Nicht alle können in der Corona-Krise im Homeoffice arbeiten, gerade Beschäftigte in der industriellen Produktion haben derzeit einen schweren Job: Bei oft gleichbleibender oder gar höherer Nachfrage als üblich müssen die Unternehmen den Schutz ihrer Arbeitnehmer verstärken. Was muss in den Betrieben jetzt geschehen? Wie setzen Unternehmen und Betriebsräte das um? Unsere Checkliste und einige Beispiele aus der Praxis.
Zuhause bleiben, soziale Kontakte vermeiden und Abstand halten – das ist der beste Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Doch nicht alle können im Homeoffice arbeiten, viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen ihre Arbeit im Betrieb erledigen. Hier gilt es, die Beschäftigten besonders zu schützen. Worauf es jetzt ankommt, zeigt unser Überblick.
Unsere Checkliste für den Infektionsschutz
Unseren detaillierten 10-Punkte-Plan dazu findet ihr unten stehend in unserem Download-Bereich.
Im Folgenden stellen wir betriebliche Beispiele vor, wie Unternehmen mit den Anforderungen an den Arbeitsschutz umgehen, wie und welche Maßnahmen sie umsetzen oder wo es gegebenenfalls noch hakt.
Neue Schichtsysteme bei B. Braun
Der Medizintechnikhersteller B. Braun mit Sitz im hessischen Melsungen hat im Moment viel zu tun, um die Produktion von Intensivbetten und dem entsprechenden Zubehör sicherzustellen. Gerade auch der Schutz der Arbeitnehmer vor einer möglichen Infektion ist für das Unternehmen wichtig. B. Braun hat daher in Abstimmung mit den Betriebsräten verschiedene Maßnahmen zum Schutz der Belegschaft eingeleitet.
Eine Maßnahme besteht darin, Personen mit Vorerkrankungen in der Belegschaft zu berücksichtigen. Mitarbeiter mit erhöhtem Risiko können sich an den werksärztlichen Dienst wenden, um die Möglichkeiten für den Betreffenden auszuloten.
Weitere Maßnahmen betreffen die Nutzung von Homeoffice, den Einsatz von Trennwänden sowie Änderungen im Schichtsystem. B. Braun war durch vorherige Pandemien wie die Vogel- oder Schweinegrippe vorbereitet. Dadurch konnte die Firma auf bereits eingespielte Abläufe für den Fall einer Pandemie zurückgreifen und schnell einen Krisenstab bilden. Teil dieses Krisenstabs ist auch der Betriebsrat, um die Mitbestimmungsprozesse zu sichern. Das geschieht auch regelmäßig. Zudem konnten bereits klassische Elemente betrieblicher Mitbestimmung genutzt werden.
Mike Schwarz, Betriebsrat bei B. Braun, erklärt: „Wir hatten bereits vor der jetzigen Krise eine Betriebsvereinbarung zum Thema Homeoffice.“ Das eröffnete neue Möglichkeiten: „Wir konnten 3 000 Mitarbeiter aus dem kaufmännischen Bereich zum Arbeiten nach Hause schicken.“
Verschiedene Schichtsysteme kommen im Unternehmen zur Anwendung. Bei der Organisation des 3-Schicht-Systems konnte einiges verändert werden. Dank eines vereinbarten Flex-Korridors für den Anfang und das Ende der Schichten startet die erste Schicht 15 Minuten vor dem eigentlichen Schichtbeginn, die zweite Schicht pünktlich zum Schichtbeginn und die letzte Schicht 15 Minuten später, als der Schichtbeginn eigentlich vorgesehen ist. Dadurch wird der Kontakt zwischen den einzelnen Schichtteams vermieden. „Die Schichtübergaben finden jetzt entweder schriftlich statt oder die Übergabe erfolgt nur durch je eine Person aus der jeweiligen Schicht“, erläutert Schwarz. Sind Übergaben anderweitig möglich, zum Beispiel über Kommunikationsmedien wie Skype, wird darauf bevorzugt zurückgegriffen.
Ein anderes Schichtsystem ermöglichte bisher den Austausch sehr vieler Schichten. Wegen des Coronavirus wird jetzt wieder auf ein früher vereinbartes Schichtmodell zurückgegriffen, um die einzelnen Schichtgruppen so wenig wie möglich miteinander in Kontakt treten zu lassen. Diese Änderung kommt zunächst für zwei Monate zur Anwendung. Zudem wird auf ein früheres Ende der Schichten geachtet und auf einen späteren Beginn der darauffolgenden Schichten.
„Durch diese Maßnahmen gehen etwa 25 Minuten Arbeitszeit in den Schichten verloren“, bemerkt Schwarz. Die Mitarbeiter müssen diese verlorene Zeit jedoch nicht nacharbeiten: „Der Arbeitgeber übernimmt das als Kosten für den Arbeits- und Gesundheitsschutz“, erklärt der Betriebsrat.
Für Bereiche, die bisher nur in Tagschicht gearbeitet haben, ist jetzt mit Zustimmung des Betriebsrats ein 2-Schicht-System eingeführt worden. Die erste Schicht, die normalerweise um 6 Uhr beginnen würde, beginnt nun bereits um 5.35 Uhr und endet dementsprechend früher. Die zweite Schicht nimmt die Arbeit erst um 14.25 Uhr auf, sodass sich die beiden Einheiten nicht begegnen. Dadurch, dass weniger Mitarbeiter vor Ort sind, kann jetzt das Abstandsgebot – beispielsweise in den Pausenzeiten – besser eingehalten werden. Auch in den Umkleiden und an den Waschbecken wird auf das Einhalten des Abstands geachtet. In den Umkleiden ist dies durch ausgedünnte Schichten gewährleistet, so wird zum Beispiel bei den Waschbecken nur noch jedes zweite benutzt.
In wenigen Bereichen kann der notwendige Abstand von zwei Metern nicht eingehalten werden, beispielsweise bei Arbeiten am Fließband. Daher setzt B. Braun in solchen Fällen zu beiden Seiten des Fließbands Trennwände aus Plexiglas ein.
Ersatzteam für den Fall der Fälle: Bayer in Berlin
Beim Pharma- und Chemie-Konzern Bayer am Standort Berlin gibt es unter dem Sicherheitsaspekt der Kontaktvermeidung ebenfalls Änderungen im Hinblick auf den Schutz vor möglichen Infektionen. Sowohl die Mitarbeiter als auch der laufende Betrieb werden geschützt; schließlich geht es auch um die Produktion lebensnotwendiger Medikamente und landwirtschaftlicher Produkte.
So wurde laut dem Betriebsratsmitglied und Vertrauensleute-Vorsitzenden der IG BCE, Silvio Nest, den Mitarbeitern empfohlen, ihre Arbeit mobil von zu Hause zu erledigen. Diese Möglichkeit wird von knapp 3000 Beschäftigten genutzt. Das sind hauptsächlich Mitarbeiter aus der Verwaltung, aber auch Auszubildende und Labormitarbeiter nutzen diese Möglichkeit.
Schutzmaterial werde in kritischen Bereichen standardmäßig eingesetzt. Dort bestünden keine Engpässe, denn: „Schutzmaterial ist bei uns ausreichend vorhanden“, erklärt Nest. Ähnlich sei es bei Desinfektionsmitteln, auch hier gebe es kein Problem: „Zur Not können wir Desinfektionsmittel selbst herstellen“, so Nest.
Teil der Sicherheitsmaßnahmen ist außerdem die Trennung der Schichten und eine getrennte Schicht-Übergabe. Die Übergabe erfolgt dann telefonisch, schriftlich oder mittels Skype. Der Vorstandsvorsitzende von Bayer, Werner Baumann, erklärte unlängst in einem Interview, dass die Schichten sich nicht begegnen dürfen, weder auf der Anlage noch in den Umkleideräumen oder in den Pausenzeiten beim Essen. Da eine Schicht komplett ausfällt, sollte ein Beschäftigter infiziert sein, kann dann ein Ersatzteam einspringen. Das betrifft auch die Werksfeuerwehr, ohne die nicht mehr weitergearbeitet werden darf.
Da Bayer bereits im Regelbetrieb unter Good Manufacturing Practice-Bedingungen arbeitet und zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen umsetzte, war der Konzern Nest zufolge gut vorbereitet – am Standort Berlin wie auch an anderen Standorten.
Möglichst viele Masken bei Covestro
Covestro mit Sitz in Leverkusen produziert an vier großen Standorten Polymer-Werkstoffe. Die Produkte wie Beschichtungen und Polycarbonate werden unter anderem in der Elektronik oder auch im Gesundheitswesen eingesetzt. An der Nachfrage hat sich bei Covestro bislang nicht viel geändert. Für Krisenfälle wie den Corona-Ausbruch hatte man vorgesorgt.
„Wir haben schon vor Jahren die Gesamtbetriebsvereinbarung „Pandemie“ beschlossen, in der geregelt ist, wie wir unsere Beschäftigten, aber auch das Unternehmen schützen“, erklärt Klaus Harder, Sprecher der Kommission Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz des Covestro-Gesamtbetriebsrats und Mitglied des Betriebsrates am Standort Krefeld-Uerdingen. Auch bei Covestro arbeiten viele Beschäftigte jetzt von Zuhause aus, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Die Grundlage dafür ist die Gesamtbetriebsvereinbarung „Mobiles Arbeiten“.
Es gibt aber auch Beschäftigte, die von der Arbeit freigestellt wurden, aber weiterhin bezahlt werden. Das gilt vor allem für Mitarbeiter mit schweren Vorerkrankungen oder jene, die sich um Kinder oder eine pflegebedürftige Person kümmern müssen. Besteht bei einem Kollegen der Verdacht auf eine Infektion, wird jeweils auf Grundlage eines schriftlich niedergelegten Entscheidungsbaums entschieden, ob er in Quarantäne muss oder nicht. Dabei wird beispielsweise berücksichtigt, inwiefern Kontakt zu einem Infizierten bestand oder ob jemand aus einem Risikogebiet zurückkommt.
Zudem setzt das Unternehmen auch Trennwände sowie Schutzmaterialien für die Mitarbeiter ein, zum Beispiel bei notwendigen Gesprächen zwischen Beschäftigten. Dabei ist der Werkstoff-Hersteller gewissermaßen Selbstversorger: „Die Trennwände sind aus unserem eigenen Material Polycarbonat – das geht ruckzuck bei der Herstellung“, sagt Harder.
Das Schutzkonzept sieht auch weitere Maßnahmen wie das Verwenden von Schutzmaterial vor. Bereits im Normalbetrieb verwendet Covestro FFP2-Masken bei Stäuben in der Luft, die zum Beispiel bei der Abfüllung bestimmter Chemikalien entstehen. Gegenwärtig setzen die Mitarbeiter die Atemschutzmasken aber auch bei Gesprächen mit Beschäftigten von Partnerfirmen im Büro ein, oder in der Produktion, wenn Abstandswahrung nicht möglich ist. Die Versorgungslage mit FFP2-Masken ist jedoch schwierig; die Firma wartet auf weitere Lieferungen.
In naher Zukunft möchte Covestro alle, die sich auf dem Werksgelände aufhalten, mit einfachen Infektionsschutzmasken ausstatten. Da es derzeit auch bei diesen Masken schwierig ist, sie zu bekommen, zieht Covestro die Möglichkeit in Betracht, sich gegebenenfalls einfache Masken für Mitarbeiter nähen zu lassen. Harder merkt an: „Zwar könnten wir aufgrund der anderen Sicherheitsmaßnahmen im Zweifelsfall fast ohne Masken auskommen. Die OP-Masken als Standard für alle wären aber ein zusätzlicher Beitrag.“
Besonderes Augenmerk hat der Krisenstab von Anfang an auf die Schichtmitarbeiter in den Betrieben gelegt, um die Anlagen vollkontinuierlich und damit rund um die Uhr sicher weiterlaufen lassen zu können. Hier gibt es eine klare Trennung der einzelnen Schichten, um eine Durchmischung und damit Ansteckungen zu verhindern, aber auch um mögliche Infektionsketten so kurz wie möglich zu halten. Die Schicht-Übergaben sind so gestaltet, dass sich die Beschäftigten persönlich nicht direkt begegnen. Das funktioniert durch die besagten Trennwände, es werden aber auch andere Möglichkeiten genutzt, wie das Telefon oder Übergaben per Skype. Die Schichtübergabe wird je nach Standort und Betrieb unterschiedlich gehandhabt. „So muss im Ernstfall nur eine komplette Schicht rausgenommen werden und nicht mehrere. Dadurch kann die Anlage sicher weiterbetrieben werden“, so Harder.
Dafür hat das Unternehmen das Schichtsystem verändert. So hat die Schicht, die normal frei hat, derzeit ständig Rufbereitschaft. Diese Beschäftigten erhalten dafür eine Rufbereitschaftspauschale. Sollte eine Schicht herausgenommen werden müssen, kann diese Schicht direkt einspringen. Auch die Handwerker, die bei Covestro in den Betrieben beispielsweise die Anlagen betreuen, arbeiten derzeit nicht in ihrer normalen Arbeitszeit. Diese wurden ebenfalls in Gruppen aufgeteilt und erscheinen dann zeitversetzt, zum Beispiel in Früh- und Spätschicht, wechseln tage- oder wochenweise, immer mit dem Ziel, das Infektionsrisiko zu minimieren.
Desinfektion aus After-Shave-Flaschen bei Beiersdorf
Bei Beiersdorf Manufacturing in Hamburg gibt es mittags nur noch Lunchpakete; Kantine und Kaffeekiosk sind geschlossen, im Raucherraum dürfen maximal drei Zigaretten zugleich brennen. In der Produktionshalle allerdings, wo Nivea-Creme, Deo und Lippenstifte vom Band laufen, lässt sich der vorgeschriebene Abstand von mindestens 1,5 Meter weniger gut einhalten. „Die Produktion läuft ja automatisch“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Andreas Köhn, „da steht man nicht dicht zusammen. Aber wenn zum Beispiel die Maschinen für ein neues Produkt umgerüstet werden sollen, müssen sich die Beschäftigten verständigen. Das geht nicht auf Abstand, dafür sind die Maschinen zu laut.“
Das Problem mit dem Abstand war deshalb Anfang April schon Gegenstand eines Treffens zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung. „Die Kollegen machen sich Sorgen um ihre Gesundheit“, berichtet Köhn, „mehr als die Hälfte ist über 50 Jahre alt. Jeder zehnte der rund 700 Beschäftigten ist krankgemeldet, weil man auch mit Erkältungssymptomen jetzt lieber zu Hause bleibt. Am liebsten möchten die Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit Schutzmasken tragen. Aber das lässt sich augenblicklich nicht umsetzen.“
Desinfizieren und Händewaschen ist im Kosmetikkonzern einfacher. „Wir tun das sowieso dauernd und jetzt noch öfter“, erzählt Köhn. Für die Belegschaft hat Beiersdorf in einer einmaligen Aktion Handdesinfektionsmittel in After-Shave-Flaschen abgefüllt und zusätzlich verteilt. Für die Universitätsklinik, die Hamburger Feuerwehr und andere Stellen zur medizinischen und öffentlichen Grundversorgung werden Tausend-Liter-Kanister mit Desinfektionsmitteln gemischt und verschenkt, insgesamt 650 Tonnen. „Damit sind auch etwa zehn Leute beschäftigt“, erzählt der Betriebsratsvorsitzende, „die fehlen natürlich in der normalen Produktion. Die anderen machen ihre Arbeit mit.“
An der Nachfrage hat sich für die Hamburger nichts geändert. Wo Beiersdorf Seife herstellt, wie in Berlin, ist sie sogar gestiegen. Kurzarbeit ist bisher kein Thema. Selbst wenn es dazu kommen sollte –weil womöglich Kugeln für Deo-Roller aus Irland ausbleiben – müsste das Unternehmen die Kosten nicht auf die öffentlichen Kassen abwälzen, findet Andreas Köhn: „Unser Arbeitgeber ist reich, er könnte sich das leisten.“ Auch Versuche des Unternehmens, die Kosten für die öffentlichkeitswirksame Geschenkaktion bei den Beschäftigten wieder einzusparen, wird der Betriebsrat nicht akzeptieren.