Corona-Testlabore

Arbeiten an der Belastungsgrenze

Fast 90 Millionen Proben sind in Deutschland seit Beginn der Erfassung auf Corona getestet worden, mehr als sechs Millionen davon positiv. 90 Millionen Proben, die die Beschäftigten in den Laboren auswerten müssen, oft neben oder zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit. Steigen die Fallzahlen, steigt auch ihre Belastung. Die Belegschaften kommen beim Bearbeiten der Tests kaum hinterher.

Auswertung Coronatests im Labor
Foto: © iStock/sanjeri

Synlab-Labor in Jena: „Die Situation ist sehr stressig und angespannt.“

Der Labordienstleister Synlab betreibt deutschlandweit mehrere medizinische Versorgungszentren. Rayk Stengel ist im Labor in Jena Betriebsratsvorsitzender, das sich neben der Corona-Testung eigentlich mit der Tumordiagnostik befasst. Dort arbeiten rund 45 festangestellte Vollzeit-Beschäftigte. Zusätzlich sind etwa 30 Student*innen über eine Studierendenzeitarbeitsfirma angestellt, die meisten von ihnen auf Minijobbasis oder in Teilzeit.  Die Zahl der Kolleg*innen schwankt seit Anfang der Pandemie: „Es gab ungefähr 30 Neueinstellungen, dazu vielleicht 60 Studierende, die unregelmäßig im Pool waren. Dabei gab es immer auch kontinuierlich Abgänge“, so Stengel, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung arbeitet und die Abteilung Next-Generation-Sequencing leitet.

 „Die Situation bei uns ist sehr stressig und angespannt, ähnlich wie im vergangenen Jahr“, berichtet Stengel. Jena hätte Ende September eigentlich als Corona-Test-Standort geschlossen werden sollen. „Die Geschäftsleitung hat die Herbst-/Winterwelle unterschätzt“, so Stengel. Kurzfristig wurde entschieden: Das Labor in Jena wird bis April Corona-Tests auswerten. Einige befristete Mitarbeiter*innen waren da natürlich längst weg. Zwar stelle die Geschäftsführung nun Personal ein, aber noch immer gebe es zu wenig. „Wir nehmen jeden, der helfen kann und will“, so Stengel. Klar sei aber auch: „Neueinstellungen bedeuten Anlernen mit zu wenig Personal, Kontrolle der Tests mit zu wenig Personal und ständig wechselnde Schichten und Personen. Dadurch sinkt die Arbeitsqualität.“

Rayk Stengel

Rayk Stengel, Betriebsratsvorsitzender im Synlab-Labor in Jena: "„Es ist normal geworden, dass Mitarbeiter*innen nachts von der Arbeit träumen und deshalb schlecht schlafen.“

Foto: © ebenBILD Jena/ Kristin Döpel-Rabe
Angemessen auf die sich stark verändernde Situation der Pandemie zu reagieren, das sei für Unternehmen und Personal über das vergangene Jahr hinweg eine Herausforderung gewesen. „Prioritäten veränderten sich teilweise täglich mit Auftragslage und Gesetzgebung in Abhängigkeit der aktuellen Lage der Pandemie“, erklärt der promovierte Diplom-Biochemiker. Das beträfe auch die Strukturen der Mitarbeiter*innen, die sich sehr flexibel entwickelten. „Das führte zu einer partiell hohen Fluktuation und daraus gesteigertem Aufwand für Einarbeitungen“, erklärt er. Eine weitere Herausforderung bestünde darin, die anfänglich gute Stimmung aufrecht zu erhalten: „Die dauerhafte Belastung führte bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu deutlich spürbaren Auswirkungen, die von gesteigerter Reizbarkeit bis hin zu gesundheitlichen Auswirkungen reichen.“ Er betont: „Es ist normal geworden, dass Mitarbeiter*innen nachts von der Arbeit träumen und deshalb schlecht schlafen.“ Immerhin sinke die Arbeitsbelastung langsam durch die Neueinstellungen. „Und wir achten jetzt mehr auf ausgleichende freie Tage“, so Stengel.

Rund 1500 Tests werten die Beschäftigten in dem Labor täglich aus. In der zweiten Welle lag der Höchststand von täglichen Tests sogar bei 5000. Allerdings ist aktuell der Aufwand pro Test in Jena größer:  Im vergangenen Jahr habe der Standort den Großteil seiner Proben aus anderen Synlab-Standorten bekommen, die eine zentrale Erfassung haben. „Mittlerweile müssen wir selbst Patientendaten im Laborinformationssystem erfassen“, so Stengel und ergänzt: „Dafür sind wir nicht ausgelegt, weil wir in der Routine eher so 100 Proben am Tag haben. Und weil die einsendenden Gesundheitsämter und Abnahmestellen nicht digitalisiert mit uns arbeiten, ist die Patientenerfassung in dieser Welle der Flaschenhals des Ganzen.“

Gearbeitet wird in Jena in zwei Schichten, von 7 Uhr bis teilweise 23 Uhr. Feiertage und Wochenenden werden ganz normal besetzt wie Wochentage. Einzige Regel: Zwei Tage frei in der Woche. „Ein absolutes Plus gegenüber letztem Jahr, wo wir regelmäßig sechs Tage die Woche gearbeitet haben“, so Stengel, betont aber: „Die Überstunden sammeln sich wieder.“

Motiviert zu bleiben, ist da gar nicht so einfach. Aber: „Große Motivation beziehen wir aus der allgemeinen Arbeitsmoral in unserem Sektor. Wir leisten unseren Beitrag zur Pandemie und können Menschen helfen, sei es in medizinischen Notfällen, in denen wir Kliniken und Gesundheitsämter unterstützen, oder sei es, um ein bisschen Normalität im Alltag zurück zu gewinnen“, findet der Betriebsratsvorsitzende. Er betont: „Ebenso wichtig ist für uns der Zusammenhalt des Teams, welches über das vergangene Jahr zusammengewachsen ist.“ Die Perspektive, gemeinsam in einem Boot zu sitzen, habe zu viel Kollegialität und gegenseitiger Unterstützung geführt. „So machen wir zum Beispiel abends gern Überstunden, wenn es nötig ist, um die Frühschicht zu entlasten.“

Auf das kommende Jahr blickt der 43-Jährige vorsichtig optimistisch: „Wir streben eine Konstanz des Prozesses in Personal und Methoden in angemessenem Rahmen an, da wir als Mitarbeiter eine dauerhafte, wenn auch in Zukunft abgeschwächte Präsenz des Corona-Virus erwarten. Wir wünschen uns also eine Langzeitstrategie für die Pandemie und darüber hinaus.“ Der saisonal notwendige Personalaufbau müsse einfach frühzeitig starten, damit noch angelernt werden kann und die Einsätze in den verschiedenen Schichten geplant werden können.

Labordienstleister Amedes in Hannover:  Belastung in der Vorweihnachtszeit besonders hoch

Stress kennen auch Denise Wittenberg und ihre 130 Kolleginnen und Kollegen bei Amedes, einem weiteren Labordienstleister, am Standort in Hannover. Die Gemeinschaftsbetriebsratsvorsitzende und Teamleiterin in der Prä-Analytik berichtet, dass es immer schwieriger werde, die Motivation der Kolleginnen und Kollegen hochzuhalten, da kein Ende der Pandemie in Sicht sei. „Und Homeoffice ist im Labor sehr schwierig. Das ist nur in den Zentralbereichen möglich“, erklärt sie.

Zusätzlich zur Routine - zu den oft sehr dringenden Labortests aus den Krankenhäusern auf Herzinfarkt zum Beispiel - werten die Beschäftigten am Standort durchschnittlich jeden Tag etwa 3500 Corona-Tests aus. Die Zahl der maximal pro Tag möglichen Testungen ist gestiegen, von 2500 in der zweiten Corona-Welle bis auf jetzt 4000, die absolute Obergrenze der Kapazitäten. Zu leisten ist das nur im Zweischichtsystem, auch an Wochenenden. In Ausnahmefällen müssen die Beschäftigten Überstunden machen.

Denise Wittenberg

Denise Wittenberg, Gemeinschaftsbetriebsratsvorsitzende Amedes, zum Arbeitsaufkommen in diesem Jahr: „Wir gehen leider davon aus, dass die Situation sich im nächsten Herbst und Winter wiederholen wird."

Foto: © Helge Krückeberg

„Im Vergleich zum vergangenen Jahr hat sich unser Arbeitsaufkommen in der jetzigen Situation noch einmal verändert: Es ist zwar etwas mehr geworden, dafür hat sich aber eine Routine entwickelt und der Workflow wurde verbessert“, erklärt Wittenberg. Um eine Überlastung der Belegschaft zu vermeiden wurde mehr Personal eingestellt und Freizeitausgleich im Sommer angeboten. Vier neu eingestellte medizinische Angestellte und befristete Stundenaufstockungen entlasten die Beschäftigten am Standort zusätzlich. Als Bonus haben die Beschäftigten bereits Corona-Prämien erhalten, eine weitere ist angekündigt.

„Die Belastung ist aufgrund der vielen Testungen dennoch sehr hoch, besonders jetzt in der Vorweihnachtszeit“, erzählt Wittenberg und ergänzt: „Man merkt gleichzeitig, dass die Kolleginnen und Kollegen durch die Corona-Maßnahmen persönlich sehr belastet sind. Das macht es umso schwieriger für sie, eine gute Balance zu finden.“

Auf das kommende Jahr blickt sie daher eher pessimistisch. Auch, weil die vierte Welle trotz Impfungen schlimmer ist als die dritte. „Wir gehen leider davon aus, dass die Situation sich im nächsten Herbst und Winter wiederholen wird“, so Wittenberg.