Gewerkschaften

1933: Erst Maifeiertag, dann Terror

Am 2. Mai 1933 zerschlugen die Nazis die Gewerkschaften. Was sich aus der Geschichte lernen lässt, untersucht eine Gedenkveranstaltung am Ort des Geschehens in Berlin.

Engelsufer Berlin

Ein SA-Kommando besetzt am 2. Mai 1933 das Gewerkschaftshaus des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) am Engelsufer in Berlin

Franz Vogt hatte zwei schwere Wege vor sich am 29. April 1933. Der Mitarbeiter des Bergarbeiterverbandes und SPD-Abgeordnete musste einen Kameraden beerdigen. SS-Männer hatten den jungen Mann auf der Straße aufgegriffen, gefoltert und mit Rattengift ermordet. Doch vor der Beerdigung ging Franz Vogt im Bezirksbüro des Bergarbeiterverbandes vorbei. Er erklärte seinen beiden Chefs: „Die Spitzen der freien Gewerkschaften haben beschlossen, dass wir uns am 1. Mai an den von der nationalsozialistischen Regierung angeordneten Maifeierzügen zu beteiligen haben. Da ich es aber nicht übers Herz bringe, heute im Trauerzuge zu schreiten, um einen {…} viehisch zu Tode gemarterten jungen Genossen zu bestatten und übermorgen mit den Mördern {…} unter der Mörderfahne des Hakenkreuzes zu marschieren, so erbitte ich meine sofortige Entlassung aus dem Gewerkschaftsdienst.“

So erinnerte sich Franz Vogt später. Er hatte damit einen besseren politischen Instinkt bewiesen als viele seiner Vorgesetzen. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Zerschlagung der Gewerkschaften längst beschlossen. Die Nationalsozialisten wiegten die Arbeiterbewegung zunächst in Sicherheit: Sie erfüllten ihre langjährige Forderung und riefen den 1. Mai 1933 zum Feiertag aus. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter marschierten mit den Nazis durch die Straßen und ahnten nicht, dass einen Tag später die Gewerkschaften aufgelöst, ihr Vermögen beschlagnahmt und alle Mitglieder zwangsweise in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) eingegliedert werden würden. Die DAF brachte die Wirtschaft auf Parteilinie. Für Arbeitnehmerrechte tat sie nichts: Die Tarifautonomie und das Streikrecht wurden abgeschafft, die Arbeitszeiten verlängert und Schutzbestimmungen abgebaut.

„Die Zerschlagung der Gewerkschaften vor 90 Jahren markiert das dunkelste Kapitel in der Geschichte der freien Gewerkschaften in Deutschland“, meint der Vorsitzende der IGBCE, Michael Vassiliadis. Widerstand gab es – allerdings nur spontan und vereinzelt. Nie griff er auf ganze Betriebe über. Oft waren es junge Industriearbeiterinnen und -arbeiter, die aus Protest die Arbeitsleistung verweigerten und die Berufsschule schwänzten. Gewerkschafter*innen versuchten, regimekritische Medien zu verbreiten und bei internationalen Kongressen auf die Lage der Beschäftigten in Deutschland aufmerksam zu machen. Echten Schaden konnten sie dem Nazi-Regime damit nicht mehr zufügen: Durch eine Mischung von legalen Maßnahmen und sadistischem Terror von SA- und SS-Schlägertrupps hatte es sich innerhalb kürzester Zeit fest etabliert.

Auch Franz Vogt wurde 1933 verhaftet und gefoltert. Nach seiner Freilassung floh er in die Niederlande, wo er weiterhin politisch aktiv war. Als die Nazis 1940 das Nachbarland überfielen, nahm sich Franz Vogt das Leben.

Rund 150.000 politisch Andersdenkende, Sozialdemokraten, Kommunistinnen und Gewerkschafter*innen wurden in den 1930er Jahren inhaftiert, misshandelt oder ermordet. „Wir erinnern uns an die vielen tapferen Frauen und Männer, die für die Idee freier Gewerkschaften Repressalien, Folter und Tod auf sich genommen haben“, kommentiert Michael Vassiliadis. „Zugleich fragen wir uns selbstkritisch: Hätten die Gewerkschaften mehr gegen den braunen Nazi-Terror ausrichten können, wenn sie weltanschaulich und religiös nicht so zerstritten gewesen wären?“ Die Kämpfe zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, zwischen freien und christlichen Gewerkschaften während der Weimarer Republik hatten die Arbeiterbewegung geschwächt. In der Bundesrepublik zog man die Lehre daraus: Die Beschäftigten organsierten sich in Einheitsgewerkschaften, die parteipolitisch neutral sind. 1948 gründete sich die IG Chemie-Papier-Keramik, 1949 die IG Bergbau. „Nichts darf uns spalten und schwächen“, ist Vassiliadis überzeugt: „Unsere gegenseitige Solidarität verpflichtet uns – also die IGBCE und ihre DGB-Schwesterorganisationen -  immer wieder neu zu entschlossenem Handeln gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Intoleranz.“

90 Jahre nach der Zerschlagung setzt der DGB-Bundesvorstand ein Zeichen: Er tagt im früheren Bundeshaus des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in der Inselstraße 6 in Berlin. Am 2. Mai 1933 stürmten SA und SS dieses Gebäude. Doch die Demokratie hat am Ende gewonnen: Heute hat hier der IGBCE-Bezirk Berlin/ Mark Brandenburg seinen Sitz. Die Gedenkveranstaltung mit DGB-Chefin Yasmin Fahimi, dem Journalisten Heribert Prantl und weiteren Gästen wird am 2. Mai um 14 Uhr live gestreamt.

Weitere Informationen

Gedenkminute an der Inselstraße 6
Foto: © Gordon Welters
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Vor genau 90 Jahren stürmten Schlägertrupps von SA und SS das Bundeshaus des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in der Inselstraße 6 in Berlin. Sie randalierten, prügelten und verschleppten Gewerkschafter. Am gleichen Tag, dem 2. Mai 1933, wurden im ganzen Deutschen Reich die Gewerkschaften aufgelöst. Heute arbeitet in der Inselstraße 6 die IGBCE. An diesem historischen Ort erinnerte der DGB-Bundesvorstand an das Versagen der Demokratie und fragte: Was können wir aus der Geschichte lernen?

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