Konjunktur

Chemieindustrie

Produktionsrückgänge belasten Wertschöpfungskette

Ausbildung in der Chemie
Foto: © Matej Kastelic/COLOURBOX

Die Auswirkungen der Energiekrise sind im dritten Quartal 2022 in der chemisch-pharmazeutischen Industrie angekommen. Der Umsatz ging im Vergleich zum Vorquartal leicht um 1,6 Prozent zurück, die Produktion sank um 4,2 Prozent. Angesichts der massiven Preissteigerungen für Energie- und Rohstoffkosten wirkt das noch ganz solide. Doch das Bild trügt, weil mittlerweile Kostensteigerungen nicht mehr im vollen Umfang weitergegeben werden können, die Margen deshalb zuletzt unter Druck geraten sind. Und rechnet man das Pharma-Segment heraus, beträgt das Minus in der Chemie-Produktion von Juli bis September 7,2 Prozent.

Die Auswirkungen spüren zunehmend in der Wertschöpfungskette dahinter liegende Branchen. Das bestätigt Malte Lückert, Abteilungsleiter Industriegruppen in der IGBCE: "Die aktuellen Energiepreise führen in unseren Branchen zu deutlichen Produktionseinschränkungen insbesondere bei Vorprodukten. Die Unternehmen reagieren auf die hohen Energiepreise mit einer Anpassung der Produktion und der Auftragsannahme." Dies führe unter anderem zu einer Knappheit bei Ammoniak, AdBlue (Harnstoff) oder Dünger. Durch Importe lässt sich das leider nicht ausgleichen."

Beispiel Bier, Limo, Mineralwasser: Zur Herstellung dieser Getränke wird Kohlensäure benötigt, die ein Nebenprodukt der aktuell stark reduzierten Düngemittelproduktion ist. Für diese wird (wie für AdBlue) Ammoniak gebraucht — und das wiederum wird mit Gas hergestellt. Weil das angesichts der hohen Gaspreise zu unrentabel wurde, hatten etwa die Stickstoffwerke SKW Priesteritz, nach eigenen Angaben Deutschlands größter Ammoniak- und Harnstoffproduzent, zwischenzeitlich die Produktion sogar komplett gestoppt. Zeitweise wurden in Deutschland mehr als 90 Prozent des verfügbaren Ammoniaks in der Stickstoffdüngemittelproduktion verbraucht, daher wurde es in den restlichen Wertschöpfungsketten entsprechend knapp. Brauereien und Getränkehersteller sind in Aufruhr: Sie warnen seit dem Sommer vor Engpässen bei Bier und Mineralwasser.

Beispiel Milch, Käse, Wurst: CO₂ ist ebenfalls ein Nebenprodukt der Düngemittelherstellung. Weniger Düngemittel, weniger CO₂ — das bedeutet Probleme für die Lebensmittelindustrie. Denn sie benötigt Kohlendioxid, um Käse, Wurst oder Jogurt haltbarer zu machen.

Beispiel AdBlue: Der Harnstoffzusatz, der für die Abgasnachbehandlung von Diesel-Fahrzeugen benötigt wird, ist ebenfalls knapp und teuer. Der AdBlue-Mangel trifft zunächst das Speditionsgewerbe: Fast alle Lkw auf Deutschlands Straßen benötigen Harnstoffzusatz zur Abgasnachbehandlung. Ohne AdBlue könnten keine Lkw mehr fahren und Waren transportieren — am Ende würden die Supermarktregale leer bleiben.

Beispiel Kläranlagen: Im Herbst meldete jede vierte Kläranlage in Deutschland Ausfälle bei der Lieferung von Fällmitteln, das sind Chemikalien, die zur Abwasser-Reinigung benötigt werden. Spitzt sich die Lage weiter zu, könnte die Trinkwasserversorgung leiden. Ein Grundprodukt für die Herstellung von Fällmitteln ist Salzsäure — und auch die ist knapp. Die Herstellung von Salzsäure ist energieintensiv und aktuell sehr teuer. Zudem ist die Nachfrage nach Produkten, für deren Herstellung Salzsäure gebraucht wird wie Farbe oder Lacke, gesunken. Viele Betriebe haben die Produktion deshalb gedrosselt.

"Wir können in dieser Zeit eindrucksvoll beobachten, dass wir sehr verzahnte Wertschöpfungsketten in unserem Land haben", so IGBCE-Experte Malte Lückert. "Die Auswirkungen dieser Knappheiten sind quasi in allen wichtigen Bereichen unserer Wirtschaft spürbar. Daher ist es wichtig, dass die Entlastungen, die etwa durch die Gaskommission auf den Weg gebracht wurde, von der Bundesregierung schnellstmöglich umgesetzt werden."