriker im Bereich Vulkanisation im Werk Aachen, ist seit sieben Jahren bei Conti, davon zwei als Leiharbeiter. „Da freut man sich über die Übernahme durch einen großen Konzern und dann kommt so was“, klagte er. „Mit 54 Jahren hat man auch als Facharbeiter nicht mehr so gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“
Julian Romero (50), freigestellter Betriebsrat im Werk Aachen, hofft darauf, dass das Thema Stellenabbau vom Aufsichtsrat vertagt wird. „Der Vorstand soll sich mit uns als Betriebsrat und mit den Gewerkschaften an einen Tisch setzen, damit wir eine Lösung finden und das Werk Aachen retten können. Hier geht es nur noch um den reinen Profit“, kritisierte er die Pläne des Managements. Mit 50 sei es „verdammt schwer“, noch einen anderen Job zu finden. Er habe ein Haus, zwei Kinder und wisse nicht, wie es weitergehen soll. „Die ganze Planung für die Familie für nie nächsten 15 Jahre wird über den Haufen geworfen“, sagte er. „Im Moment ist überhaupt kein Vertrauen da. Die Kommunikation mit den Mitarbeitern ist unterste Schublade, so geht man nicht mit Menschen um.“
Auch Norman Jung (28), Anlagen- und Maschinenführer im hannoverschen Werk Vinnhorst beklagte „menschlich gesehen die reine Katastrophe“. Die Kommunikation zu den Mitarbeitern sei „nicht vorhanden“. „Wenn ein deutscher Unternehmer in der Lage ist, deutsche Standorte zu schließen, obwohl sie Gewinne bringen, heißt das, das unterm Strich nur der Profit zählt“, so Jung.